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Kleine Wunder allerorten

 
     
 
Angesichts der Bedeutung eigener Medien für die Selbstbehauptung der Deutschen Oberschlesiens ist den Versuchen, sich einen Anteil an den staatlichen elektronischen Medien zu sichern, besondere Bedeutung beizumessen. Man ging bei der Minderheit zu Recht davon aus, daß in dem „sprachgeschädigten” Milieu der bildhafte Ausdruck verbunden mit dem verbalen den Adressaten am wirksamsten erreicht.

Doch nur mühsam setzte sich ab 1992 ein zweisprachiges Fernsehmagazin „Schlesien Journal“ durch, das vom Kattowitz
er TV-Sender ausgestrahlt und vom Auswärtigen Amt sowie dem polnischen Kultusministerium finanziell unterstützt wurde. Dieses Magazin kam gut an, wurde hochgelobt und vom Freistaat Sachsen mit einer Auszeichnung für Verdienste um die deutsch-polnische Versöhnung bedacht. Zugleich spürte man zunehmenden Argwohn.

Nachdem die von Sebastian Fikus geleitete Redaktion in raffinierte Intrigen verwickelt worden war, nahm die bundesdeutsche Seite im vergangenen Jahr Abstand von dem bis dato rund 150 mal gesendeten Magazin und überließ die eigens erworbene Technik dem polnischen Fernsehen.

Zu den Bestrebungen, die Sendung erneut zu etablieren, gab es daraufhin beunruhigende Äußerungen aus dem Wojewodschaftsamt. Danuta Berlinska, zuständig für die deutsche Minderheit, ließ verlauten, es sei nicht notwendig, daß diese ihre eigenen Artikulationsmöglichkeiten besitze, sondern es genüge, wenn in polnischen Medien über sie berichtet werde.

Immerhin ist die für das Magazin verantwortliche Mediengesellschaft „Pro Futura“ heute wieder aktiv. Von polnischer Seite geduldet, von der deutschen aber nach wie vor aus der Finanzhilfe ausgeklammert, sendet man seit kurzem zweiwöchentlich und unentgeltlich niveauvolle Kurzbeiträge.

Eine bis heute unangefochten erfolgreiche Kulturinitiative ist das Büchereien-Netz der Caritas im Oppelner Land. Errichtet wurde es ab 1992 vom Beauftragten der Katholischen Kirche für die deutsche Minderheit, Pfarrer Wolfgang Globisch. Zwei Bibliobusse bereisen seitdem rund 150 Dörfer mit vorwiegend einheimischer Bevölkerung. Bald wurde diese Tätigkeit auch auf polnische Nutzer erweitert; die Bibliotheken auf Rädern führen seither nicht nur deutsche, sondern auch polnische Bücher und Zeitschriften mit sich. Die Menschen vor Ort erwarten sie voller Ungeduld.

Mit der Zeit entstanden darüber hinaus 34 stationäre Leihbüchereien, und aus den Mitteln der Deutsch-Polnischen Stiftung wurde eine Zentralbibliothek in Oppeln erbaut, die den Namen Joseph von Eichendorffs erhielt.

Auch die Wojewodschaftsbibliothek, die sich seit Jahren der Instandhaltung der aus deutschen Zeiten übernommenen Bestände gewidmet hat, sammelt weiter deutsche Literatur. Sie organisierte auch eine Filiale mit deutschen Büchern: die „Österreichische Bibliothek” in Oppeln.

Unter der Obhut von Erzbischof Nossol finden im Schloß Groß Stein jährlich Symposien in deutscher und polnischer Sprache über Schlesien statt. Als Referenten nehmen Professoren und Kulturschaffende aus Ost und West teil, die Oberschlesien eng verbunden sind und oft von dort stammen. Die vielfältigen Vorträge sind vor allem an Priester, Lehrer, Bibliothekare und Journalisten gerichtet.

Ein anderer Lichtblick ist das seit 1998 vorzüglich funktionierende „Haus der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit” in Gleiwitz. Es basiert auf dem ersten eingetragenen Verein, dessen Trägerschaft sowohl deutsch als auch polnisch besetzt ist, und wird von dem zweisprachigen Oberschlesier Thaddäus Schäpe geleitet. Die Aufarbeitung der lokalen Geschichte und Kultur und die Stärkung des Selbstbewußtseins der einheimischen Jugend sind vordringliche Ziele. Etliche Seminare fanden hierzu statt und wurden mit Materialsammlungen für ein breiteres Publikum dokumentiert.

Große Hoffnungen für die Förderung deutscher Kultur verbanden sich seit 1990 mit der im Freundschaftsvertrag versprochenen Schaffung eines Kultur- und Begegnungszentrums in Lubowitz. Doch das Vorhaben verzögerte sich. Warum man Lubowitz nicht aus den Mitteln der Deutsch-Polnischen Stiftung förderte, weiß niemand zu sagen. Bisher wurde bloß ein Gästehaus in der Nähe des ehemaligen Schlosses renoviert.

Angesichts solch schleppender Fortschritte kommt es einem kleinen Wunder gleich, daß es dem Deutschen Freundschaftskreis in Ratibor gelang, am 1. Juli dieses Jahres ein Begegnungshaus mit Geschichtswerkstatt und „Oberschlesischem Museum“ zu eröffnen.

Eines der tragischsten Probleme in der Region ist die Unkenntnis deutscher literarischer Werke, die Oberschlesien so zeigen, wie es einmal war, und somit den Einheimischen das Gefühl der Verwurzelung in ihrer Heimat wiedergeben würden. Diese Literatur könnte sich aber auch für die neuen Bewohner als wertvoll und identitätsstiftend erweisen. Doch nur wenig wurde übersetzt, etwa das zweisprachig erschienene Werk „Der goldene Schlüssel” von Hans Niekrawietz sowie einige Eichendorff-Texte. In Gleiwitz gab man Horst Bieneks Romane über diese Stadt heraus.

Aber all dies sind nur Tropfen auf den heißen Stein, denn andere Autoren bleiben weitgehend unbekannt: Hans Lipinsky-Gottersdorf, Heinz Piontek und insbesondere August Scholtis, der oberschlesischste aller oberschlesischen Schriftsteller.

Zum Erhalt der Kultur gehört nicht zuletzt die Pflege der materiellen Kulturgüter. Auch damit ist es in Oberschlesien schlecht bestellt. Vieles ist zerstört worden oder landete in Warschauer Museen. Dennoch sind manche historische Gebäude erhalten geblieben, allerdings ohne daß man ihre Herkunft oder Bedeutung kennen würde.

Hier und da stehen noch alte Denkmäler auf öffentlichen Plätzen, von denen die Polen die Aufschriften entfernt haben. Schlimm sind die verwahrlosten Friedhöfe, aus denen immer wieder Grabmäler gestohlen werden. Einiger weniger Friedhöfe hat man sich in letzter Zeit angenommen.

Allzu oft machen sich mentale Widerstände des Mehrheitsvolkes gegen die Präsenz deutscher Mitbürger bemerkbar. Bei internationalen Auftritten der Wojewodschaft Oppeln wird die deutsche Minderheit wie in vergangenen Zeiten einfach verschwiegen. So geschehen während der Weltausstellung in Hannover im Jahr 2000.

Oder man versucht, sie kleinzureden und auf das Niveau der Volkskultur zu fixieren. Die Minderheit protestiert oder gibt nach. Unter den Älteren macht sich erneut Hoffnungslosigkeit breit. Bei den Jüngeren gibt es inzwischen - auch das ist fast ein Wunder - eine beachtliche Gruppe gut deutsch sprechender Oberschlesier, die ein deutsches Kulturbewußtsein vertritt und sich sowohl unter den Deutschen in der Bundesrepublik als auch unter Polen selbstbewußt bewegt.

Die meisten bevorzugen allerdings noch immer den Aufbau einer Existenz westlich von Oder und Neiße, weil sie merken, daß Polen der Jugend Oberschlesiens keine ausreichenden Perspektiven und wenig Sicherheiten für ein gleichberechtigtes Dasein bietet.

 
     
     
 
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