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Hubertus Knabe, Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen, beklagt das Messen mit zweierlei Maß. Während die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes in den Neuen Ländern auf eine mögliche Tätigkeit für die Stasi überprüft wurden, wolle man das den Westdeutschen offenbar nicht zumuten.
Knabe, dessen Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen zentralen Stasi-Untersuchungsgefängnisses in Ost-Berlin die Erinnerung an die SED-Verbrechen wachhält, kann nicht nachvollziehen, mit welcher Begründung sich die Fraktionen von Union und SPD dagegen ausgesprochen haben, mögliche Stasi-Verstrickung en von Bundestagsabgeordneten von 1949 bis 1990 wissenschaftlich untersuchen zu lassen.
Die Birthler-Behörde hatte bereits mit der Auswertung einschlägiger Stasi-Unterlagen begonnen. Dabei ging es zunächst um den spektakulärsten Fall von Stasi-Einflußnahme im Bonner Parlament: 1972 hatte der DDR-Geheimdienst Abgeordnete bestochen und so das Mißtrauensvotum gegen Bundeskanzler Brandt gestoppt. Anhand unterschiedlicher Quellen ermittelte die Behörde die Namen von über 40 der damals knapp 500 Bundestagsabgeordneten. Allerdings bedeutete eine Registrierung westdeutscher Politiker noch lange nicht, daß diese auch aktiv als Spitzel tätig waren oder bloß "abgeschöpft" wurden. Schon seit 1973 war der Fall des CDU-Parlamentariers Julius Steiner bekannt, der ein Jahr nach dem Skandal zugab, seine Stimme für 50000 D-Mark an die Staatssicherheit verkauft und seinen Parteichef Rainer Barzel verraten zu haben. Der 2006 verstorbene Ex-Chef der DDR-Auslandsspionage Markus Wolf prahlte damit, seinerzeit "in Fraktionsstärke" mit seinen Leuten im Bundestag vertreten gewesen zu sein.
Noch bevor die Mitarbeiter der Birthler-Behörde jedoch ermitteln konnten, wer tatsächlich Wolfs "Fraktion" noch angehörte, wurde ihre Forschergruppe durch die Behördenleitung plötzlich aufgelöst.
Im Sommer 2006 erst wurde der Abbruch der Aufklärungsarbeit zum Gegenstand der Medien. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) schlug davon aufgeschreckt vor, ein Gutachten über die Stasi im Bundestag durch das Parlament selbst in Auftrag zu geben. Als sich Hubertus Knabe unlängst erkundigte, was aus dem Auftrag geworden sei, antwortete ihm der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Norbert Röttgen. In seiner Antwort spielt er die erwartenden Ergebnisse einer solchen Untersuchung einerseits herunter. Andererseits aber warnt Röttgen vor der angeblichen Gefahr, in der öffentlichen Wahrnehmung könnten die Namen von Opfer und Tätern der Stasi durcheinandergebracht werden (Abgeordnete, die als Spitzel tätig waren, und solche, die nur beobachtet wurden). Außerdem pocht Röttgen auf das "Recht auf informationelle Selbstbestimmung" der Parlamentarier. Sein SPD-Kollege Olaf Scholz pflichtete ihm in vollem Umfang bei, das sei auch die Position der Sozialdemokraten. Die Fraktionsgeschäftsführer aller übrigen Bundestagsparteien schlossen sich dem Votum an.
Der Chefin der Stasi-Unterlagen-Behörde, Marianne Birthler, welche die Forschung Anfang 2005 stoppte, wirft Hubertus Knabe ebenso wie den Fraktionen von Union und SPD vor, die notwendige Forschung zu blockieren. Sogar Birthlers Angabe, "nur" drei Bundestagsabgeordnete der bislang untersuchten Wahlperiode 1969-72 seien Stasi-Agenten gewesen, stimme nicht, es seien "mindestens" vier gewesen.
Theoretisch bleibt es jedem offen, selbständig nach möglichen Stasiverstrickungen von Politikern zu suchen. Praktisch ist dies ohne ausreichende Mittel jedoch so gut wie unmöglich. Die Stasi-Auslandsspionage hatte ihre Akten 1989 vernichtet, die als "Rosenholz-Datei" bekannt gewordenen Unterlagen griff sich jedoch rechtzeitig die amerikanische CIA, die seit 2000 etwa 350000 Datensätze an Deutschland übermittelte. Hinzu kommen andere Quellen. Das Material ist gewaltig, lückenhaft und oft schwer leserlich. Nur ein professionelles, mit Mitteln ausreichend ausgestattetes Forscherteam also wäre in der Lage, den Stasi-Aktivitäten im Bundestag wirlich auf die Schliche zu kommen. Daher nennt Knabe die Verweigerung der Mittel durch Bundestag und Birthler-Behörde eine "Blockade der Forschung".
Nach Fällen wie dem des FDP-Linksauslegers und Stasi-Agenten William Borm, der sich zuletzt besonders eifrig gegen den Nato-Doppelbeschluß engagiert hatte, liegt der Verdacht nahe, Union, SPD, FDP und Grüne (von der PDS kein Wort) wollten ihre Parteigeschichte "sauberhalten". Für einstige DDR-Bürger, die sich gründlich unter die Lupe nehmen lassen mußten, könne dies jedoch nur als Hohn aufgefaßt werden, kritisiert nicht allein Knabe. Auch CDU/CSU-Fraktionsvize und Ex-DDR-Bürgerrechtler Arnold Vaatz versteht die Haltung aller Bundestagsparteien nicht und will wissen, warum "der Bundestag unter einen besonderen Schutz gestellt wird".
Parlamentarier, für die etwaige Ungeschicklichkeiten im Umgang mit einem in US-Haft sitzenden türkischen Staatsbürger (Kurnaz) eine "rückhaltlose Aufklärung" erfordern, sehen keinen Aufklärungsbedarf, wenn womöglich "Fraktionsstärken" demokratischer Volksvertreter illegal für eine Diktatur gearbeitet haben - das ist in der Tat schwer nachvollziehbar.
Bundestag 1972: Wer war wissentlich oder unwissentlich Zu |
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