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An den Berliner Universitäten schlagen die Wellen hoch. Die Studenten streiken, demonstrieren und besetzen Amtsräume. Das Büro des Kultur- und Wissenschaftssenators Thomas Flierl (PDS) wurde für eine Nacht in Beschlag genommen, das des Finanzsenators Thilo Sarrazin (SPD) für zwei Stunden. Flierl rief zunächst die Polizei, verlegte sich dann aber, ganz Anhänger der Diskurskultur, aufs Diskutieren. Sein Amtskollege Sarrazin dagegen soll die Besetzer "Arschlöcher" genannt haben. Ein Kurzbesuch wurde auch der hessischen Landesvertretung abgestattet, als solidarischer Gruß an die Studenten in Hessen, die ebenfalls gegen Bildungsabbau protestieren. Auf dem Gelände der nordischen Botschaften am Tiergarten wurde symbolisch um "Bildungsasyl" ersucht und ein Lager aufgeschlagen.
Worum geht es? Die drei großen Universitäten der Hauptstadt - die Freie, die Technische und die Humboldt-Universität - sollen bis 2009 75 Millionen Euro einsparen, das sind acht Prozent ihres aktuellen Etats von knapp 950 Millionen. Sie haben seit 1993 bereits ein Minus von 500 Millionen Euro hinnehmen müssen. Zwar wurden die Ausgaben für die Universitäten zuletzt wieder leicht erhöht, doch das Geld wird für die Pensionen verbraucht. Die Zahl der Professoren ist von 2.100 auf knapp die Hälfte gesunken. Einige Abstriche lassen sich mit den Doppelstrukturen in Ost- und West-Berlin begründen, doch in den kommenden Jahren sollen weitere 250 Stellen folgen. Hinzu kommen Einschnitte im akademischen Mittelbau. Und das angesichts überfüllter Seminare mit mehr als 100 Teilnehmern und Hörsälen, die aus den Nähten platzen! Gab es 1993 noch 115.000 Studienplätze, so sind es jetzt 85.000, die sich 135.000 Studierende teilen. Die Streikenden verlangen, dieselbe Anzahl an Studienplätzen zu finanzieren, was wegen der Berliner Haushaltslage illusorisch ist.
In einer Stadt ohne Großindustrie sind die Studenten die einzige soziale Gruppe, die einen derartigen Massenprotest noch auf die Beine stellen kann. So wenig ausgereift ihre Forderungen sein mögen, sie drücken, über den aktuellen Anlaß hinausgehend, eine tiefe Vertrauenskrise gegenüber der rat- und richtungslosen Landespolitik aus. Die Forderung zum Beispiel, auf Studiengebühren für Langzeitstudenten und damit auf eine Summe von rund zehn Millionen Euro im Jahr zu verzichten, erscheint auf den ersten Blick kontraproduktiv, weil die relativ bescheidene Summe den Universitäten viel nutzen könnte. Der Bibliothek der Freien Universität stand 1993 noch ein Etat von zehn Millionen Euro zur Verfügung. Inzwischen sind es nur noch fünf, und die Befürchtung geht um, daß eine weitere Million gestrichen wird. Und das bei gleichzeitig steigenden Preisen für Bücher und Zeitschriften! Vor dem Hintergrund aber, daß dieses Geld nicht den Universitäten zugute kommen, sondern wahrscheinlich im Staatshaushalt versickern wird, ist der Protest gegen die Gebühren plausibel.
Die PDS, seit knapp zwei Jahren Regierungspartei in der Hauptstadt, wirkt wie die personifizierte Orientierungskrise. Bisher hatte sie sich noch als soziales Gewissen der Stadt aufführen können. Ihr Altstar Gregor Gysi, der 2001 immerhin für das Amt des Regierenden Bürgermeisters kandidiert hatte, tat damals sehr geheimnisvoll, raunte etwas vom "intelligenten Sparen" und von "Prioritäten", die man setzen müsse. Alles heiße Luft! Auch die PDS-Parteizentrale, das Karl-Liebknecht-Haus in Berlin-Mitte, wurde besetzt. Das einzige, was die Partei sich danach zugute halten konnte, war der "andere Umgang" mit den Besetzern, die großzügig als "Gäste" betrachtet wurden.
Wissenschafts- und Kultursenator Flierl hat unterdessen eine Berlin-typische Idee lanciert: Ein Bildungsfinanzausgleich zwischen den Bundesländern müsse her! Weil Berlin für andere Bundesländer Akademiker ausbilde, müßten diese sich auch an den Kosten dafür beteiligen. Eine komplette Lachnummer, die natürlich umgehend zurückgewiesen wurde. Warum soll etwa Hessen, an dessen Universitäten ebenfalls der Rotstift regiert, eine Berlin-Abgabe zahlen? Eher werden die Flächenländer ihre eigenen Universitäten ausbauen, um die Studenten im Land zu halten. Es ist die übliche provinzielle Unbedarftheit der Berliner Politik, die aus solchen Vorschlägen spricht.
Die Lage in Berlin ist so verzweifelt, daß eigentlich gar nichts anderes übrigbleibt, als die Krise als Chance zu nutzen. Um bildungspolitische Akzente zu setzen, müßte die Diskussion endlich über den fiskalischen Tellerrand hinausgehen. Die Hauptstadt-Politiker müßten die gesellschafts- und bildungspolitische Dimension des Problems thematisieren. Theoretisch gelten Wissen und Ausbildung als die wichtigsten Ressourcen des Landes, praktisch wird gerade an dieser Stelle gespart. Die brandenburgische Wissenschaftsministerin Johanna Wanka (CDU) wies kürzlich darauf hin, daß es noch immer leichter ist, mit mehreren Millionen Euro einen Kilometer Autobahn zu finanzieren, als mit der- selben Summe die Universitäten auszustatten. Diskutiert werden müßte die Neugliederung der akademischen Ausbildung. Gerade Berlin mit seiner breitgefächerten Bildungslandschaft müßte ein Beispiel setzen, wie man die akademische Elite- und Breitenausbildung neu gewichtet und miteinander verbindet.
Natürlich haben viele Studenten ihren Bildungsanspruch in der Vergangenheit als Alibi für eine steuerfinanzierte Selbstfindung genommen. Tatsache ist aber auch, daß die Politik das gebilligt hat. Studenten wurden in ineffizienten Massenuniversitäten geparkt, wo sie wenigstens nicht die Arbeitslosenstatistik belasteten. Nun muß eine ganze Generation begreifen, daß sie in einer Sackgasse gelandet ist, weil es nichts mehr zu verteilen gibt.
Von der Politik müßte man jetzt erwarten, was die Amerikaner "Leadership" nennen - Führung! Doch die Berliner Politik disqualifiziert sich täglich selbst. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) faselt in Schulsprechermanier von den "Strukturen, den verkrusteten", die natürlich "aufgebrochen" werden müssen. Was das konkret bedeutet? Er weiß es selber nicht. In Anspielung an seinen legendären Satz: "Ich bin schwul, und das ist auch gut so!", hieß es auf einem Plakat der Studenten: "Klausi-Mausi, nix ist gut so!" Über den schrillen Protesten aber liegt der Mehltau der Traurigkeit. Eine junge Generation ist im Begriff, an ihren Politikern und am Staat zu verzweifeln.
Studentenproteste: Um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, schrecken die Studenten auch nicht vor extremen Aktionen zurück. So rannten einige nackt über den Weihnachtsmarkt bei der Gedächtniskirche, andere sprangen ins kalte Wasser der Spree. |
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