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Es war nie eine offene Frage, wer den von den USA bewußt und gewollt hervorgerufenen Angriffskrieg gegen den Irak gewinnen würde. Das Land an Tigris und Euphrat war, militärisch betrachtet, nur drittklassig. Jahrelange Wirtschaftssanktionen und die von den Anglo-Amerikaner n mit der Arroganz der Macht durchgeführten militärischen Maßnahmen in den sogenannten Flugverbotszonen - diese umfassen rund zwei Drittel der Gesamtfläche des Landes - haben das arabische Land weit zurückgeworfen.
Schon 1991 beim ersten Golfkrieg gelang es den USA und ihren Verbündeten, in wenigen Tagen das vom Irak annektierte Kuwait zu befreien. General Schwarzkopfs Panzer mußten ihren zügigen Vormarsch auf Bagdad abbrechen, weil die Vereinigten Staaten damals meinten, einen in die Schranken gewiesenen Irak noch als regionale Ordnungsmacht zu benötigen. Der sich zu jener Zeit aggressiv gebärende Iran sollte durch Pakistan und Irak in Schach gehalten werden.
1991 war der Irak militärisch weit stärker als im März diesen Jahres. Er hatte eine einsatzfähige Luftwaffe, und sein militärisches Potential entsprach annähernd dem technischen Standard der Zeit. Gleichwohl hatte Saddam Husseins Land auch 1991 keine Möglichkeit, den Verbündeten auch nur einige Monate zu widerstehen. Deshalb gingen die USA kein Risiko ein, als ihr Präsident am 19. März den Kriegsbeginn befahl. Grundsätzlich war der Angriff bereits im vorigen Jahr beschlossen worden. Bush begründete den Angriff mit der Behauptung, der Irak gefährde die Sicherheit der USA. Eine derart fadenscheinige Behauptung ist wohl noch nie für einen Angriffskrieg herangezogen worden. Der Irak war keine Bedrohung, sondern ein Vorwand, die Welt der amerikanischen Schlagkraft zu unterwerfen.
Die im Irak vermuteten biologischen und chemischen Kampfstoffe wurden bisher nicht gefunden. Einiges spricht dafür, daß sie - wie angegeben - vernichtet wurden. Jedenfalls hat sich das Regime des Irak durch den Nichteinsatz dieser Massenvernichtungsmittel - sofern sie vorhanden waren - verantwortungsbewußt gezeigt. Sollten die Kampfstoffe noch in einem Winkel des Landes auftauchen, erhebt sich die Frage nach ihrer Herkunft. Jedenfalls hat die amerikanische Administration ein erhebliches Interesse, dem Krieg eine nachträgliche Scheinlegimitation zu verleihen.
Für eine große Mehrheit der Völkerrechtler über alle Grenzen hinweg war der Krieg wegen des fehlenden UN-Mandats völkerrechts- widrig. Der Amerikaner Alfred de Zayas, Völkerrechtler, Historiker, Kulturpreisträger der Aktion Freies Deutschland und für die UNO in Genf tätig: "Dieser US-Präventivkrieg ist eine Aggression, da er einer völkerrechtlichen Grundlage entbehrt."
Die Führungsspitze der CDU hat sich in ihrer einseitigen Pro-Amerika-Haltung zum Irak-Krieg erheblich verrannt. Eine Partei mit dem C im Namen riskiert ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie voll auf Kriegskurs geht, ohne daß Politik und Diplomatie alle Möglichkeiten zur Vermeidung des Krieges ausgelotet haben. Gab es wirklich nur einen Gerechten in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion - Peter Gauweiler -, der, obwohl Protestant, die Fraktion gemahnt hat, in der Kriegsfrage mehr auf den Papst und weniger auf die Falken im Weißen Haus zu hören? Viele an der CDU-Basis teilen die Sichtweise Gauweilers. Ein beträchtlicher Teil der Deutschen und auch der Muslime in Deutschland dürfte in diesen Tagen nicht unglücklich darüber sein, daß die Union keine Regierungsverantwortung trägt. Mene mene tekel. Gewogen und zu leicht befunden. Das galt für das Regime Belsazars im alten Bagdad, und das gilt für Viele in der heutigen Zeit.
Die Frage, ob der Krieg völkerrechtlich legitimiert war, ist mitnichten eine Frage von gestern. An ihr entscheidet sich auch die Zukunft der Weltvölkergemeinschaft. Man sollte die Kriegsbefürworter immer wieder auf die eingesetzten Kriegsmittel wie auch auf die Folgen für die Generationen, eingeschlossen die ungeborene Generation, im Irak hinweisen. Bomben mit der Zerstörungskraft kleiner Atombomben, die Verwendung uranhaltiger Munition und der Einsatz von Streubomben mit jeweils 80 oder mehr Einzelprojektilen, wovon zehn Prozent oder mehr Blindgänger sind, bescheren den Menschen auf Jahre oder Jahrzehnte eine potentielle Gefährdung. Nein, der gute Zweck heiligt nicht jedes Mittel. So positiv es ist, daß ein verbrecherisches Regime im Nahen Osten beseitigt wurde, so inakzeptabel ist der Preis, der dafür zu entrichten war. Um vermeintliche oder tatsächliche Massenvernichtungsmittel zu beseitigen, hat man Massenvernichtung betrieben.
Wir dürfen die vielen tausend Toten - Zivilisten und Soldaten - nicht ausblenden. Wir müssen die nach Tausenden zählenden Kriegskrüppel, die um jegliche Lebensqualität gebrachten irakischen Kinder, im Auge behalten. Wir sollten das Leiden und Sterben in den zerbombten Krankenhäusern des Irak uns bewußt machen.
Es gibt noch eine Reihe weiterer Staaten mit verbrecherischen Regimen. Wenn es der US-Administration weltweit um Freiheit und Demokratie für die Menschen ginge, müßten diese Regierungen ebenfalls beseitigt werden. Das wird nicht geschehen, weil dieser oder jener "Schurkenstaat" ein enger Verbündeter der USA ist oder aber, wie Nordkorea, militärisch stark und die Weltmacht China im Rücken hat. Unstrittig ist, daß die Menschen in Nordkorea mehr leiden als die Iraker unter Saddam Hussein. Nein, die USA führten den Krieg nicht wegen Freiheit, Demokratie und Menschenrechten, sondern zur Absicherung ihrer Hegemonialinteressen. Amerikanische Ölkonzerne greifen bereits nach den Ölquellen des Irak. Krankenhäuser konnten amerikanische Truppen nicht vor einem plündernden Mob schützen, wohl aber das Ölministerium und die Ölquellen. Es wird sich noch zeigen, welche Rolle die USA der UNO beim Wiederaufbau und der Verwaltung des Irak zuweisen werden. Die erklärte Absicht der USA und ihrer Verbündeten war, durch den Krieg den Menschen im Irak Frieden, Freiheit, Demokratie und Menschenrechte zu bringen. Zunächst einmal sind diese Werte in Form einer unbeschreiblichen Anarchie in Bagdad angekommen.
Dieser Tage erschien auf dem Büchermarkt Jürgen Möllemanns Buch "Klartext". Um es vorweg zu nehmen: Das Buch wird den Erwartungen nicht gerecht, die mancher an den Inhalt gestellt hatte. Möllemann hat als Politiker persönlich viel erreicht und am Ende alles verloren. Er ist seit vielen Jahren Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft, und auf diesem Feld wird man ihm Expertenwissen nicht absprechen können.
Möllemann deutet die Möglichkeit an, daß die Vereinigten Staaten im Zusammenwirken mit Israel einen Teil des Irak Jordanien zuschlagen könnten, als Kompensation für die Abschiebung der Palästinenser von der Westbank nach Jordanien. Denn - hier hat Möllemann recht - Jordanien ist im Grunde ein Palästinenserstaat. Die heutigen Grenzen im Nahen Osten wurden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ohne Rücksicht auf historische Begebenheiten willkürlich gezogen. Sie könnten neu bestimmt werden, wie das die Siegermächte nach 1945 auch mit Deutschlands Grenzen gemacht haben.
Die Amerikaner waren an der Festlegung der bundesdeutschen Nachkriegsgrenzen maßgeblich beteiligt, wie der schon zitierte US-Amerikaner de Zayas in seinem Standardwerk "Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen" für die Nachwelt dokumentiert hat. Sie haben Erfahrung in der Verschiebung von Grenzen. Selbstbestimmungsrecht, Heimatrecht? Was kümmert es einen Siegerstaat.
Es ist schwer vorstellbar, daß die Regierung Sharon in Israel einem Friedensabkommen mit dem Palästinenser-Staat zustimmt, dessen Territorien die Westbank und den Gazastreifen umfassen, weil dann die historischen jüdischen Regionen Judäa und Samaria nicht Israel zugehören. Für viele Israelis undenkbar. Auch für viele amerikanische Juden undenkbar, und wir wissen um den Einfluß der jüdischen Lobby in den Verei-nigten Staaten auf die amerikanische Politik.
Die Versuchung wird nicht gering sein, die widerstreitenden Rechtsauffassungen - hier das historische Recht der Israelis und dort das geografische Recht der Palästinenser - durch Grenzverschiebung zu Lasten des Irak einer Lösung zuzuführen. Auch aus diesem Grund wird der militärisch niedergeworfene und besetzte Irak die Weltöffentlichkeit noch lange beschäftigen. n
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