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Einmal quer durchs Samland

 
     
 
Die Erkundungsfahrt durch das Samland führt von Königsberg aus über eine kurvenreiche Landstraße, die einstmals blühende Dörfer säumten, zunächst in nordwestlicher Richtung Cranz entgegen, das nicht erst seit der Gründung des Seebades 1816 eine Vielzahl geschichtlicher, kultureller wie wissenschaftlicher Besonderheiten vorzuweisen hat.

Auch wenn heute der Wanderer durch dieses einst blühende Land vielerorts unbestellte Felder statt blühender Landschaften sieht, wird beim älteren Ostdeutschland mit Sicherheit die Erinnerung an das ein wenig abseits der Straße nach Cranz gelegene Dorf Rudau lebendig, das seit 1370 mit dem Namen des Schuster
gesellen Hans Sacks vom Kneiphof untrennbar verbunden ist. In der Feldschlacht gegen die in das Samland eingefallenen Litauer, die für den Orden nach Hennig Schindekopfs Tod verloren schien, ergriff der Schustergeselle das niedergesunkene Ordensbanner, um an der Spitze der verbliebenen Heerscharen noch die eingefallenen Litauer zu besiegen.

Ebenfalls mit dem Namen des Dorfes Rudau verbunden ist der Name des 1861 in Tilsit geborenen Emil Wiechert, der als Begründer der modernen Erdbebenkunde gilt. Nachdem er bei Studienreisen durch Europa die gebräuchlichen seismographischen Geräte der damaligen Zeit studiert hatte, erprobte er in seiner Erdbebenwarte in einem dorfnahen Wald erstmals einen gedämpften Seismographen, der für spätere wissenschaftliche Arbeiten auf diesem Gebiet wegweisende Bedeutung erfahren sollte.

Nur wenige Kilometer weiter im Fahrtverlauf erinnert das Gut Bledau an den bedeutenden Oberpräsident von Ostdeutschland Adolf Tortolowitz von Batocki-Friebe. Hier kam er 1868 zur Welt und hier verbrachte er von 1919 bis zu seinem Tode im Jahre 1944 seinen Ruhestand.

Rasch ist nun Cranz-Beek erreicht. Hier erinnern im Haffhafen hindümpelnde Schiffe an die einst so stolze weiße Flotte des Kurischen Haffes, deren Schiffe auch noch nach der Annexion des Memellandes durch Litauen bis nach Memel fahren.

In Cranz ist kaum noch etwas von der mondänen Vergangenheit des einstigen Ostseebades zu erkennen. Dort, wo einst der hölzerne Seesteg die Flaniermeile der Badegäste war, führt heute parallel zum Seeufer eine graue Betonpiste an einigen verbliebenen Ruinen aus der Zeit vor der russischen Besatzung vorbei. Nur schwerlich kann man sich angesichts dieser Veränderungen an die Seefeuerwerke der Vorkriegszeit erinnern.

Der weitere Wegeverlauf führt nun weiter in Richtung Rauschen, und auch hier wird der Wanderer durch eine unvergleichbar schöne Landschaft an die Vergangenheit der Heimat erinnert. Der Name des Dorfes Romehnen erinnert an Romowe, den Heiligen Hain, in den die pruzzischen Naturgottheiten ihren Platz hatten und wo diesen auch durch die Pruzzen Menschen geopfert wurden.

Ein kurzer Abstecher führt nach Neukuhren. Aus diesem Fischerdorf mit kleinem Ostseehafen entwickelte sich bereits im 19. Jahrhundert ein beliebter Badeort, dessen Ortsbild bis zur Vertreibung von den oftmals feudalen Villen nicht nur begüterter Königsberger bestimmt wurde.

Rasch ist mit Rauschen der beliebteste Badeort der Königsberger nicht nur der Vergangenheit, sondern auch der Gegenwart erreicht. Hier hat sich vielem Alten fast nahtlos das Neue hinzugesellt. So kommt es, daß man sich beinahe wie einst hier zu Hause fühlt, und man während des Aufenthaltes vielen alten Wegen nachfolgen kann. In Altrauschen grüßt einen wie früher der Mühlenteich mit seinen uralten Linden, und nahe dem Wasserturm erkennt man in der verbliebenen, gut gepflegten Parkanlage die Wasserträgerin von Hermann Brachert, der von seiner Skulptur nicht allzuweit entfernt, in Georgenswalde, seinen Wohnsitz nebst Atelier hatte, nachdem er als Dozent von der Königsberger Kunstakademie in den dreißiger Jahren entfernt worden war.

Auch nach Jahrzehnten ist in Rauschen der Seesteg das Ziel aller Besucher der Ortschaft. Vorbei am einstigen Kurhaus, an dessen da- maligem Standort in den letzten Jahren in nahezu gleicher Bauweise eine gut besuchte Gaststätte entstanden ist, geht es zur Steilküste und einer Liftanlage, in der zwei Aufzüge die Besucher Rauschens herab oder hinauf befördern. Von der oberen Liftstation ist ein herrlicher Rundblick unter anderem auf die Steilküste möglich.

Daß Rauschen Jahrzehnte hindurch nicht nur der bevorzugte Ostseebadeort der Königsberger gewesen ist, beweisen neben Hermann Brachert auch andere Persönlichkeiten aus dem ostdeutschen und darüber hinaus deutschen Kulturbereich. Regelmäßig hat zum Beispiel der in Insterburg geborene Ernst Wichert hier seinen Urlaub verbracht. Das Gleiche gilt für Wicherts Freund Felix Dahn während dessen Königsberger Jahren, in denen er den Roman "Ein Kampf um Rom" schrieb. Und auch von Hermann Sudermann, dem gebürtigen Memelländer, wird berichtet, daß er gern in Rauschen weilte. Der gebürtige Neidenburger Ferdinand Gregorovius, der an der Albertina studiert hatte, vermerkte später in seinen Lebenserinnerungen gar: "Ich sehe weder im schönen Thüringen noch im Harz eine so schäferlich romantische Gegend."

Von Rauschen führt nach einem viel zu kurzen Aufenthalt der Weg weiter über Georgenswalde, Warnicken und Groß Kuhren in das Gebiet um Brüsterort, das als Militärgebiet für Besucher gesperrt ist. Hier wurde 1846 ein Leuchtturm in Betrieb genommen, dessen Leuchtfeuer 59 Meter über dem Meeresspiegel die Seeschiffe vor den Brüsterorter Steingründen in den Nächten warnen sollte. Wilhelm von Humboldt, der 1809 während seines Aufenthaltes in Königsberg und Ostdeutschland hier war, zeigte sich begeistert von der Region. In einem erhalten gebliebenen Brief bezeichnete er diese ostdeutsche Landschaft als ein Naturkleinod.

Vorbei an Palmnicken mit seiner im vorletzten Jahrhundert durch Kaiser Wilhelm II. eingeweihten evangelischen Kirche führt der Reiseweg Richtung Sorgenau zu der zwischen den beiden Orten gelegenen großen Bernsteingrube. Anders als früher, als sich die Tagesabbaustätte noch in Kraxtepellen befand, kann man heute nicht mehr von einem geregelten Abbau des Ostseegoldes sprechen. Vielmehr scheint es so zu sein, daß das Abbaugebiet nicht mehr systematisch, sondern willkürlich ausgesucht und bearbeitet wird.

Der nächste Zwischenstop erfolgt im Dorfe Germau, von dem nur ganz wenige Wohnstätten Krieg und Zeit überstanden haben. In diesem Jahrhunderte alten Siedlungsraum hatten bereits die Pruzzen ein 1230 erwähntes Waffenlager. Erst 28 Jahre später fiel das Gebiet mit dem Verlust der Burg Gyrme an den Orden. Ähnlich vielen anderen Ordensburgen verfiel dann auch diese Befestigung über die Jahrhunderte. Heute befindet sich in diesem Bereich ein fortlaufend erweiterter und ausgebauter Ehrenfriedhof für deutsche Soldaten, die während der Abwehrschlacht des Jahres 1945 im Samland ihr Leben verloren. Kaum einen Steinwurf entfernt von dieser letzten Ruhestätte für die deutschen Toten befindet sich ein Ehrenmal für die in diesem Gebiet gefallenen russischen Soldaten.

Von Germau aus wird mit dem landeinwärts gelegenen Galtgarben ein Ziel angesteuert, das einstmals den Königsbergern als Wintersportgelände diente und sehr geschichtsträchtig ist. Bereits zu pruzzischer Zeit war dieser Siedlungsraum als Rinau in der Landschaft Erino bekannt. Im Jahre 1264 wurde er von einem samländischen Bischof in Besitz genommen und etwa ein Jahrzehnt später zu einer Fliehburg für die Landbevölkerung der Umgebung ausgebaut.

1818 wurde auf dem 111 Meter hohen Galtgarben das an die Schlacht bei Belle-Alliance (Waterloo) erinnernde Landwehrkreuz errichtet, das der in Königsberg 1736 geborene Kriegs- und Domänenrat Johann Georg Scheffner bereits zwei Jahre zuvor angeregt hatte. Für die Studenten der Königsberger Albertina, aber nicht nur für sie, hat es dann Jahre und Jahrzehnte zu einer erinnerungswürdigen Tradition gehört, daß man sich alljährlich am Jahrestag der Schlacht, dem 18. Juni, auf Bergeshöhe versammelte, um beim Schein der lodernden Birkenfeuer dieses Ereignisses auf dem Wege zur deutschen Einheit zu gedenken. Zwei Jahre nach der Einweihung des Landwehrkreuzes fand Johann Georg Scheffner, seinem Wunsche entsprechend, nahe dem Erinnerungsplatz seine letzte Ruhestätte. 1906 wurde in unmittelbarer Nähe mit dem Bismarckturm dem Vollender der deutschen Einheit ein Denkmal gesetzt.

Noch einmal geht es vom Galtgarben zurück in Richtung Ostsee. Von Fischhausen ist nach seiner Zerstörung im Jahre 1945 kaum etwas verblieben aus der vergangenen Zeit. Immerhin diente die hiesige Kirchenburg den samländischen Bischöfen vom 13. bis zum 16. Jahrhundert als Residenz; hier starb 1618 der preußische Herzog Albert Friedrich. Erhalten blieb wenigstens das unweit des Ortes Richtung Pillau zu findende Gedächtniskreuz für Adalbert von Prag, der nach seiner Tätigkeit als Bischof von Böhmens Hauptstadt als Missionar in Tenkitten hier von heidnischen Pruzzen erschlagen worden sein soll.

Nach dem Passieren einer Kontrollstelle wird Pillau erreicht. Der einstmalige Vorhafen von Königsberg, den bis zum heutigen Tage ein Seekanal mit Ostdeutschlands Hauptstadt verbindet, wird inzwischen von einem Teil der russischen Ostseeflotte als Stützpunkt genutzt. Das Pillauer Tief verbindet wie eh und je Haff und See, und gelegentlich sind sogar Schiffe zu bemerken. In der Stadt selbst, Ort des Abschieds für Tausende von Heimatflüchtlingen, hat sich baulich zwar manches verändert, doch ist die Vergangenheit nicht total ausgelöscht. Das Alte verbindet sich hier noch gut erkennbar mit dem Neuen. In Gedanken versunken geht es nun zurück zum Ausgangspunkt der Tagesreise, nach Königsberg, der Pregelstadt.

Noch einmal geht es durch die Stadtreste von Fischhausen, den vergrößerten Siedlungsraum Peyse und Zimmerbude. Auf dem Weg zurück wird nun auch das Gebiet Vierbrüderkrug erreicht, wo es bis 1945 eine Erinnerungsstätte gab an vier Brüder, die hier während der Ordenszeit von aufsässigen Pruzzen in einen Hinterhalt gelockt und ermordet wurden.

Fast schon in Ostdeutschlands Hauptstadt, in Moditten, wird die Erinnerung an Königsbergs größten Sohn, Immanuel Kant, lebendig, der hier bei einem befreundeten Förster seine Sommerurlaube verbracht haben soll.

Er ist es nun auch, der die letzte Wegstrecke als geistiger Begleiter an eine Stadt erinnert, die niemals vergessen werden wird, denn sieben Jahrhunderte, die in den Geschichtsbüchern aller Zeiten aufgezeichnet wurden, können auch von politischer Unvernunft nicht ausgelöscht werden. H. Glaß

Nur scheinbar alt: Nachbau des Kurhauses in Rauschen Fotos (3): Glaß

In Richtung Brüsterort: Blick von der oberen Station der Liftanlage an der Steilküste von Rauschen

Fast wie damals: der Mühlenteich in Altrauschen mit seinen uralten Linden
 
     
     
 
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