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Die Keilerei mit den Italienern kam gerade rechtzeitig zur Urlaubssaison. "Deutsche im Ausland" ist seit Jahren ein Thema für Schlagzeilen. Woran erkennt man uns? Danach forschen wir, solange es ein Ausland gibt und versuchen verbissen, jeden Hinweis auf unsere Herkunft zu tilgen. "Weiße Socken in Sandalen" haben polyglotte Germanen als typisches Kainsmal ausgemacht und hacken seitdem auf dieser deutschen Unart herum. Das schrie nach Rache: Millionen von Deutschen lassen sich diese ewige Hänselei nicht länger bieten und schlagen mit entsetzlicher Härte zurück. Um der Welt zu zeigen, wie schön die Sandalen-Socken-Kombi wirklich ist, haben sie sich diesen Sommer allesamt Gummilatschen (!) angezogen.
Einst trugen wir die Dinger bloß in öffentlichen Bädern, um unappetitlichen Mitbringseln an den Füßen zu entgehen. Ein Weile hatten wir sie auch am Strand an - bis wir merkten, daß die Latschen beim Gehen den Sand bis auf Nackenhöhe emporschleudern und uns die eingecremte Rückfront versauen. Wer heute über die Straße einer deutschen Großstadt läuft, sieht junge Leute jedoch in der Schuhwerk-Parodie mitten durch die Fußgängerzone schlappen. Grausiger Anblick - aber das haben sie jetzt davon, die Sandalen-Socken-Verächter.
Ausgebrochen ist die Latschenpest vermutlich in den Mittelmeerländern. Denen ist das zuzutrauen. Und uns Deutschen ist es ja eigen, dem Eigenen nicht zu trauen und den anderen alles nachzumachen, also legten wir - zunächst nur im Urlaub - das gruselige Fußkleid ebenfalls an. Doch: Am liebsten hätten wir bekanntlich immer Urlaub. Also kroch die Latsche irgendwann mit uns zurück über die Alpen.
Die Sandalen-Socken-Sache ist indes nicht die einzige deutsche Tradition, die im Ausland unter die Räder kam. Wer beispielsweise traut sich heute noch, im Café eine schöne, magenruinierende Tasse Filterkaffee mit Milch aus dem Plastiknapf zu bestellen? Früher wußten wir noch, daß Espresso erstens zu stark ist und zweitens viel zu wenig Flüssigkeit für s Geld bietet. Heute ist uns selbst der Espresso nicht mehr weltläufig genug, man ordert einen "Latte Macchiato". Einfach schick! Eines Tages werden wir sogar herausbekommen haben, wie man das ausspricht.
Das erste Opfer unserer Vermittelmeerung wurde schon vor Jahrzehnten das Biertrinken. Wein sei mondäner, lag man uns in den Ohren, und wir sind gute Zuhörer. Sozialversicherte Ferien-Aussteiger fügten dem bloßen Weintrinken ihre Verbundenheit mit dem armen Volk "da unten" hinzu und verlagerten sich demonstrativ auf preiswerte chemikalische Kanisterplörre, die mangels Nahrungsmittelkontrolle mancherorts noch als Rebensaft durchging. Davon wurden sie blind für die Vorgänge in ihrer Umgebung, insbesondere für die spöttelnden Blicke der Einheimischen, die sich (gemütlich versammelt beim deutschen Import-Bier) gar nicht wieder einkriegen wollten vor Spaß an der Vergiftungsorgie der nordischen Trottel.
Was wir auch tun, der Deutsche in uns quillt doch immer wieder hervor. Insbesondere in Sachen schlechtes Gewissen lassen wir uns von niemandem auf den zweiten Platz verweisen. Haben Sie s auch schon bemerkt? "Die Deutschen" haben sich unter Hitler versündigt, aber die "Europäer" (also irgendwie auch die Deutschen) haben die Indianer ermordet und die Schwarzen versklavt - und nicht etwa "die Amis", "die Briten" oder "die Holländer". So ist deren Mördergrube immer auch die unsere.
Unser schlechtes Gewissen nehmen wir überall mit hin. Sogar in den deutschen Wald. Bis in die 70er Jahre wohnten dort bloß Rehe, Zwerge und alte Nazis ("deutscher" Wald!). Als wir in den 80ern selbst wieder hineingingen, kam unser treuer Begleiter selbstredend mit und nannte sich fortan "Waldsterben". Vergangene Woche hat uns ausgerechnet die grüne Umweltministerin eine herbe Enttäuschung eingebracht: Das Waldsterben, so Frau Künast, hat es nie gegeben. War nur halt ziemlich trocken in den Jahren 82 und 83. Also alles nur Einbildung? Egal, Spaß gemacht hat die Sache trotzdem.
Nur eingebildet haben wir uns übrigens auch die Steuerreform. Nach und nach kehrt die Realität zurück. Eine Steuererhöhung nach der anderen hebt ihr scheußliches Haupt, grinst uns frech ins schreckverzerrte Gesicht. Wer sich in den Jahren der Energiekrise (auch so ein Prachtwerk unserer blühenden Phantasie) zum Dieselfahrer hat umerziehen lassen, den beißen bald die Hunde. Und vollends Schluß mit Lustig ist spätestens 2005. Damit uns der Konsumrausch nicht gesundheitsschädlich zu Kopf steigt, haben der alte und die Gesundheitsminister(in) beschlossen, uns ab dann das Taschengeld wieder drastisch zu kürzen.
Aber 2005 ist noch lange hin. Nur müßten wir Eichel in der Zwischenzeit irgendwo einsperren, sonst denkt er sich bereits bis Dezember wieder was aus. Oder wir schicken ihn für eine Weile weg: Im August will ja der Kanzler doch noch nach Italien fahren. Warum nimmt er seinen Hans nicht mit? Das gäbe Bilder für die Presse: Eichel mit Zigarre im Mundwinkel, wie er in einem dunk-len Hinterzimmer ein paar abgerissenen neapolitanischen Straßendieben erklärt, wie man an das Geld anderer Leute kommt - "im ganz großen Stil, ihr kleinen Scheißer!"
Halt, stopp! Sind wir nicht ein bißchen hart mit unserem Eichel? Vielleicht liegt es ja gar nicht an ihm und seinen Spießgesellen, sondern am Wetter? Eines fällt auf: Je wärmer es in Deutschland wird (seit 1900 um ein Grad, sagt man), desto entspannter, südländischer werden auch wir. Nun, Zitronen blühen bei uns noch keine und ausgesetzte Palmen machen im Winter regelmäßig schlapp. Aber viele andere schöne Dinge, die es früher nur im Süden gab, haben wir schon: Unpünktliche Eisenbahnen, blödsinnige Streiks oder verrottete Staatsfinanzen beispielsweise kannte das kalte Altdeutschland nicht. Mit der vielen Sonne ist das jetzt auch bei uns zu Hause. Dank Jürgen Peters bekommen wir mit der IG Metall demnächst sogar eine richtig kommunistische Gewerkschaft - wie die Franzosen! Da kann das mit den Zitronen nicht mehr lange dauern, zumal wir uns die aus dem Laden ab 2005 ohnehin nicht mehr leisten können.
Espresso tut s nicht mehr: Wir trinken jetzt "Latte Macchiato" - aber wie spricht man das aus? |
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