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Geschichte: Wahrheit durch Konsens?

 
     
 
Die erste Hälfte des Sommerlochs wurde in Österreich mit einer Debatte ausgefüllt, die einem altbewährten Muster folgte: Ein FPÖ-Politiker bringt seine Meinung über historische Ereignisse zum Ausdruck, antifaschistische Tugendwächter heulen auf, daraufhin fallen alle über den "Delinquenten" her, und sogar manche Parteifreunde sind so verschreckt, daß sie sich entschuldigen oder distanzieren - Wortlaut
und realer Gehalt der ursprünglichen Aussage sind dann längst uninteressant.

Wie gesagt, alles schon viele Male durchexerziert. Doch diesmal zeigte sich besonders deutlich, wie sehr Geschichte einer sachlichen - d. h. dem Kriterium der Wissenschaftlichkeit folgenden - Forschung entzogen und in ihrer Darstellung politischen Diktaten unterworfen ist. Das entlarvende Schlüsselwort kam von Bundespräsident Klestil höchstpersönlich, der die inkriminierte Meinung als "nicht dem Grundkonsens der Zweiten Republik entsprechend" verurteilte.

Was war geschehen? Ewald Stadler, ein Spitzenfunktionär der FPÖ und derzeit einer der drei "Volksanwälte" (die Volksanwaltschaft ist eine unabhängige Beschwerde-Instanz) hielt eine Rede bei einer Sonnwendfeier. Nun ist zwar niemand verpflichtet, zu Sonnwendfeiern zu gehen. Allerdings finden sich zu Veranstaltungen, die irgendwie "rechts" sein könnten - so auch zu katholischen Meßfeiern nach dem "alten", dem tridentinischen Ritus! - jeweils Spitzel der politischen Korrektheit ein und registrieren alles, was sich irgendwie "verwerten" läßt.

Stadlers Rede sinngemäß verkürzt: 1945 sei man "angeblich vom Faschismus und von der Tyrannei befreit worden", doch in die nächste Tyrannei geraten, insbesondere "auf diesem Boden" - gemeint die ehemalige Sowjet-Zone. Man dürfe nicht vergessen, daß es Verbrechen nicht nur auf der einen, sondern auch auf der anderen Seite gegeben habe. Und das Sonnwendfeuer möge "weit nach Böhmen" hineinleuchten, von wo man 1945 die Sudetendeutschen vertrieb und dabei 240.000 von ihnen ermordete.

Während bürgerliche Kritiker das Wort von der "angeblichen" Befreiung eher als "Dummheit" oder dergleichen bezeichneten, ertönten von links Forderungen nach einem Rücktritt Stadlers, auch nach einer Gesetzesänderung, um den - derzeit unabsetzbaren - Volksanwalt absetzen zu können, und sogar nach einer Anklage gemäß "Verbotsgesetz" wegen "Wiederbetätigung". Die Logik: Wer irgend etwas mit dem Nationalsozialismus vergleicht, verharmlost diesen, und Meinungsäußerungen, die so gedeutet werden könnten, sind gesetzlich verboten.

Die Diskussion brachte aber auch eine Fülle von Reaktionen, die Stadlers Aussage direkt oder indirekt stützten - "sicherheitshalber" meist nur auf den Leserbriefseiten. Breiten Raum nahmen dabei Hinweise auf die vielen von den "Befreiern" verübten Morde, Verschleppungen, Raubüberfälle und Vergewaltigungen ein, die vor allem, doch nicht ausschließlich in der sowjetischen Besatzungszone vorkamen. (Kardinal König, später Erzbischof von Wien, rettete damals als Kaplan eine Frau, indem er sie als seine Gattin ausgab - über die "Frau des Popen" herzufallen, wagten die Befreier nicht.) Weniger spektakulär, doch für die historische Wertung der "Befreiung" noch bedeutsamer sind die in allen Bereichen des privaten und öffentli-chen Lebens erfolgten Eingriffe und Demütigungen durch die Besatzer. So etwa wurde Bundespräsident Körner noch 1952 an der Zonengrenze zur Ausweisleistung aufgefordert.

Die Erregung über das Wort "angeblich" ist bei den meist spätgeborenen Erfüllungsgehilfen einer oktroyierten Ge-schichtsschreibung deshalb so groß, weil für sie das Jahr 1945 nicht nur Befreiung von der Nazi-Herrschaft, sondern auch von deutscher Besetzung bedeutet. Da spielt es keine Rolle, daß der Sozialdemokrat Karl Renner 1918 die "Republik Deutsch-Österreich" ausrief, 1938 für den "Anschluß" warb und selbst noch am 30. April 1945, als er bereits von den Sowjets mit der Bildung einer Staatsregierung beauftragt war, in der Antrittsrede vor seinen Beamten sagte: "Die drei Weltmächte haben sich geeinigt, das selbständige Österreich wieder herzustellen, (....) und uns bleibt nichts übrig, als selbst auf den Gedanken eines Anschlusses zu verzichten."

Der aus Wien stammende Philosoph Karl Popper, dessen 100. Geburtstag heuer groß gefeiert wird, definierte als Kriterium für die Wissenschaftlichkeit von Aussagen, daß sie grundsätzlich widerlegbar sein müssen. Eine Geschichtsschreibung durch "Konsens" erfüllt dieses Kriterium sicher nicht. Und wenn Aussagen über die Nazi-Zeit (und nur über diese) per Gesetz willkürlich eingeschränkt sind, ja wenn es diesbezüglich sogar Beweisverbote in Gerichtsverfahren gibt, dann hat sich seit der Zeit, als ein Galileo Galilei seinen Erkenntnissen abschwören mußte, eigentlich recht wenig geänder
 
     
     
 
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