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Hat das Diplom ausgedient?

 
     
 
Nun soll endlich mit der Reform Ernst gemacht werden. Um die deutschen Hochschulen international attraktiver zu machen, sollen die Abschlüsse "Bachelor" und "Master" nicht mehr nur als Alternative zum Magister und Diplom - wie es an den meisten Universitäten seit 2000 möglich ist - wählbar sein, sondern alleingültig werden. Grund hierfür ist die 1999 von Bildungsministern aus 29 europäischen Staaten unterzeichnete Absichtserklärung, bis zum Jahr 2010 einen einheitlichen Hochschulraum zu schaffen. Dieser von rund 40 Ländern eingeschlagene Weg wird als Bologna-Prozeß bezeichnet. Betroffen sind 4.000 Hochschulen mit 12,5 Millionen Studierenden. Künftig sollen Abschlüsse in den beteiligten Ländern vergleichbar werden. Dafür sollen nicht nur die Abschlüsse "Bachelor" und "Master", sondern auch das "diploma supplement" - eine Kurzbeschreibung der Studieninhalte - sorgen. Damit die während des Studiums
erworbenen Leistungen überall angerechnet und so Hochschulwechsel leichter werden, wurde das European Credit Transfer System (ECTS) eingeführt, das Punkte für erfolgreich absolvierte Studieneinheiten, sogenannte Module, bescheinigt.

Seit fast 40 Jahren erleben wir in Deutschland eine Expansion der Hochschulen. Waren um das Jahr 1960 etwa fünf Prozent der gleichaltrigen Bevölkerung Studierende, so sind es inzwischen mehr als 35 Prozent. In absoluten Zahlen bedeutet dies einen Anstieg von 300.000 auf über zwei Millionen. Bereits Mitte der 60er Jahre war erkennbar, daß mit dem quantitativen Ausbau eine Reform der Studienorganisation einhergehen müsse. Ein gestuftes Ausbildungssystem nach anglo-amerikanischem Muster mußte die Konsequenz aus der Tatsache sein, daß die Hochschulausbildung, die bis dahin für wenige offen stand, sich zu einer solchen für erheblich größere Anteile an der in Betracht kommenden Altersgruppe entwickeln würde.

Es hat nicht an Versuchen gefehlt, dies in die Praxis umzusetzen. Geschehen ist lange gar nichts. Mit der Abqualifizierung eines Systems abgestufter Studiengänge als "Discount-" oder "Billigstudium" (so vor allem die Standesvertretung der Professoren) wurde Stimmung gegen entsprechende Reformvorhaben gemacht. Auf dieser Linie liegt es auch, wenn aus den Fakultätentagen der Aufschrei ertönt, die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen bedeute eine Kannibalisierung der Magister- und Diplomstudiengänge.

Wenn man es denn so nennen will, hat diese offenbar schon in großem Umfang stattgefunden. An den deutschen Universitäten und Fachhochschulen gibt es nämlich bereits viele Studiengänge, die als Abschluß die eine oder andere der in Rede stehenden neuen Bezeichnungen aufweisen. Dies ist die Folge einer gewissen Liberalisierung des Hochschulwesens, indem die Länder den Hochschulen solche Möglichkeiten eröffnet haben. Entsprechende Reformen geschehen im übrigen durch Fakultäten oder Fachbereiche. An der Basis also wird das praktiziert, was die Vertreter auf überörtlicher Ebene heftig bekämpfen.

Man mag es ja bedauern, aber die deutschen Bezeichnungen, wie das Diplom, sind nicht eben besonders attraktiv für Ausländer und bedürfen auch in der internationalen Konkurrenz für deutsche Absolventen der Erklärung. Insofern scheint in der Tat die Übernahme international gebräuchlicher Bezeichnungen geboten. Beim "Dipl.-Ing." allerdings hätte man sich eine Ausnahme vorstellen können. Die Chance, daß man die deutschen Bezeichnungen beibehält und synonym die international verwendeten gebraucht, scheint vertan; zum Beispiel für die Fachhochschulabschlüsse Bachelor, für die Universitätsexamina Master. Hier wurden die Weichen schon vor längerer Zeit so gestellt, daß es zu begrifflichen Kollisionen kommen mußte. Das Diplom wird sowohl von Universitäten als auch von Fachhochschulen verliehen, in einigen Ländern ohne den Zusatz "FH". Dem war eine sogenannte Nachdiplomierungswelle vorausgegangen, die es zum Beispiel

graduierten Ingenieuren ermöglichte, den Titel Dipl. Ing. zu erwerben (gegebenenfalls nach zuvor erfolgter Nachgraduierung). Dies war mancherorts durch Anforderung per Postkarte möglich, gegen eine geringe Bearbeitungsgebühr (Mit fünf D-Mark sind Sie dabei). Daß dies dem Ansehen des deutschen Diploms nicht eben genützt hat, kann ernsthaft niemand bestreiten. Insofern könnten in der Tat international allgemein gebräuchliche Bezeichnungen als Verbesserung betrachtet werden.

Es ist aber selbstverständlich nicht allein das Auswechseln der Etiketten, das anzustreben ist. Entscheidend ist, wie das Studium strukturiert wird. Der Stoff ist so zu gliedern, daß ein erster Abschluß mit einer Qualifikation für einen Beruf in der Regel nach drei Jahren möglich ist. Die Mehrzahl der Studierenden wird mit einem solchen Examen (Bachelor) die Hochschule verlassen. Entsprechend Befähigte können in einer zweijährigen vertieften Ausbildung den Grad des Master erwerben. Mit der Neuordnung der Studiengänge und der Straffung des Stoffs soll also auch eine Verkürzung der Studiendauer (derzeit im Durchschnitt 13 Semester) erreicht werden. Fragt man nach der Durchsetzung, so stimmt es eher pessimistisch, wenn man beobachtet, welche Widerstände aufgebaut werden. Es ist deshalb auch kaum anzunehmen, daß es flächendeckend in Deutschland zur Einführung der neuen Bezeichnungen und - was noch wichtiger ist - zu einer inhaltlichen Studienreform kommt, wie sie erforderlich ist, damit kein Etikettenschwindel eintritt.

Wahrscheinlicher ist folgendes: So wie es bereits an vielen Orten geschieht, werden immer mehr Fakultäten von sich an eine Reform gehen und, um die zeitlichen Vorstellungen für Bachelor- und Masterstudiengänge nicht zu sprengen, den Stoff entsprechend gliedern und ordnen. Das wird die derzeitig bereits festzustellende Unübersichtlichkeit noch steigern, so daß eine Schlußfolgerung vom Titel auf (Studien-)Inhalt und auf (Institutionen-)Herkunft zunehmend unmöglich werden wird. Aufzuhalten oder zu ändern dürfte es nicht mehr sein. Die Ursache liegt letztlich darin, daß es nicht gelungen ist, parallel zur Erhöhung der Zahl der Studierenden generell, das heißt für alle Hochschulen der Bundesrepublik, das Ausbildungssystem zu ändern. Das Instrument war mit dem Hochschulrahmengesetz vorhanden. Nachdem dieses geändert wurde und die Länder und die Hochschulen mehr Freiheiten haben, werden wir einen Flickenteppich bekommen. Manche Hochschulen werden den Weg der Reform gehen, andere werden es nicht wollen oder nicht schaffen. Dies ist nicht das, was man sich wünscht, aber immer noch besser, als wenn alles so bliebe, wie es lange war: Man wartete auf allgemein verbindliche Regelungen. Die wurden nicht entwickelt oder nicht durchgesetzt. So wurden rund 30 Jahre vertan. Aufzuholen ist das nicht mehr; die Distanz zu dem Zeitpunkt, seit dem Reformen fällig wurden, sollte allerdings auch nicht noch größer werden.

Ein Europa - ein Abschluß: Auch die deutschen Universitäten bieten immer mehr den "Bachelor" und "Master", statt des Magisters / Diploms an.
 
     
     
 
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