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Nur stümpernde Schachspieler hoffen darauf, daß sich im Fortgang des Spielverlaufs das Geschehen auf dem Feld "irgendwie" entwickeln wird; Kenner bedenken lange vorher selbst den ersten Zug, weil von da an der Gegner das Geschehen mitbestimmt. Als sich vor über 70 Tagen die Nato unter der Ägide der USA auf das Abenteuer eines Balkanfeldzuges einließen, war man in Nato-Europa ebenfalls der Meinung, das würde sich schon "irgendwie" entwickeln, schließlich war man ja an der sicheren Seite einer siegreichen Weltmacht.
Doch die Macht, die unser Jahrhundert bestimmt, ließ wohl nicht die Militärs gewähren. Die Politik, allemal fasziniert von jenen Ideen der Menschenrechte , die sich so fabelhaft einfach auch außenpolitisch instrumentalisieren lassen, befanden offenbar bindend für das Bündnis, daß eine Luftschlacht das rechte Mittel sei, um den damned-Boys die Flausen von ethnischer Selbstbestimmung auszutreiben. Doch da man in Washington längst auch die Erfahrungen der alten Welt von vor 1945 auszuschlagen können vermeint, galt ihnen auch das Urteil des Historikers Julius v. Farkas wenig: "Der Partisanenkampf wurde geradezu zu einer serbischen Lebensart, der Partisan, der sich in seiner Ungesetzlichkeit kaum von einem Banditen unterschied, zu einem wahren Volkshelden".
Die allnächtliche Bombenlast aus den Schächten der US-Tarnkappenbomber auf Brücken, Wohnviertel und Raffinerien bewirkten daher auch keineswegs Kapitulationsbereitschaft. Denn obschon die Bomben auch Kasernen, Depots und Nachrichtenzentralen trafen, wurde das serbische Militär, das auf Hinterhalt und Franktireurtum angelegt ist, nicht prinzipiell geschwächt. Es ist nämlich die schlichte Logik des Untergrundkampfes, daß er keiner aufwendigen Aufmärsche und gebündelter Artillerie- oder Panzereinheiten bedarf.
Immerhin wäre von bundesdeutscher Seite ein nachdrücklicher Hinweis hilfreich gewesen, daß die bloße Blockade der vier oder fünf Gebirgspässe, die das Amselfeld von Serbien trennen, mit Fallschirmjägern vergleichsweise mühelos zu bewerkstelligen gewesen wäre, den Rest hätte dann in der Tat die Luftwaffe gefahrlos besorgen können. Doch entweder ist das Wissen um diese Möglichkeit in der Hardthöhe schon in Vergessenheit geraten, oder es wirkt gar immer noch jener Gehorsam weiter, der eigentlich unter Ebenbürtigen unüblich sein sollte. So aber konnte es kommen, daß sich das ursprüngliche Kriegsziel, die Austreibung der Albaner zu verhindern, sich unter den Augen der staunenden militärischen Laien ins Gegenteil verkehrte. Kurzum: "Der Luftkrieg war kontraproduktiv" (Peter Scholl-Latour).
Seit sich nunmehr die europäischen Regierungen darin großtun, daß sie Frieden gestiftet hätten (Europawahl?), stellt sich erneut die Frage nach dem Ziel: Herrscht tatsächlich Friede, wenn die Albaner zurückkehren? Beginnt nicht dann erneut der Status quo ante zu triumphieren? Denn nichts wäre falscher, als anzunehmen, daß die hochfliegenden Leidenschaften nunmehr angesichts der Opfer und Zerstörungen auf beiden Seiten angesichts einrückender Uno-Truppen (nebst Nato-Gefolge!) besänftigt würden. Im Gegenteil: Uno hin, Uno her, mit dem Einzug fremder Truppen schlägt auch die nächtliche Stunde rasch schlitzender Messer. Wer immer mit der Idee des Balkan-Krieges zuerst gespielt haben mag, er hat vermutlich für weitere hundert Jahre balkanische Verhältnisse fixiert.
Daran dürfte auch der so denkwürdig großherzig genannte Schröder-Plan, wie die Hilfe in Anlehnung an den Marshall-Plan von einst genannt werden soll, wenig ändern. Noch ist die Kostenverteilung, gegenwärtig 70 Milliarden Mark, strittig, es darf aber schon gewettet werden, wer zahlt. Ob am Ende als unerwarteter politischer Gewinn eine Distanz der EU-Staaten zu den am Fortgang der Kämpfe offenbar interessierten USA ansteht, bleibt noch abzuwarten. Frankreich wäre es zuzutrauen, aber Bonn? Immerhin stünde es der Berliner Republik gut an, wenn Egon Bahrs Feststellung: "Wir haben die völkerrechtliche Souveränität seit 1991, aber im Denken sind wir noch nicht so weit" Gestalt annähme. Wenigstens "irgendwie".
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