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Ob Zufall oder nicht, ob gar der mächtige, angeblich im damaligen Siebenbürgen beheimatete Zauberer Klingsor seine Hand im Spiel hatte: Tatsache ist, daß der Beschluß des EU-Rates, Hermannstadt / Sibiu und Luxemburg zu europäischen Kulturhauptstädten des Jahres 2007 zu ernennen, zwei Städte ins Gespräch brachte, die sich seit fast tausend Jahren näher stehen, als es viele vermuten. Zahlreiche Ur-Siedler sind angeblich aus dem Raum Luxemburg gekommen. Die siebenbürgisch-sächsische Mundart jedenfalls ist dem Luxemburgischen sehr ähnlich, was auf gemeinsamen Ursprung deutet.
Auch ist die Danksagung des Hermannstädter Bürgermeisters Klaus Johannis zum Jahresende bei der Eröffnung der Veranstalt ungen zur europäischen Kulturstadt Luxemburg durchaus berechtigt: "Hermannstadt verdankt seine Nominierung Luxemburg, ohne dessen Einladung wir nicht hätten kandidieren können." Allerdings wird dies allein kaum der Grund zur Ausrufung Hermannstadts als europäische Kulturhauptstadt gewesen sein. Es ist wohl eher die Anerkennung der Leistungen dieser Stadt, fast ein Jahrtausend im äußersten Südosten Europas eine europäische Stadt geblieben zu sein. Diese Stadt hat in Reformation und Aufklärung oft sogar eine führende Rolle gespielt, so zum Beispiel im Schulwesen. Selbst den EU-Evaluierungskriterien der Gegenwart ist die Stadt gerecht geworden.
Und nun konnte gefeiert werden. Hermannstadt begann sein Jahr als europäische Kulturhauptstadt am späten Nachmittag des 1. Januar 2007. Die Veranstaltungen knüpften nahtlos an die Feiern zur Aufnahme Rumäniens in die EU an. Sie begannen mit einem Konzert der Philharmonie der Nationen. Es folgte ein riesiges Feuerwerk der französischen Firma "Groupe F" an mehreren Orten der Stadt und dann ein Konzert der britischen Popgruppe "Smokie" auf dem Großen Ring, dem zentralen Platz Hermannstadts, wie auch Konzerte mit der Gruppe "Phoenix" und der deutschen Techno-Band "Scooter".
Bei drei bis vier Veranstaltungen täglich ist es nicht leicht, Schwerpunkte herauszufiltern. Dennoch wird die Gastdarbietung der Mailänder "Scala" am 26. und 27. Februar 2007 im Thalia-Saal des Hermannstädter Staatstheaters "Radu Stanca" Furore machen.
Italien schickt im Frühjahr 2007 auch Schauspieler vom "Faber-Theater" und die "Sbandieratori", die Fahnenschwenker aus dem umbrischen Gubbio.
Das Interesse der Regenbogenpresse aber wird weniger von den Mimen auf den "Brettern, die die Welt bedeuten" berichten, sondern von der auflageträchtigen realen oder selbsternannten Prominenz.
Es gibt prinzipielle Zusagen vom Großherzog Henri von Luxemburg, von Prinz Albert von Monaco, Prinz Adam von Liechtenstein, von dem britischen Thronfolger Prinz Charles, vom Prinzen Frederik von Dänemark, vom spanischen Prinzen Felipe de Bourbon. Da genannte Hoheiten mit ihren Gattinnen, offiziellen und nicht offiziellen Bräuten sowie allerlei Entourage anreisen werden, könnte Hermannstadt kurzfristig zum mondänen Zentrum Europas werden.
Wo so viel blaues Blut zusammenfließt, darf auch die politische Prominenz nicht fehlen. Da wäre beispielsweise der Ministerpräsident der anderen europäischen Kulturhauptstadt 2007, Luxemburgs Jean-Claude Juncker mit seinem Außenminister Jean Asselborn, aber auch der deutsche Bundespräsident Horst Köhler und Bundeskanzlerin Angela Merkel, der portugiesische Staatspräsident Anibal Antonio Cavacco Silva und Griechenlands Staatspräsident Karolos Papoullas haben ihren Besuch angekündigt.
Um die Weihnachtszeit herum wurde Hermannstadt in Paris und Wien als europäische Kulturhauptstadt vorgestellt und die Foto-Wanderausstellung "Hermannstadt - Jung seit 1191" gezeigt, die bereits in Straßburg und Berlin zu sehen war.
Vom 2. bis 5. Juli 2007 wird, wie der Beobachter des "Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien" beim EU-Parlament, Ovidiu Gant, berichtet, der EU-Kulturausschuß in Hermannstadt tagen, was auch Anlaß zu zahlreichen Extrafeiern sein wird. Um alles zu sehen oder mitzubekommen braucht der Hermannstädter die physische Kondition eines Marathonläufers und die Geduld eines indischen Fakirs.
Übrigens: die siebenbürgisch-sächsische Jugend war Mitte des 20. Jahrhunderts glühender Verehrer von Luxemburg, genauer von "Radio Luxemburg" mit seiner Schlagerparade. Es war der einzige Rundfunksender, den die Rumänen nicht störten. Die Schlagerparade von "Radio Luxemburg" war so der einzige Kontakt zum Westen. Auch dies schuf eine gesisse Nähe zu dem westeuropäischen Zwergstaat. Wie Verschwörer saßen die Jugendlichen um die seltenen Rundfunkgeräte. Selbst heute noch verspüren die inzwischen Erwachsenen eine leichte Gänsehaut, wenn sie die alten Schlager wie "Spiel mir eine alte Melodie" oder "Das machen nur die Beine der Dolores" auf zerkratzten Schallplatten hören.
Eine traditionsreiche Stadt der Theater und Museen
Nicht von ungefähr fiel die Wahl der EU-Kommission auch auf Hermannstadt, als es um die Wahl der europäischen Kulturhauptstadt ging. Der praktisch in der Mitte Rumäniens gelegene Ort zählt heute 170000 Einwohner, davon 1,6 Prozent Deutsche, also rund 2500 Personen. Ein Großteil der Deutschen hat Hermannstadt, wie auch den Rest Siebenbürgerns, verlassen. 1941 zählte die Stadt bei insgesamt 63000 Einwohnern noch 23500 Deutsche.
Hermannstadt blickt auf eine jahrhundertelange Tradition zurück. Das beachtliche kulturelle Erbe ist angesichts der einst extremen Randlage im äußersten Winkel erst Ungarns, dann der Habsburger Monarchie eine Überraschung für den gewöhnlichen Mitteleuropäer.
Noch heute tragen zwei Theater, eine Philharmonie, zwei Kinos, fünf Bibliotheken, fünf Kulturzentren, zehn Museen sowie sechs weitere verschiedene Kultureinrichtungen diese Tradition weiter. Vor allem besticht Hermannstadt durch sein hervorragendes Schulwesen, das auf eine fast 630jährige Tradition zurückblickt. Hier hatte der Sprachkünstler Oscar Pastior seine Wurzeln, wie auch der Raumfahrtpionier Hermann Oberth. Landesweit bekannt sind das deutschsprachige Brukenthal-Lyzeum, das rumänische Lyzeum "Gheorghe Lazar", die Hermannstädter Universität mit 38 Fakultäten und 12000 eingeschriebenen Studenten. 18 Prozent der Stadtbewohner haben einen Hochschulabschluß, weit mehr als im rumänischen Durchschnitt.
Theater spielten die Hermannstädter bereits im 16. Jahrhundert. Im Februar 1582 wurde die Vorstellung einer Schlacht aufgeführt. Ab 1756 fanden Vorstellungen - auch deutschsprachige - in einem Haus auf dem "Großen Ring" statt, das als "Blaues Haus" auch heute noch dort steht. Ab 1778 erschien das deutschsprachige "Theatral Wochenblatt".
Erst 1923 entstand das rumänische Theater, heute ist es zum Staatstheater "Radu Stanca" geworden. Eine deutsche Abteilung wurde hier 1956 gegründet und brachte neben Stücken aus dem Weltrepertoire vor allem Werke zeitgenössischer rumänischer und rumäniendeutscher Autoren wie dem Multitalent Christian Maurer auf die Bretter.
Die Staatsphilharmonie besteht seit 1949 und ist damit eine der ältesten Musikinstitutionen Rumäniens. Das späte Datum mag wundern, denn in Hermannstadt waren musikalische Veranstaltungen immer ein wichtiger Teil des städtischen Lebens. Hieronymus Ostermayer gründete hier im 16. Jahrhundert eine er der wenigen Orgelschulen Europas. Im Stadtarchiv werden Partituren aus dem 17. und 18. Jahrhundert aufbewahrt, unter anderem von Valentin Greef-Bakfark. Baron Samuel von Brukenthal verfügte als Gouverneur Siebenbürgens über ein festes Sinfonieorchester, das Mozarts "Die Entführung aus dem Serail" und Haydns Oratorium "Die Schöpfung" aufführte. Vor Hermannstädter Publikum standen Größen der europäischen Musik wie Franz Liszt, Johann Strauß, Joseph Joachim, Richard Strauß, Monique de la Brichollerie und Montserrat Caballé.
Das bekannteste der zehn Museen der Stadt ist das im Barockstil errichtete Brukenthalmuseum. Vor allem ist die Pinakothek bekannt, wo Werke der flämisch-holländischen Schule (Rubens) ausgestellt sind, der deutsch-österreichischen Schule (Lucas Cranach d. Ä.), der italienischen Schule (Alessandro Botticelli), wie auch der rumänischen Schule. Das Museum verfügt auch über ein Kabinett mit Kupferstichen der großen Meister der Renaissance und des Barock. E. K.
Foto: Die Lügenbrücke: Die kleine gußeiserne Brücke an der Piat a Mica aus dem Jahr 1859 soll der Sage nach einstürzen, falls ein Lügner sie betritt. Stimmt die Legende, dürften die Hermannstädter ein Musterbeispiel der Ehrlichkeit sein, denn die Brücke steht noch immer. Sie führt über einen alten Burggraben zur evangel |
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