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Bescheidenheit ist eine Zier, doch wenn es ums Selbstlob geht, zeigt die Große Koalition keinerlei Zurückhaltung. So sprach der CDU-Arbeitsmarktexperte Ralf Brausiepe dann auch kurz nach der Veröffentlichung der durchaus erfreulichen Arbeitsmarktzahlen vom Oktober von einer "hervorragenden Zwischenbilanz". Und Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) klopfte sich und seinem Ministerium selbst auf die Schulter: "Dieses Jahr hat sich gelohnt." Die Große Koalition dürfe stolz darauf sein, daß es 471000 Arbeitslos e weniger gebe als noch vor einem Jahr, was auf das 25-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm der Regierung zurückzuführen sei.
Und da die Bürger im Gegensatz zu den sie Regierenden im Laufe der Jahre bescheiden geworden sind, atmet man erleichtert auf, wenn es heißt, daß die Arbeitslosigkeit um 0,3 Prozentpunkte auf 9,8 Prozent gesunken sei, auch wenn die absolute offizielle Zahl von 4085000 durchaus auf alles andere als einen gesunden Arbeitsmarkt schließen läßt.
Die Tatsache, daß fast eine halbe Million Menschen in sozialversicherungspflichtige Jobs zurückgefunden haben, läßt aber Nachrichten von Massenentlassungen im fünfstelligen Bereich bei deutschen Großunternehmen wie Volkswagen, Telekom, Allianz, Post und DaimlerChrysler scheinbar leichter verkraften. Doch während die Jobs, die verschwinden, sogenannte Lebensarbeitsplätze waren, bei denen man einst davon ausgehen konnte, von der Ausbildung bis zur Rente mit dabei zu sein, und sich auf ein Mittelschichtsdasein einrichten konnte, sind die Stellen, die jetzt entstehen, meist nur kurzfristige Beschäftigungen, die eine längere Lebensplanung nicht zulassen.
Doch was sind das genau für Jobs, die laut Großer Koalition auch dank der intensiveren Betreuung von Arbeitslosen und der systematischen Aktualisierung von Bewerberangeboten besetzt werden konnten? Was ist auf das Bemühen der Regierung, was auf den konjunkturellen Aufschwung zurückzuführen?
Laut Angaben der "Bundesagentur für Arbeit" ist ein Großteil der Stellen in "unternehmensnahen Dienstleistungen, der wiederum zu einem größeren Teil von Arbeitnehmerüberlassungen getragen wird". In die Alltagssprache übersetzt heißt das, daß vor allem der Dienstleistungsbereich zugelegt habe, wobei hier selten Arbeitnehmer fest eingestellt, sondern über Zeitarbeitsfirmen gebucht worden seien. So darf sich die Zeitarbeitsfirma "Randstad" als größter Arbeitsplatzbeschaffer fühlen, da hier nach Angaben der Firma 2006 10000 neue Arbeitsverhältnisse geschaffen wurden. Laut "Bundesverband Zeitarbeit Personaldienstleistungen e. V." werden die Leiharbeiter von "Randstad", "Manpower", "adeco" und Co. in allen Qualifzierungsstufen abgefragt. Vom Hilfsarbeiter über den Facharbeiter zum Ingenieur würde alles von den Unternehmen angefordert, wobei die Nachfrage nach besser Qualifizierten nicht vollständig bedient werden könne. Auch gibt der Bundesverband an, daß knapp 30 Prozent der Zeitarbeiter früher oder später bei ihrem Einsatzort in Festanstellung übernommen werden. Belege gibt es allerdings nicht, der Wert sei nur eine Schätzung.
Überhaupt spricht die Tatsache, daß vor allem der Zeitarbeitsmarkt boomt, dafür, daß die Unternehmen dem Konjunkturaufschwung nicht trauen, von möglichen strukturellen Verbesserungen durch die Arbeit der Großen Koalition einmal ganz abgesehen. Auf der Wunschliste der Wirtschaft stehen Punkte wie Senkung der Lohnnebenkosten und Lockerung des Kündigungsschutzes ganz oben. Die Tatsache, daß die Dienste der Zeitarbeitsfirmen nachgefragt werden, belegt auch diesen Wunsch, denn der Vorteil von Zeitarbeitsfirmen ist eben das Faktum, daß die Unternehmen sich auf nichts festlegen müssen und je nach Bedarf Personal buchen können. Da Zeitarbeitsunternehmen nicht umsonst arbeiten, geht aber unnötig Geld verloren, von dem sonst der Arbeitnehmer profitieren könnte.
Neben der Zeitarbeitsbranche wurde laut "Bundesagentur für Arbeit" auch im Bereich Verkehr- und Nachrichtenübermittlung sowie im Gesundheits- und Sozialwesen ein Zuwachs an Beschäftigung festgestellt. Inwieweit es sich hier um höher qualifizierte Aufgabenbereiche oder um reine Hilfsarbeiten handelt, ist nicht bekannt.
Branchen, in denen ein Rückgang der Beschäftigtenzahlen zu verbuchen ist, sind gemäß der Nürnberger Behörde das Kredit- und Versicherungsgewerbe, das verarbeitende Gewerbe und der öffentliche Dienst. Als positiv bewertet wurde die Tatsache, daß das Baugewerbe nur ein Minus von 0,2 Prozent meldete, so daß man hier sogar schon wagemutig von einer Trendwende spricht. Seit Mitte der 90er Jahre hat sich die Zahl der Arbeitnehmer beim Bau auf 700000 halbiert. Ähnlich in der Industrie, wobei Unternehmen im Maschinenbau, in der Chemieindustrie und in der Elektroindustrie nach einer Umfrage des "Deutschen Industrie- und Handelskammertages" inzwischen von einem Ausbau ihrer Kapazitäten im Inland sprechen.
Blickt man von der Arbeitslosenzahl auf die Zahl der Erwerbstätigen, dann wirkt alles Selbstlob der Großen Koalition wie Hohn. So meldet die "Bundesagentur für Arbeit" für August 39187000 Erwerbstätige, von denen 26563100 einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen - die mit ihren Sozialabgaben ein Land mit über 80 Millionen Einwohnern stützen sollen. |
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