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Eine Frage der Einstellung

 
     
 
Familienpolitik hat Konjunktur. Die vergangene Woche gehörte ihr, jedenfalls in Deutschland. Markante Ereignisse waren die Einlassungen des Arbeitgeberpräsidenten Dieter Hundt, die sogenannte Grundsatzrede des Bundeskanzlers auf der Konferenz "Familie - Erfolgsfaktor für die Wirtschaft" und schließlich die konstituierende Sitzung der neuen Familien-Kommission der CDU "Eltern, Kinder, Beruf", die sich vor allem um das Thema Vereinbarkeit bemühen soll. Aus all den Aktivitäten, die in dieser Woche und vermutlich bis zur Bundestagswahl mit Fachtagungen
, Initiativen und Kongressen fortgesetzt werden, zieht man nun den Schluß: Familienpolitik wird ein großes Thema der Bundestagswahl werden.

Das könnte sich rasch als Trugschluß erweisen. Die Unterschiede zwischen den großen Parteien sind zu gering. Es sind keine wirklichen Alternativen auszumachen. Deshalb nutzt die familienpolitische Konjunktur eigentlich nur den Rot-Grünen, sie können auf Aktivitäten verweisen, die Union nur auf Diskussionen, Kommissionen und Pläne. Warum sollte jemand eine Partei wählen, die den Regierenden nachläuft, statt eine wirkliche Alternative zu bieten?

Allen politischen Initiativen ist inhaltlich gemeinsam, daß Wirtschaft immer Vorfahrt hat vor Familie. Das war auch schon beim sogenannten Job-Gipfel Mitte März der Fall. Kaum ein Politiker nennt in der aktuellen Debatte den Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Kinderarmut und zwischen dem stagnierenden Binnenkonsum und den fehlenden Zwangskonsumenten, eben den Kindern. Also auch zwischen Abtreibung, demographischem Defizit und dem Binnenkonsum, der in Ländern mit mehr Kindern, zum Beispiel Frankreich, schon eine Stütze der Konjunktur ist. Frankreich wird ein Wirtschaftswachstum von knapp zwei Prozent haben, im vergangenen Jahr lag es bei 2,5 und der Binnenkonsum spielte dabei eine tragende Rolle. Davon träumen die deutschen Analysten und Politiker. Aber statt Geld in die Bereiche zu investieren, die konsumieren würden, plädiert Arbeitgeberpräsident Hundt dafür, die Familienförderung zu stutzen. Für die Wirtschaft ist wichtig, daß junge Frauen Kinder bekommen, aber dann möglichst rasch, spätestens nach einem Jahr, wieder in die Betriebe zurück sollen. Schließlich fehlten trotz hoher Arbeitslosigkeit gut ausgebildete Fachkräfte.

Frauen sind wichtig, gar keine Frage. Aber sie können selber entscheiden, die Kinder dagegen nicht. Hier liegt eine Chance der Union. Sie könnte die Kindervergessenheit der Politik aufgreifen, sich intensiver mit dem Kindeswohl befassen. Aber Kinder sind keine Wähler und die Union traut den Eltern, den Wählern, offenbar nicht zu, daß diese auch an das Wohl ihrer Kinder denken. Statt dessen strickt sie mit an den alten Selbstverwirklichungsprogrammen der Rot-Grünen und glaubt, auf diese Weise modern zu sein. Das ist kein Kontrastprogramm, eher ein Mißtrauensvotum für Eltern.

Auch geht es bei Kindern und Familie um den emotionalen Faktor, er wird in der Diskussion um Sozialsysteme, Vereinbarkeit und Betreuung regelmäßig ausgeklammert. Er aber ist es, der das Leben als anmutig, schön, begeisternd oder auch zufriedenstellend empfinden läßt, und er hat natürlich mit der Familiensituation zu tun. In Zusammenhängen denken, nicht nur in wirtschaftlichen Faktoren, das würde der Querschnittsaufgabe Familienpolitik gerecht. So aber bleibt es bei einem Wettbewerb auf niedrigem Niveau, kein Thema, das die Menschen begeistert.

Sicher, der Staat braucht mehr Kinder, für die Sozialsysteme, für die Innovationskraft, für die Zukunft. Aber das generative Verhalten ist eine Frage des Bewußtseins, der Werte, des Lebensentwurfs. Wer glaubt, ein input an Betreuungsoptionen ergäbe einen output an mehr Kindern, der hat ein mechanistisches Menschenbild und von der Freiheit des Christenmenschen offenbar keine Ahnung. Der outet sich eigentlich als Sektionsdenker, also als Ideologe. Es geht bei dieser Thematik um Wahlfreiheit und Leistungsgerechtigkeit. Sie ermöglichen ein besseres Leben mit Kindern - ein besseres, nicht sorgenfreies Leben, denn das gibt es nicht, wenn man Kinder hat.

Immer wieder verweist man auf Frankreich als das große Beispiel und denkt dabei vor allem an die flächendeckende Kinderbetreuung. Man verweist auf die ähnlichen Bedingungen wie bei uns, und es stimmt ja auch, der ideengeschichtliche Rahmen in Frankreich gleicht gesellschaftspolitisch der deutschen Entwicklung. Die Franzosen sind ja nicht unberührt geblieben, was die Entwicklung des Wertebewußtseins in Europa betrifft, im Gegenteil, sie haben diese Entwicklung führend mitgestaltet, nicht nur mit der Revolution, sondern auch mit der 68er-Bewegung, die, zugegeben, in Deutschland die Gesellschaft tiefer und radikaler umgepflügt hat als in anderen Ländern. Aber die Ich-Gesellschaft - ein soziologischer Begriff - ist auch in Frankreich eine dominierende Größe, auch dort boomt der Single-Markt, steigen die Scheidungszahlen, nimmt die Zahl der außerehelichen Kinder rasant zu, mittlerweile wird fast jedes dritte Kind außerhalb einer Ehe geboren. Übrigens sind es im Osten Deutschlands rund 45 Prozent der Kinder, im Westen etwa 15 Prozent.

Die Arbeitsteilung hat vor allem seit der großen Revolution ganz allgemein eine negative Wirkung auf den ersten Lebensraum der Person, auf die Familie ausgeübt. Der Prozeß der gesellschaftlichen Atomisierung, der mit der Industrialisierung begann und den Arbeitsplatz und oft auch den Arbeitsort von der Familie entfernte, ja entfremdete, hat den Familienraum eingeengt und die Familienfunktion reduziert auf die Befriedigung der emotionalen Bedürfnisse. Dieser familiär-gesellschaftliche Strukturwandel traf Frankreich und Deutschland mehr oder weniger gleichermaßen. Er hat Auswirkungen auf die persönlichen Beziehungsstrukturen. In beiden Ländern wächst die Zahl der nichtehelichen Gemeinschaften. Mehr als 90 Prozent aller verheirateten Paare haben bereits vor der Hochzeit zusammengelebt und die Zahl der ohne Trauschein lebenden Paare steigt kontinuierlich. Vor 20 Jahren waren es in Deutschland 5,8 Prozent aller Paare, heute sind es mehr als doppelt so viel. Der Anteil der nie in ihrem Leben Heiratenden liegt in Deutschland mittlerweile bei 40 Prozent. Auch in Frankreich steigen die Zahlen der nichtehelichen Partnerschaften, signifikant war der Anstieg - übrigens wie in Deutschland - in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts vor allem bei jüngeren Paaren.

In allen europäischen Ländern ist der Wandel im Wertebewußtsein zu beobachten, allerdings auch ein Paradoxon moderner Gesellschaften. Der Zürcher Soziologe Francois Höpflinger bringt es auf diese Formel: "Ein Hauptmerkmal der aktuellen Situation in Europa liegt in der Koexistenz traditioneller und moderner Lebens- und Familienformen. Zwar hat der sozio-ökonomische Wandel in allen europäischen Ländern analoge familiale Veränderungen ausgelöst, aber stärker als in anderen sozialen Bereichen ist das familiale Leben durch die Gleichzeitigkeit von Wandel und Kontinuität charakterisiert".

Trotz dieser Gleichzeitigkeit liegt die Geburtenquote in Frankreich mit 1,9 Kindern pro Frau signifikant höher als in Deutschland (1,27). Das kann nicht nur an den Betreuungsmöglichkeiten liegen, sonst müßten die Zahlen in Brandenburg oder Sachsen entsprechend hoch liegen. Auch dort gibt es flächendeckende Betreuungsmöglichkeiten und dennoch liegt die Geburtenquote noch unter dem Bundesdurchschnitt. Nein, das generative Verhalten ist eine Frage des Bewußtseins und dieses wiederum eine Frage der Geschichte und der aktuellen Rahmenbedingungen. Hier hat Frankreich seine Vorteile. Das Thema Kinder wird vorurteilsfrei betrachtet. Es gibt keine "Rabenmütter" und keine "Heimchen am Herd". Beide, die außer Haus berufstätige Mutter und die Mutter, die dem Beruf Hausfrau nachgeht, haben ihren Platz. Niemand wird verächtlich von den anderen geringgeschätzt, von Einzelfällen mal abgesehen. Hier kommt zum Tragen, daß die Achtung vor dem Familienmanagement Tradition hat. Schon vor mehr als hundert Jahren, am 28. Oktober 1898, forderte etwa der Abgeordnete Lemire in der Nationalversammlung die Einführung eines Familiengeldes oder Erziehungslohns mit dem Argument der Leistungsgerechtigkeit. Der familienpolitische Diskurs in Frankreich ist also traditionell geprägt von staatlichem und privatem Interesse. De Gaulle schreibt in seinen Memoiren: "Von allen Investitionen ist die zur Erhöhung der Bevölkerungszahl in Frankreich zweifellos die wichtigste." Er schrieb diesen Satz und handelte danach, als Frankreich in Trümmern lag und sich nach deutschem Denken familienpolitische Maßnahmen eigentlich nicht leisten konnte. Aber das ist eine Frage der politischen Prioritätensetzung nicht der Finanzierung, des Bewußtseins vom realen Wert der Familie, nicht nur für die Wirtschaft, sondern für alle, für die Gesellschaft.

Die höhere Geburtenquote Frankreichs, mit die höchste in der EU, hat mit der Subjektförderung zu tun. Hier kann man lernen. In Deutschland frönt man dem Prinzip der Objektförderung. Man investiert in Gebäude, Institute, Planstellen. In Frankreich geschieht beides. Man fördert Einrichtungen und gibt Eltern Geld in die Hand, man fördert auch Subjekte. Das geschieht auf vielerlei Weise, direkt und indirekt. Die familienpolitischen Maßnahmen enthalten das klassische Repertoire bis hin zu spezifisch französischen. Insgesamt sind es so rund drei Dutzend einzelne Posten, plus Sondermaßnahmen. Außerdem wurde ebenfalls einkommensabhängig eine Lohnersatzleistung von mindestens 500 Euro pro Monat über drei Jahre eingeführt, zusätzlich zum Kindergeld.

All das sind Investitionen in den Menschen, in die Subjekte und ihre Lebensumstände. Man füttert keine kollektivistische Ideologie. All das wird Frankreichs Stellung als Führungsmacht Europas festigen. Denn wer in einem alternden Kontinent in die Zukunft und das heißt in die Familien investiert, der wird innovativ, konsumfreudig und dynamisch bleiben, Eigenschaften, die einem alternden Volk eher abgehen.

Die Einstellung hierzulande, das Denken ist das Problem. Hier fehlt der Blick für die Totale, man ist hektisch und mit prophetischem Eifer bemüht, die Kinder in irgendwelche kollektiven Einrichtungen zu verfrachten, dort bietet man einen ganzen Fächer von Möglichkeiten an, so daß die Familien ihrer Situation gemäß eine Wahl treffen können. Das ist eine Frage des Stellenwerts und der Familienkultur. Das wäre ein Thema für die Parteien. So aber kann man sich auf einen langweiligen Wahlkampf gefaßt machen, mit viel Verweisen auf Statistiken - die man noch nicht einmal selber gefälscht hat - und Familie als wirtschaftlichem Element. Das ist es, aber es ist auch eine Lebensform. Das haben die Parteien weitgehend vergessen. Die Familien nicht.

Streß für Mutter und Kind: Morgens früh fährt Mami den Kleinen vor ihrer Arbeit zum Kindergarten, in der Mittagspause holt sie ihn von der Kindergärtnerin fertig angezogen schnell ab, und dann geht es zur Oma oder zur Tagesmutter.
 
     
     
 
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