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Für immer geschlossen

 
     
 
Ohne Zweifel haben sich die Aufgaben des Bundesgrenzschutzes nach dem 3. Oktober 1990 verändert. Aber keinesfalls so, daß heute, bei einer Bevölkerungszahl von 82 Millionen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland, weniger Einsatzabteilungen benötigt werden als vor der Vereinigung, als nur wenig über 60 Millionen Menschen in der "alten" Bundesrepublik Deutschland lebten. Ebenso unbestritten ist, daß die Kriminalität
srate in den letzten Jahren angestiegen ist. Der Bundesgrenzschutz hat außerdem die Aufgaben der früheren Bahnpolizei mit übernehmen müssen.

Dies, obwohl die Bekämpfung der Kriminalität in Deutschland immer die Aufgabe der Landespolizeien war. Darauf haben die Länder bisher sogar ausdrücklich bestanden. Nur in besonders schweren Ausnahmefällen wie Terror und Aufruhr darf laut Grundgesetz der Bund mit eigenen Kräften, also mit Bundeskriminalamt und Bundesgrenzschutz, einschreiten. Für die zusätzlichen Aufgaben der Bahnpolizei hat der BGS statt dessen die entsprechenden Kräfte der Bahn einfach übernommen.

Vor diesem Hintergrund also wird jetzt im Hause Kanther eine sogenannte Reform II in Angriff genommen, die zunächst davon ausgeht, daß die Zahl der Einsatzabteilungen des Bundesgrenzschutzes halbiert werden soll. Da stellt sich die Frage, ob das BGS-Gesetz aus dem Jahre 1951 überhaupt noch eine Bedeutung hat.

Nicht vergessen werden sollte, daß nicht allein die Schlagkraft des BGS von den vorgesehenen Eingriffen beeinträchtigt werden könnte. Durch die Auflösung der Hälfte der bisher bestehenden Einsatzabteilungen ergeben sich darüber hinaus auch vielfach menschliche Probleme. Da geht es um das noch nicht abgezahlte Haus, um den notwendigen Schulwechsel der Kinder, um den Arbeitsplatz der Ehefrau und vieles andere mehr. Nach einem Punkteplan will man dieses Problem lösen. Aber ob sich solche Probleme nach einem Punktsystem lösen lassen, ist fraglich. Die Einsatzfreude der Betroffenen wird sinken – und damit die Moral der Truppe.

Der Bundesgrenzschutz bewährte sich in all den Jahren seines Bestehens. Er wurde zu einer "Elitetruppe". Die Grenzschutzabteilung 9 (kurz "GSG 9") und ihr Einsatz zur Befreiung der RAF-Geiseln in Mogadischu 1977 wurden zu einer Legende. Dabei darf nicht übersehen werden, daß der Bundesgrenzschutz 1956 bei der Aufstellung der Bundeswehr 50 Prozent seiner Offiziere und Unteroffiziere dahin abgegeben hat. Der Rest waren Bundespolizisten, die den Aufbau eines neuen Deutschland ernst nahmen und bereit waren, dafür einzustehen.

Nun ist die Aufgabe des Bundesgrenzschutzes – der Polizei des Bundes –, heute keinesfalls nur der Schutz der Grenze. Als 1951 das Gesetz über den Bundesgrenzschutz beraten wurde, stand natürlich die Konfrontation mit der DDR mit im Vordergrund, aber der eigentliche Grund für die Aufstellung einer Polizeitruppe des Bundes waren damals drohende Streiks der Kommunisten. Die Länder hatten zu der Zeit noch keine einsatzkräftigen  Landespolizeiverbände. Der damalige Bundesinnenminister Lehr war es, der gegen die Stimmen der SPD das erste Grenzschutzgesetz durchbrachte. Der BGS blieb fünf Jahre darauf trotz des o.g. Aderlasses von Offizieren und Unteroffizieren an die neue Bundeswehr eine einsatzbereite und verläßliche Polizeitruppe des Bundes, wie sie in der Vergangenheit in Deutschland nie bestanden hatte. Sogar die preußische Landespolizei, die in den wirren Jahren der Weimarer Republik einen ausgezeichneten Ruf genoß, konnte mit dem Bundesgrenzschutz nicht konkurrieren, wie ein Kenner der damaligen Zeit noch 1969 bestätigte.

Zur Zeit der sozial-liberalen Koalition wurde jedoch schon der erste Versuch unternommen, den BGS, diese vorbildliche Polizeitruppe des Bundes, zu demontieren. Den Gewerkschaften waren die militärischen Dienstgrade nicht genehm. Minister Prof. Werner Maihofer (FDP), der von 1974 bis 1978 Bundesminister des Innern war, setzte daraufhin 1976 ein "Personalstrukturgesetz" durch. Danach wurden im BGS die Generäle abgeschafft und die Räte eingeführt. Der bisherige Leutnant wurde Kommissar, der Major Polizeirat, der Oberst Direktor im BGS und der General Kommandeur. Das Personalstrukturgesetz des BGS von 1976 schwächte die Vertreter einer bestimmten, patriotischen Haltung in der Truppe, wirkte sich auf die Einsatzfähigkeit der Abteilungen aber nicht negativ  aus. Allerdings wurde der Korpsgeist der Polizeitruppe, der bis 1976 außerordentlich stark entwickelt war, von dem Zeitpunkt an schwächer. Heute gibt es nach Einschätzung gut informierter Beobachter überhaupt keinen Korpsgeist mehr im Bundesgrenzschutz.

In der Zwischenzeit sind schließlich weitere Veränderungen geschaffen worden. Die Grenzschutzkommandos werden mittlerweile nicht mehr durch Kommandeure geführt, sondern von "Präsidenten" geleitet. Die Kommandeure der Einsatzabteilungen des BGS dürfen sich so auch nicht mehr nennen, sondern sind jetzt "Einsatzabteilungsführer". Kommandeur war wohl auch noch zu militärisch, was abermals die Gewerkschaften zu stören schien. Ob die Bezeichnung "Führer" geschickter ist, bleibt eine Frage für Psychologen.

Von den bisher 20 Einsatzabteilungen des Bundesgrenzschutzes bleiben nur noch zehn bestehen. Alle anderen Abteilungen werden aufgelöst und deren Angehörige den neu zu schaffenden 98 BGS-Inspektionen mit einer jeweiligen Stärke zwischen 60 und 450 Mann zugewiesen. Diese Inspektionen lassen einen geschlossenen Einsatz der ihnen unterstellten Bundespolizisten nicht mehr zu, denn deren Organisationsform entspricht eher einer kommunalen Polizeidienststelle. Das sieht dann in Zukunft so aus: Der Beamte, der nicht mehr kaserniert ist, kommt zum Schichtbeginn in die Dienststelle der Inspektion, geht an seinen Spind und vertauscht seine Zivilkleidung mit der Uniform. Dann macht er acht Stunden Dienst – auf Bahnhöfen, Flughäfen oder an der Grenze –, vertauscht danach die Uniform wieder mit seinen Zivilsachen und ist ab jetzt für seinen Vorgesetzten nicht mehr erreichbar. Hinzu kommt außerdem, daß heute 20 Prozent der Beamten Frauen sind, deren Leistungsfähigkeit von keinem Einheitsführer in Frage gestellt wird. Im Gegenteil, man hört nicht selten, daß ihr Leistungsvermögen besser sei als bei vergleichbaren Dienstgraden der Männer.

Die Form des Einsatzes der Bundespolizei im Rahmen von Inspektionen mag in einzelnen, besonders gelagerten Fällen geboten sein. Sie aber generell dem Bundesgrenzschutz überzustülpen, erscheint zumindest fragwürdig. Der Bund schwächt vermutlich mit dieser Reform II seine innenpolitische Position. Das Gewaltmonopol des Staates ist noch schwieriger aufrechtzuerhalten, denn die Bundespolizei ist bald nur noch eingeschränkt verwendbar. Das, obwohl die Kriminalitätsrate wie erwähnt von Jahr zu Jahr ansteigt. Es ist daher kaum verwunderlich, daß sich die Länder immer häufiger um Unterstützung an das Bundesinnenministerium wenden; aber es kann nicht akzeptiert werden, daß die Länder ihren Polizeiapparat "verschlanken", also verringern, um Kosten zu sparen, und dafür dem Bund zusätzliche Aufgaben zuweisen.

Darüber hinaus muß die Frage gestellt werden, ob man nach der Verringerung der Einsatzabteilungen noch fünf Grenzschutzpräsidien und 19 BGS-Ämter benötigt? Inspektionen ohne Einsatzformationen können nicht mehr geführt werden, wie es einmal die Aufgaben der Grenzschutzkommandos waren. Warum werden diese nicht mehr benötigten Verwaltungsstäbe nicht auch verringert? Mit dem Personal eines Grenzschutzpräsidiums "ohne Unterleib" kann Sicherheit jedenfalls nicht erreicht werden.

Der Bundesgrenzschutz ist 1951 aufgestellt worden, um die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu gewährleisten. Die Demarkationslinie zur sowjetischen Besatzungszone spielte lediglich für die Namensgebung eine Rolle, denn damals war man noch der Meinung, daß die westlichen Besatzungsmächte ihre Rechte an der Demarkationslinie wahrnehmen würden. Der Bundesgrenzschutz war also vor allem ein nach innen gewandtes Instrument der jungen Republik. Ihn zusammenzuschmelzen mit dem Argument, seine Hauptaufgabe sei mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und der (vor dem Hintergrund der jüngsten Fluchtwelle nach Deutschland zu Recht ins Gerede gekommenen) Grenzöffnung unter dem Schengener Abkommen hinfällig geworden, ist daher unglaubwürdig. Wer seine Organisation heute nun so elementar verändert, muß sich die Frage gefallen lassen, ob er allen Ernstes davon ausgeht, daß es in der Bundesrepublik Deutschland ernste innere Spannungen, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr geben werde. Erinnert werden soll nur an die militanten Demonstrationen anläßlich des letzten Transports von Atommüll in Castorbehältern nach Gorleben. Bei diesen außerordentlich gefährlichen Einsätzen mußten die Einheiten mühsam zusammengestückelt werden. Die Einheitsführer kannten zum Teil ihre Beamten nicht, weil sie aus verschiedenen Formationen abgeordnet worden waren. Das erhöht keinesfalls die Schlagkraft der Truppe und die Führungsfähigkeit des leitenden Offiziers.

Die Reform II ist dennoch verabschiedet worden. Der Minister Kanther steht dafür und vertritt diese Reform auch. Ob er allerdings die sicherheitspolitische Situation in der Bundesrepublik Deutschland richtig beurteilt, erscheint äußerst ungewiß.

Die Stimmung im Bundesgrenzschutz ist zum Jahresende 1997, dem 46. Jahr seit seiner Gründung, nicht positiv. Resignation greift um sich. Ob in Duderstedt oder Uelzen: Der Frust nimmt zu.

Mögen der Bundesrepublik Deutschland in den kommenden Jahren gewalttätige Großdemonstrationen erspart bleiben, denn das Abwehrpotential reicht für Vorkommnisse wie gegen das Atomkraftwerk in Brockdorf oder Castor-Transporte nach Gorleben nicht mehr aus.

 
     
     
 
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