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Zum 30. Jubiläum der Organisation "Weißer Ring", die im vergangenen Jahr zirka 3500 Opfer von Straftaten psychologisch und finanziell unterstützte, verspricht Bundeskanzlerin Angela Merkel grundlegende Verbesserungen der rechtlichen Situation der Opfer. Besonders im
Jugendstrafrecht kündigt die Kanzlerin einen neuen Kurs an. Opferschutz gehe vor Täterschutz, so Merkel: "Ich halte die Möglichkeit zur Anordnung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung auch bei Jugendlichen für gerechtfertigt, die wegen schwerster Gewalttaten verurteilt wurden und bei denen man eben Zweifel hat, ob sie, wenn sie wieder frei herumlaufen, nicht wieder zu Gewalttätern werden." Die Kanzlerin formuliert eindeutig. Nur mit einer Reform des Jugendstrafrechts wäre dieser Kurswechsel zu erreichen. Sätze, die hoffen lassen: "Es ist ein umstrittenes Thema. Aber ich habe hier eine sehr eindeutige Position."
Roger Kusch, Ex-CDU-Justizsenator von Hamburg, kennt die Probleme beim Umgang mit jungen Tätern aus unmittelbarer Erfahrung. Auch die Haltung seiner ehemaligen CDU-Parteikollegen dazu ist ihm bekannt. Anfang 2006 setzte er sich für die Abschaffung des Jugendstrafrechts wegen dessen Mängeln ein. Am 27. März wurde Kusch aus dem Kabinett entlassen. Er gründete einen Monat später die rechtskonservative Partei "Heimat Hamburg". Im Interview mit der Freiheits-Depesche zieht er anläßlich des Jubiläums des "Weißen Rings" und der Worte Merkels eine kritische Bilanz.
Sie haben schon als CDU-Justizsenator das Jugendstrafrecht grundlegend ändern wollen und dafür in ihrer damaligen Partei viel Kritik eingesteckt. Nun fordert Angela Merkel anläßlich "30 Jahre Weißer Ring" Verschärfungen im Jugendstrafrecht, vor allem Sicherheitsverwahrung für jugendliche Intensivtäter. Was ist davon zu halten?
Frau Merkel hat in ihrer Rede sogar nachträgliche Sicherungsverwahrung für Jugendliche gefordert! Aber auch das spielt keine Rolle. Frau Merkel hat als die schwächste Kanzlerin in der Geschichte der Bundesrepublik keine Kraft, irgendeine Position gegen die SPD durchzusetzen. Deshalb wird auch diese Forderung an den Linken in der SPD scheitern.
Eltern minderjähriger Opfer sollen künftig an Strafverhandlungen teilnehmen dürfen, wenn die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird, fordert Frau Merkel - ist das eine Verbesserung der Position der Opfer?
Auch hier werden den Worten keine Taten folgen. Im übrigen geht diese Forderung nicht weit genug. Strafverfahren gegen Jugendliche müßten generell öffentlich sein, wie gegen Erwachsene. In begründeten Einzelfällen könnte der Richter die Öffentlichkeit ausschließen.
Sie kennen die Praxis im Jugendstrafrecht unter anderem aus ihrer Zeit als Jugendrichter. Was sind die größten Fehler, die Fälle, die Sie am bisherigen Jugendstrafrecht zweifeln lassen?
Straftaten von Jugendlichen werden generell zu spät und oft auch viel zu milde geahndet. Jungen Straftätern müßte sofort nach der Tat ein Schuß vor den Bug verpaßt werden, in harmlosen Fällen nach der zweiten oder dritten Tat, in mittleren bis schweren Fällen nach der ersten Tat. In etlichen Fällen würde damit das Entstehen einer kriminellen Karriere verhindert. Meist scheitert dieser frühe Schuß vor den Bug gar nicht am Gesetz, sondern an linken Jugendstaatsanwälten und Jugendrichtern, die in Mitleid zerfließen mit dem schweren Schicksal der Täter, statt sich um die Opfer zu kümmern. In Hamburg gibt es einen spezifischen Skandal: Hier kann es passieren, daß ein junger Gewalttäter mit einem Messer jemanden niedersticht und noch nicht einmal in Untersuchungshaft kommt.
Warum gelingt es der Rechtspflege nicht, das Problem jugendlicher Täter in den Griff zu bekommen?
Bei jugendlichen Tätern gefallen sich viele Richter und Staatsanwälte in der Rolle des Ersatz-Vaters oder der Ersatz-Mutter, statt spürbare Strafen zu beantragen und zu verhängen.
Sie setzen sich für die Abschaffung des Jugendstrafrechts ein. Das bedeutet, es ist nicht mehr reformierbar - warum?
Weil das Jugendstrafrecht vom utopischen "Erziehungsgedanken" geprägt ist, obwohl der beste Jugendrichter nicht in der Lage ist, in einer halbstündigen Verhandlung die Defizite 15jähriger Fehl-Erziehung zu korrigieren. Deshalb fordere ich die Abschaffung des Jugendstrafrechts, damit ein und derselbe Richter sowohl gegen Erwachsene als auch gegen Jugendliche verhandelt. Für die vergewaltigte Frau ist es nämlich völlig egal, ob der Täter 17 oder 23 Jahre alt war.
Wie haben Sie den Umgang mit dem Thema Jugendstrafrecht in der CDU-Hamburg erlebt?
Solange die CDU auf den Koalitionspartner Ronald Schill (Gründer der Partei Rechtsstaatliche Offensive, gewann mit seiner rechtskonservativen Partei beim ersten Antreten zur Wahl 2001 in Hamburg über 19 Prozent der Stimmen und war daraufhin bis August 2003 Innensenator im Kabinett Ole von Beusts) angewiesen war, unterstützte sie mich dabei, Hamburg sicherer zu machen. Seit die CDU mit absoluter Mehrheit regiert, ist Innere Sicherheit kein Thema mehr. Schließlich will Ole von Beust auch nach der nächsten Wahl Bürgermeister bleiben - mit Hilfe einer schwarz-grünen Koalition.
Das Gespräch führte Sverre Gutschmidt.
Dr. Roger Kusch (52), der studierte Jurist (Doktorarbeit 1980 zum Thema "Der Vollrausch") übernahm schon 1984 als Regierungsrat in der Jugendvollzugsanstalt Adelsheim Verantwortung im Rahmen der Jugendrechtspflege. Auch in seiner Zeit als Amtsrichter war er unter anderem für Jugendfragen zuständig. Von 1986 bis 1988 arbeitete er im Bundesjustizministerium (Strafprozeßrecht), danach als Staatsanwalt in seiner Geburtsstadt Stuttgart. Weitere Karrierestationen: Referent für Strafrecht und Öffentliches Recht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ab 1995 Ministerialrat im Bundeskanzleramt und Leiter des dortigen Referats "Innere Sicherheit". Von 2000 bis 2001 Oberstaatsanwalt am Bundesgerichtshof. Dort wurde er 2001 beurlaubt, um sein Amt als Hamburger Justizsenator anzutreten. 2006 gründete er seine eigene Partei "Heimat Hamburg".
Der Weiße Ring
Die Organisation wurde 1976 unter anderem vom Journalisten Eduard Zimmermann (bekannt durch die Fernsehsendung "Aktenzeichen XY ungelöst") und dem Oberstaatsanwalt Hans Sachs in Mainz gegründet. Mehr als 60000 Deutsche setzen sich derzeit im Weißen Ring ehrenamtlich oder durch ihre Mitgliedsbeiträge für Opfer von Straftaten ein. Noch sind viele zentrale Forderungen der Organisation unerfüllt. So gibt es zwar ein Opferschutzgesetz, das staatliche Hilfeleistungen vorsieht, doch vielen Bedürftigen ist das unbekannt. Täter erhalten im Zweifelsfall einen Anwalt auf Staatskosten - Opfer nicht. Opfern von jugendlichen Straftätern wird es schwer gemacht, Schadenersatzansprüche im Strafverfahren durchzusetzen. Oft bleiben Opfer in langen zivilrechtlichen Verfahren auf ihren Kosten sitzen. |
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