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Gedanken für Intellektuelle

 
     
 
Politiker haben es nicht leicht, klagen Politiker. Wenn sie mal eine Idee haben, die den ersten Hahnenschrei übersteht, lauern überall sogenannte "Gremien" und Wahlkampfstrategen und Fachleute, die alles kaputtreden. Überdies ist ihr Ansehen in der Öffentlichkeit hin. Menschen gehen spontan ins Bett, wenn ihnen ihr Abgeordneter einen "Guten Morgen" wünscht - denn der hat bestimmt schon beim Gruß gelogen und es ist vermutlich später Abend.

In dieser Lage darf es nicht überraschen, wenn den Job des Politikers
keiner mehr will. Die Parteien gehen in ihrer Not dazu über, ihre Mitgliedsausweise zu verhökern wie Drückerkolonnen ihre Heftchen- abos. Super-Prämien gibt s für jeden, der anbeißt, verspricht die SPD: der kriegt nämlich die "SPD-Card". Wer die hat, für den sind Autos, Reisen, Versicherungen und vieles mehr zum Schnäppchenpreis zu bekommen. Dazu kann man per Internet im SPD-"Image-Shop" shoppen gehen, wo das "SPD-Riesen-Seifenblasen-Spiel Pustefix Großer Ring" oder das SPD-Kondom "feel good" ("für Schwule extra stark") den Kaufrausch entfacht. Jaaaa! Reicht das etwa nicht, um "Politik wieder attraktiv zu machen"?

Wie jedes große Warenhaus hat die SPD mit notorisch unzufriedenen Kunden zu ringen, die das Kleingedruckte überlesen und ihre Rechnung nicht bezahlen wollen. So sollte der im Februar beigetretene Badener Jens Ammoser wenigstens für den Kreistag kandidieren, nachdem er schon zwei Wochen Genosse war und in den sagenhaften "Specials" der SPD-Card-Angebote schwelgen durfte. Doch über Nacht bereute der 52jährige seine frühe Kaufentscheidung, fuhr nach Mannheim und haute dem Eben-noch-SPD-Chef und Kanzler Schröder eine runter. Jetzt gehe es ihm wieder gut, sagt er, er kriege richtige Fan-Post ("An den Helden von Mannheim"), fühle sich als Märtyrer und erwarte Angebote von der Konkurrenzfirma CDU. Da sollte sich der arbeitslose Lehrer nicht zuviel versprechen. Die CDU hat, wenn man ihrer Internetseite folgt, die Zeichen der Schnäppchenzeit verschlafen. Keine Reisen, kein Pustefix, nicht mal ... na ja. Statt dessen soll man spenden! Und damit wollen die Mehrheiten machen.

Erstaunlich ist, daß die Freien Demokraten den Einstieg ins Schnäppchen-Busineß offenbar ebenfalls noch nicht geschafft haben. Bloß den faden Krempel wie Luftballons, Feuerzeuge oder Kugelschreiber bieten die Liberalen auf "fdp.de" feil. Sind Westerwelles Getreue etwa rückständig? Das scheint nur so. Gerade zur Europawahl zeigt die kleine Partei, daß sie das Geschäft verstanden hat. Pech haben in der Politik nämlich nur solche Akteure, die etwas fordern, was unter Umständen sogar durchgesetzt werden könnte. Die stehen am Ende mit lauter halben Sachen da und müssen sich als Watschenmann hergeben - für die Gegner des Vorschlags sowieso und für seine Befürworter, weil wieder alles anders wurde als anfangs versprochen. Als echte Profis lassen sich die Liberalen auf solche Horrortrips nicht mehr ein und fordern zur Europawahl etwas, von dem sie wissen, daß es ohnehin nie durchkommt: eine Volksabstimmung über die EU-Verfassung. Selbstredend wollen die Freien Demokraten so eine Abstimmung so wenig wie die anderen. Aber im Wahlkampf funkelt die Forderung so hell und bunt, daß danach keiner mehr fragt.

Das sind die Wonnen der Opposition, für die die Grünen ihre gelben Kontrahenten maßlos beneiden. Einst im Mai durften sie das ebenfalls: herumziehen, und an jeder Türschwelle mehr "Bürgerbeteiligung" versprechen. Dann kamen sie 1998 an die Regierung und würgten schrecklich daran, von dem Partyversprechen wieder runterzukommen. Joschka Fischer schraubte einige entsetzlich umständliche Formulierungen in seine Erklärungen. Kurz gesagt ließ Fischer uns wissen: Die Leute dürfen nur so lange selber abstimmen, wie das voraussichtliche Ergebnis den Vorstellungen der Grünen entspricht. Alles andere wäre "purer Populismus". Wie der Vorschlag eines Göttinger Wirtschaftsprofessors, der einen Fragebogen entwickelt hat, mit dem die Wirtschaftskompetenz der Kandidaten zur thüringischen Landtagswahl am 13. Juni überprüft und zensiert werden sollte. Eine Allparteienkoali-tion aus CDU, SPD, PDS und Grünen wies diesen Vorstoß empört zurück, da er "einen massiven Eingriff in den Wahlkampf darstellt", wie Landtagspräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) den frechen Gelehrten wissen ließ. So weit ist es gekommen: Hergelaufene Professoren, die weder die SPD-Card noch eine CDU-Spendenbescheinigung in der Tasche haben, greifen in den Wahlkampf ein. Nur im unerfahrenen FDP-Spitzenkandidaten (die sitzen gar nicht im Landtag) Uwe Barth fand der Göttinger Ökonom zunächst ein williges Opfer für seinen "Eingriff". Dann sagte auch Barth kurzfristig ab - "Wahlkampftermine". Wer hätte die voraussehen können?

Ja, Politiker sein ist zur Zeit alles andere als leicht. Doch auch Bürger sein hat sein Tücken. Nun ist also Wahlkampf. Europawahlkampf. Haben wir mitgekriegt. Aber um was wird eigentlich gekämpft? An der Elbe ficht eine große Volkspartei für "Hamburg in Europa". Aha? War eine Verlegung der zweitgrößten deutschen Stadt auf einen anderen Kontinent geplant? Eine andere bietet uns bloß ein Gesicht an, das den Umrissen nach gar nicht wie Europa aussieht, mit einem kleinasiatischen Namen darunter, der auch gar nicht nach Europa klingt.

Wieder einmal sind es die Liberalen, die etwas Frische ins Geschäft bringen und ehrlich sagen, wofür sie wahlkämpfen: für die Freiheit. FDP-Spitzenkandidatin Silvana Koch-Mehrin raste zur Formel 1 auf den Nürburgring, um als liberales Boxenluder mit Schumi für das Recht auf Werbefreiheit zu schäkern. Die sei nämlich bedroht, weil Euro-Bürokraten Produktversprechungen wie "hält fit" oder "fördert die gute Laune" verbieten wollen, da sie etwas zusagten, was gar nicht zu halten sei. Dann käme die Formel 1 unter die Räder, weil die von solcher Werbung lebt, meint Koch- Mehrin. Sie selbst läßt ihre Versprechen lieber offen und wirbt: "Wir können Europa besser." Da weiß der Wähler wenigstens die treffende Antwort: "Du uns auch."

" ... habe selten ein so hassenswertes Land betreten"

 
     
     
 
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