A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
     
 
     
 

Gedenk-Komödie

 
     
 
Zuletzt war Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) als Gerhard Schröders Wunschkandidat für die Kanzlernachfolge genannt worden. Zwar wurde das Gerücht schnell dementiert, aber Platzeck ist seitdem für höhere Aufgaben im Gespräch. Was kann er tun, um darin zu bleiben? Als Ministerpräsident von Brandenburg läßt sich kaum Ruhm gewinnen. Die ersten 100 Tage der neuaufgelegten SPD/CDU-Koalition waren konfliktfrei, aber glanzlos. Der einzige Lichtschimmer war die Eröffnung des Freizeitparks "Tropical Island
s" in der ehemaligen Cargo-Lifter-Halle 60 Kilometer südlich von Berlin, doch sie weckte auch schmerzliche Erinnerung an ein gescheitertes industrielles Großprojekt.

Aus dem Klein-Klein der Landespolitik wagt Platzeck sich jetzt auf das Feld der geistig-moralischen Werte und der gesellschaftspolitischen Sinnstiftung. Die Gelegenheit dazu bot die Debatte zum 60. Jahrestag des Kriegsendes im Potsdamer Landtag. Platzeck nahm direkt Stellung zum Redebeitrag des DVU-Vertreters Siegmar-Peter Schuldt. Dieser hatte, im durchaus sachlichen Ton, die Nazi-Verbrechen verurteilt, dann aber eine deutsche Asche-aufs-Haupt-Mentalität bemängelt und den Deutschen Unfähigkeit vorgeworfen, um die eigenen Opfer zu trauern. Außerdem verwies er auf andere Völkermorde, auf die Ausrottung der Indianer in Amerika, auf den russischen GULag und die Vertreibung.

Platzeck meinte, wer die einmalige NS-Vernichtungsmaschinerie in andere Zusammenhänge stelle, der schaffe ein geistiges Umfeld, das solche Verbrechen erst ermögliche. Platzeck hinkt damit dem Erkenntnisstand seiner Genossen hinterher. Heinrich August Winkler, Haushistoriker von Rot-Grün, SPD-Mitglied und gebürtiger Ostpreuße, hat in seinem dicken Buch "Der lange Weg nach Westen" ausdrücklich kritisiert, daß die Fokussierung auf die Einmaligkeit der NS-Verbrechen zu einer Immunisierung der deutschen Linken gegenüber anderen Völkermorden in der Welt geführt habe. Oder wollte Platzeck etwa sagen, daß die Einmaligkeit der NS-Verbrechen - einmalig bedeutet auch unwiederholbar - nicht in der Sache selbst, sondern nur im Vergleichsverbot begründet ist? Wollte er also eine verkappte Kritik an der deutschen Geschichtspolitik üben? Nein, soviel Hintersinn ist ihm nicht zuzutrauen. Der Debattenbeitrag hat klargestellt, daß Platzeck das Pulver nicht erfunden hat.

So stiftete er Verwirrung mit dem Satz, der 27. Januar als nationaler Gedenktag stelle die Deutschen "zumindest indirekt auf die Seite der Siegermächte, vielleicht sogar auf die Seite der Opfer". Er plädierte statt dessen für einen Gedenktag, der die deutschen Täter in den Mittelpunkt stellt. Manchem Fernsehzuschauer fiel vor Schreck die Fernbedienung aus der Hand. Wollte Platzeck tatsächlich den erst 1996 eingeführten Auschwitz-Gedenktag abschaffen? Auch in der Presse hieß es am nächsten Tag: "Platzeck stellt nationalen Gedenktag am 27. Januar in Frage". Eilig stellte der Ministerpräsident klar, daß er keineswegs für eine Abschaffung eingetreten sei, vielmehr müsse man, um die Erinnerung an die Greuel des NS-Regimes wachzuhalten, über noch einen zusätzlichen Gedenktag reden. Der ehemalige Bürgerrechtler kann eben nicht heraus aus seiner Haut. Permanent muß er sich unkonventionelle Gedanken machen.

Die PDS-Fraktionschefin Dagmar Enkelmann redete aufgeregt mit hochrotem Gesicht, in das der Frust über die fünf weiteren Oppositionsjahre eingeschrieben war. Sie forderte noch mehr Entschlossenheit im "Kampf gegen Rechts". Dem antifaschistischen Furor konnte sich auch CDU-Fraktionschef Thomas Lunacek nicht versagen.

Der 40jährige wirkte wie einer, der schon in der DDR immer brav seine Hausaufgaben gemacht hatte. Auch er forderte eine breite Front der Demokraten gegen rechte Extremisten. Hatte er zu diesem Zeitpunkt schon erfahren, daß die NPD im sächsischen Landtag bei einer geheimen Abstimmung fünf Stimmen mehr erhalten hatte, als sie Abgeordnete besitzt? Lunacek nannte den 8. Mai 1945 "einen Tag der Befreiung", auch wenn nicht alle das damals so empfunden hätten.

Zum Glück ist diese Wahrnehmungsstörung inzwischen behoben, und der CDU-Nachwuchspolitiker kann sich freuen, daß nicht alles, was er in der DDR gelernt hat, für die Katz war. Immer mehr der damals erworbenen Ein- und Ansichten erweisen sich heute als anschlußfähig.

Noch mehr Entschlossenheit im "Kampf gegen Rechts": Dem antifaschistischen Furor von PDS- Fraktionschefin Dagmar Enkelmann konnte sich nicht einmal CDU-Kollege Thomas Lunacek entziehen
 
     
     
 
Diese Seite als Bookmark speichern:
 
     
     
     

     
 

Weitere empfehlenswerte Seiten:

Arapahoe

Ein Strauß dunkelroter Rosen

Lachen und Weinen über Außerordentliches

 
 
Erhalten:
platzeck
 

 

   
 
 
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
WISSEN48 | ÜBERBLICK | THEMEN | DAS PROJEKT | SUCHE | RECHTLICHE HINWEISE | IMPRESSUM
Copyright © 2010 All rights reserved. Wissensarchiv