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Tischbein mahlt mich jetzo“, schrieb Johann Wolfgang von Goethe Ende Dezember anno 1786. „Ich laße ihn gehen, denn einem solchen Künstler muß man nicht einreden ... Es gibt ein schönes Bild, nur zu groß für unsere Nordischen Wohnungen.“ Mit seinen 164 mal 206 Zentimetern hat das Gemälde „Goethe in der Campagna“ tatsächlich stattliche Ausmaße. Als Kopie oder als Stich hat das Motiv dennoch große Verbereitung gefunden und den Namen seines Schöpfers weit verbreitet. Mit der Ausstellung „3 x Tischbein und die europäische Malerei um 1800“, die von den Staatlichen Museen Kassel noch bis zum 26. Februar in der Neuen Galerie gezeigt wird, stehen nun erstmals die drei herausragenden Mitglieder dieser weitverzweigten hessischen Malerfamilie gemeinsam im Mittelpunkt: Johann Heinrich Tischbein d. Ä. (1722–1789), der „Kasseler Tischbein“, Hofmaler bei Landgraf Wilhelm VIII. und Professor an der Kasseler Kunstakademie, Johann Friedrich August (1750–1812), der „Leipziger Tischbein“, Hofmaler in Arolsen und Dessau, der ab 1800 die Leipziger Kunstakademie leitete, und schließlich der „Goethe-Tischbein“ Johann Heinrich Wilhelm (1751–1829), der ab 1808 für den Oldenburger Hof in Eutin tätig war. Die Ausstellung entstand in Kooperation mit dem Museum der bildenden Künste in Leipzig und wird dort vom 18. März bis 5. Juni gezeigt. Die rund 80 Werke umfassende Ausstellung zeigt Arbeiten dieser drei Künstler und ordnet sie in den Kontext der europäischen Malerei um 1800 ein. Dazu wird die umfangreiche Sammlung von Tischbein-Werken der Staatlichen Museen Kassel ergänzt durch zahlreiche herausragende Leihgaben aus europäischen Sammlungen. Die chronologisch angeordnete Ausstellung widmet sich den gemäß der Kunsttheorie des 18. Jahrhunderts wichtigsten Themen: der höher einzuschätzenden Historienmalerei und der Porträtmalerei.
Friedrich Reichsgraf von Stadion ermöglichte Tischbein d. Ä. langjährige Studienaufenthalte in den wichtigsten Kunstzentren der damaligen Zeit: Paris, Rom und Venedig. In Paris waren Carle Vanloo und Charles A. Coypel seine Lehrer und wichtige Vorbilder, während die venezianische Malerei Tischbeins Zeichenstil und seine leuchtende, kontrastreiche Farbigkeit beeinflußte. Vom hessischen Landgrafen Wilhelm VIII. als Hofmaler nach Kassel berufen, war er für die Ausstattung von Schloß Weißenstein (heute Wilhelmshöhe) und Schloß Wilhelmsthal bei Kassel zuständig. Ab 1777 Professor an der neugegründeten Akademie, nutzte Tischbein d. Ä. die landgräfliche Gemäldegalerie zu Unterrichtszwecken. Themen, Kompositionen und malerische Auffassung der alten Meister setzten nicht nur Maßstäbe, sondern boten auch wichtige Anregungen. Ab etwa 1770 spiegelte sich in der Malerei Tischbeins d. Ä. der aufkommende Klassizismus wider. Vom antiken Schönheitsideal klarer Umrißlinien geprägt, bestimmten nun verdichtete Figurenkompositionen mit dramatischer Gestik die Szenerie. Seine Porträtmalerei blieb jedoch weitgehend der barocken Auffassung verpflichtet.
Nach kurzer Ausbildung bei seinem Onkel, dem „Kasseler Tischbein“, studierte Friedrich August Tischbein dank eines Stipendiums des Fürsten von Waldeck und Pyrmont in Frankreich und Italien. In Paris lernte er die Porträtmalerei von François Boucher und Jean-Baptiste Greuze kennen. In Rom arbeitete er im Atelier von Anton Raphael Mengs. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland unternahm Tischbein trotz seiner Anstellung als Hofmaler beim Fürsten von Waldeck und Pyrmont in Arolsen weitere Studienreisen nach Italien und Holland. Er begann, sich immer mehr von der barock-rokokohaften Porträtauffassung abzuwenden. Nicht mehr die aufwendige Ausstattung durch üppige Kleidung stand im Vordergrund der Porträtmalerei, sondern die Individualität und der Charakter der dargestellten Personen. Während bei anderen Malern und auch bei der in Rom hoch geschätzten Angelika Kauffmann eine gewisse Idealisierung spürbar blieb, hob der „Leipziger Tischbein“ stets mit großer Einfühlsamkeit Charakter und Stimmungswerte in seinen Porträts hervor, etwa bei den Darstellungen Johann Gottfried Herders (1795 und 1796). Während die Kunstwelt die Porträts trefflich fand, war Ehefrau Karoline Herder erbost über den Preis, den Tischbein für seine Arbeit nahm: „Er ist ein Künstler für die reichen Leute, die nicht wissen, wo mit dem Geld hin.“ Nach Stationen in Weimar und Dessau wurde Tischbein 1800 zum Direktor der Leipziger Kunstakademie ernannt, die er bis zu seinem Tod im Jahr 1812 leitete.
Ein Stipendium der Kasseler Akademie führte Johann Heinrich Wilhelm 1779 das erste Mal nach Italien. Während seines zweiten Romaufenthaltes lernte er Johann Wolfgang von Goethe kennen und schuf sein berühmtestes Gemälde, „Goethe in der Campagna die Roma“ (1786/1787). Damit setzte er nicht nur seinem Freund und Förderer ein Denkmal, sondern er verdankt ihm auch seinen Beinamen. Durch die Freundschaft mit Goethe gewann der Klassizismus Einfluß auf Tischbeins Werk. Themen der Mythologie und der römischen Geschichte standen im Vordergrund. Die künstlerische Bedeutung des „Goethe-Tischbeins“ beruht vor allem auf seinem graphischen Werk. Neben seinen qualitätvollen Tierzeichnungen und dem Stichwerk „Homer nach Antiken gezeichnet“ gehört das mehrbändige Vasenwerk zur Vasensammlung des britischen Gesandten und Altertumsforschers Sir William Hamilton bis heute zu den Grundlagen der antiken Vasenforschung. Wegen der französischen Besatzung mußte Tischbein 1799 seine Stelle als Direktor der Kunstakademie in Neapel aufgeben und Italien verlassen. Peter Friedrich Herzog von Oldenburg ernannte ihn 1808 zum Hofmaler. Seit seiner Rückkehr nach Deutschland griff Tischbein häufig auf Studien und Ideenskizzen zurück, die aus der Zeit seines Italienaufenthaltes stammten. Eines seiner letzten Gemälde „Der Rat der Tiere“ folgte Goethes Dichtung vom „Reinecke Fuchs“. os/smk
Zur Ausstellung ist im Hirmer-Verlag, München, ein Katalog (240 Seiten mit 141 Abbildungen, davon 138 in Farbe, im Museum 27,90 Euro, im Buchhandel für 34,90 Euro) erschienen. Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr.
Johann Heinrich Wilhelm Tischbein: Goethe in der Campagna (1786; im Besitz des Städelschen Kunstinstituts Frankfurt am Main)
Johann Heinrich Tischbein d. Ä.: Selbstbildnis im Alter (1782; im Besitz der Staatlichen Museen Kassel) Johann Friedrich August Tischbein: Der Künstler und seine Familie (1796; im Besitz des Museums der bildenden Künste Leipzig) Fotos (3): Staatliche Museen Kassel |
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