|
Die Stadt Memel feiert in diesem Jahr ihren 750. Geburtstag. An der Jubiläumsfeier habe ich mit der Mannheimer Gruppe der Arbeitsgemeinschaft der Memellandkreise (AdM) und deren Bundesvorsitzendem Uwe Jurgsties teilgenommen. Integriert war dieser Besuch in eine wunderbare Busreise. Die erste Nacht verbrachten wir in Posen, das wir auch besichtigten. Am nächsten Tag fuhren wir auf dem Oberlandkanal von Buchwalde nach Elbing, wo wir auch übernachteten.
Am darauffolgenden Tag erreichten wir unser nächstes Etappenziel Königsberg. Auf dem Weg dorthin kamen wir an Marienwerder vorbei und überschritten die innerostdeutsche Grenze bei Heiligenbeil. Den dritten Tag nutzten wir zu einem Ausflug ohne Quartierswechsel. Wir legten am Gedenkkreuz für die Toten aus Fischhausen Blume n nieder und fuhren dann weiter durch das Samland nach Rauschen. Hier badeten die "Mutigen" in der Ostsee und aßen die "Feinschmecker" frischgeräucherten Aal aus der Hand auf der Strandpromenade. Mit der Samlandbahn ging es anschließend zurück in die Pregelmetropole, wo wir in der Gaststätte über dem Königsberger Tiergarten den Tag mit einer Flasche Wodka für drei Euro und einem früher in der DDR stationierten russischen Offizier ausklingen ließen.
Am nächsten Tag brachen wir unsere Zelte ab und fuhren vorbei an Cranz und über Rossitten, wo wir die gleichnamige Vogelwarte besichtigten, zur Weißen Düne. Dort teilte sich die Gruppe. Bestiegen die einen die Weiße Düne, so gingen die anderen in der Ostsee baden. Anschließend wechselten wir vom russisch in den litauisch verwalteten Teil Ostdeutschlands. Auf der alten Poststraße ging es an Nidden, Schwarzort und den anderen Nehrungsdörfern vorbei nach Memel, wo uns der Höhepunkt der Fahrt erwarten sollte.
In Memel war der 29. Juli ganz den Feierlichkeiten der Deutschen zum Stadtjubiläum gewidmet. Professor Stribrny und der litauische Professor Nikzentaitis hielten die beiden Festvorträge über die 750jährige Geschichte der Stadt. Der Botschaf-ter der Bundesrepublik Deutschland in Litauen, Alexander von Rom, nahm an den Veranstaltungen im Theater der Stadt Memel teil, an der Kranzniederlegung am Gedenkstein für die ehemaligen Stadtbewohner auf dem ehemaligen Zentralfriedhof, dem heutigen Skulpturenpark, sowie an der Enthüllung der Bronzeskulptur "Abschied" vor dem Memeler Bahnhof.
Die Skulptur "Abschied" ist eine lebensgroße Frau in Memeler Tracht, an der einen Hand ein Kind mit Teddy, in der anderen einen Koffer. Über den Namen "Abschied" gab es Diskussionen, einige meinten "Rückkehr" sei passender, auch hätte damals keine deutsche Memelländerin ein Kopftuch getragen. Ich aber meine, dieses Denkmal erinnert an die Vergangenheit, denn es war ein Abschied für immer, von der Heimat, von den Menschen und von ihren sozialen Bindungen. Heute kehren wir lediglich für kurze Urlaubstage als Touristen zurück.
Die Abendveranstaltung - wieder im Theater - wurde von litauischen Folkloregruppen, der Turniertanzgruppe Zuwedra und dem Gesangsduo Regine und Hugo Steegmüller aus Mannheim gestaltet. Sie entführten uns gekonnt in die 30- bis 50er Jahre mit herrlichen Schlagern und geistreichen Sketchen.
Eine Woche dauerte unser Aufenthalt in Memel mit Ausflügen nach Nidden und Schwarzort. Unvergessen ist auch die Rundfahrt Memel, Prökuls, Heydekrug auf der Straße, die einstmals nach Tilsit führte. Wir kamen vorbei an Wieszen und Jugnaten, wo mein Vater geboren ist, wir besuchten die Gedenkstätte für die Wolfskinder kurz vor Tilsit, und wir machten Station in Willkischken. Hier wurden wir vom Pastor begrüßt und besichtigten die mit finanzieller und ideeller Hilfe der vertriebenen deutschen Bewohner restaurierte evangelische Kirche. Im Hotel des Ortes erholten wir uns anschließend ein wenig bei Kaltgetränken, Kaffee und Kuchen von der Hitze sowie dem vielen Schauen und Bewundern, bevor es weiterging nach Schmalleningken, wo das Memelland zu Ende ist. Wir ließen unsere Blicke schweifen vom ehemaligen Hafen über die weite Flußlandschaft der träge dahinfließenden Memel bis in den russischen Machtbereich. Wir befanden uns auf dem Territorium der Republik Litauen, im Memelland und gleichzeitig in Ostdeutschland und standen dennoch an einer historischen Grenze. Wann wird diese Grenze so bedeutungslos werden, wie es andere Grenzen in Europa inzwischen geworden sind? Diese Gedanken begleiteten uns auf der Rückfahrt nach Memel.
Ein Ausflug zum weltweit bekannten Bernsteinmuseum nach Polangen mit anschließendem erfrischenden Bad in der Ostsee, ein Begegnungsfest in Heydekrug bei der deutschen Volksgruppe in ihrem "Haus Heide" mit Fischsuppe und Würstchen vom Grill sowie ein Grillfest beim bildenden Künstler Major in seinem herrlichen Garten mit zahlreichen selbstgeschaffenen Metall- und Holzskulpturen ließen die Tage in Memel harmonisch ausklingen.
Wir hatten auch Memeler Landsleute aus der Bundesrepublik Deutschland kennengelernt und mit ihnen einige Ausflüge unternommen sowie manch frohe Stunden gemeinsam verlebt, bevor die Reise weiterging über Schaulen mit seinem eindrucksvollen "Berg der Kreuze" nach Riga, der Hauptstadt Lettlands. Hier besichtigten wir die Neustadt, deren Häuser im Jugendstil erbaut sind und nun in neu restauriertem Glanz erstrahlten. In der sehenswerten Altstadt ist die ehemals reiche Hansemetropole allgegenwärtig, besonders mit ihrem glanzvollen Schwarzhäupter-Haus.
Am nächsten Morgen ging es weiter über den wunderschönen Kurort Pärnu in Estland in die Hauptstadt Tallin/Reval. Diese geschichtsträchtige Hafenstadt im Baltikum, mit ihrer Domkirche mit den Wappenschildern baltendeutscher Adliger, wo auf Schritt und Tritt Geschichte lebendig wird, war schon früher ein Mittelpunkt am nordosteuropäischen Rand. Kein Wunder, daß Estland als erster der baltischen Staaten eingeladen wurde, die Gespräche zum Beitritt in die EU aufzunehmen. Die Stadt ist eine wehrhafte und weltoffene Handelsbrücke zwischen Finnland, Rußland und anderen europäischen Ländern. Reval glänzte im Mittagssonnenschein, als wir auf der Turbinenfähre "Finnjet" die Fahrt zum Rostocker Hafen antraten, von wo uns der Bus nach Mannheim zurückbrachte. Uta Lüttich
Beim Festakt im Stadttheater: der AdM-Bundesvorsitzende Uwe Jurgsties, der Kreispräsident Ausra sowie die Vorsitzenden der Deutschen Minderheit in Heydekrug und Memel, Gerlinda Stunguriene und Magdalena Piklaps (v. l. n. r.) |
|