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Als vor gut einem halben Jahrhundert das Fernsehen über uns kam, hatte der Homo sapiens bereits etliche zigtausend Jahrhunderte überlebt und sich vom tierischen Vorfahren zum denkenden, „klugen“, „weisen“ (so die wörtlichen Bedeutungen des lateinischen sapiens) Menschen entwickelt. Er hat dafür weder das Fernsehen noch andere „Segnungen“ unserer modernen Zivilisation benötigt.
Heute leben wir im sogenannten Medienzeitalter, und das bedeutet: Den Medien, insbesonderen den elektronischen, wird eine Bedeutung und Wichtigkeit zugemessen, als seien sie für das weitere Überleben der Menschheit geradezu unverzichtbar. Schon Kleinkindern „müssen“ mehrere Kinderkanäle zur Auswahl angeboten werden, Jugendliche „müssen“ rund um die Uhr zwischen Viva, MTV und weiteren, der Geräuscherzeugung dienenden Programmen zappen können, der erwachsene Mensch „muß“, wenn er nicht gerade arbeiten muß, auf „Marienhof“, „Verbote ne Liebe“, „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, „Vera am Mittag“ oder spätabends „TV total“ zurückgreifen können. Und natürlich „muß“ er, nach solch geballtem Bildungsangebot, die erworbene „sapientia“ messen können - Jauch und Pilawa helfen gern weiter.
Natürlich steckt dahinter ein gigantisches Geschäft. Wie die gegenwärtigen Turbulenzen der Kirch-Gruppe bestätigen, kann man mit Fernsehprogrammen Millionen, ja Milliarden verdienen - und auch verlieren. Aber was ist eigentlich an „Explosiv“ und „Brisant“, an „Richterin Barbara Salesch“ oder „Richter Alexander Hold“, an „Arabella“ oder „Bärbel Schäfer“ so wertvoll? Warum „müssen“ eigentlich zwei- bis dreistellige Millionenbeträge hingeblättert werden, damit der „Homo sapiens“ am frühen Abend den Titelkampf zwischen faustschwingenden Angestellten zweier verfeindeter Box-Verbände, kurz vor Mitternacht die „Austrian Giants“ bei einer nicht näher definierten Kraftsportart und morgens um drei die Vorrunde des olympischen Curling-Wettbewerbs „live“ miterleben kann.
Erinnern wir uns an die frühen 80er Jahre: Neben zwei bundesweiten gab es lediglich die Dritten Programme der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Aber private Anbieter bedrängten die Politik, forderten vehement Lizenzen und Frequenzen. Damals gehörte ich selber zu jenen Journalisten, die sich energisch für die Zulassung des privaten Fernsehens einsetzten. Unsere Argumente: mehr Meinungsvielfalt und steigende Qualität durch Konkurrenzdruck. Dies war - ich muß mich zu dieser Fehlleistung bekennen - eine total falsche Einschätzung. Die „political correctness“ hat sich weniger in den öffentlich-rechtlichen Monopolzeiten als vielmehr im Zeichen der neuen Meinungsvielfalt erst so recht entfalten können. Und nicht das Niveau von ARD und ZDF setzte Qualitätsmaßstäbe, sondern die rein quoten- und profitorientierte Niveaulosigkeit von RTL, Kirch-Sendern und anderen privaten Anbietern - je mehr Programme wir haben, umso schlechter, dümmlicher und primitiver werden sie allesamt.
Nun werden wieder Stimmen (von interessierter Seite gesteuert?) laut, die fordern, der Staat müsse Kirch „retten“, damit nicht ein noch Schlimmerer namens Murdoch einsteigt; außerdem gehe es um Arbeitsplätze. Muß der Staat wirklich? Zumindest sollte er sich etwas genauer anschauen, was er da retten soll. Dazu gehört auch diese Rechnung: Der Schaden, den jahrelange Berieselung mit Schmutz und Schund, mit Sex und Gewalt in den Köpfen und Herzen angerichtet hat, dürfte noch deutlich höher sein als der Schuldenberg der Kirch-Gruppe. Auf beides kann „Homo sapiens“ gut verzichten.
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