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Ein Mann, dessen Werk Deutschland war. - Der Mann, der die Bundesrepublik war. - Für viele Deutsche war sie zu Recht das Gewissen der Nation. Nein, dies sind nicht die Nachrufe auf ein bisher unbekanntes deutsches Monarchenpaar, sondern ganz bürgerliche Kommentare des FAZ-Herausgebers Frank Schirrmacher, des Publizisten Ulrich Greiner und des ehemaligen sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow. Der eine Nachruf gilt dem SPIEGEL-Chef Rudolf Augstein, der andere dem Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld und der dritte der ZEIT-Herausgeberin Marion Dönhoff. Obwohl das Ableben der Letzteren schon ein halbes Jahr zurückliegt, gehört sie ohne Frage in diesen Kontext. Eben erst ist ein Buch von ihr mit letzten Gesprächen und zum Teil unveröffentlichten Manuskripten erschienen, so daß sie auch ganz aktuell in diesen Rahmen paßt.
Nun, nach dem Ableben dieser drei, geht mehr als nur ein Raunen durch den deutschen Blätterwald. Es sind Superlative posthumer Huldigung, wie man sie der sonst so nüchternen und beinahe langweilig unpathetischen Bundesrepublik, die sich bisher noch über jede Form deutscher Begeisterung mokierte, nicht zugetraut hätte. Noch ein paar Kostproben gefällig? "Das Sturmgeschütz der Demokratie ist verstummt," schreibt Herbert Kremp in der WELT zum Tode Rudolf Augsteins. "Der große Pan ist tot", beklagt Adolf Muschg den Verleger-König Unseld. Und "eine Jahrhundertpersönlichkeit" nennt der Verleger Dieter von Holtzbrinck das von ihm gegangene Marken-Zeichen seiner ZEIT. Es muß schon verwundern, wenn Männer und Frauen, die zeitlebens jeden geistigen Überschwang bekämpft haben, nun mit derlei Lob überhäuft werden. Anlaß genug, sich ein paar kritische Gedanken zum Ableben dieser publizistischen Schwergewichte zu machen. Unstrittig dürfte sein, daß die zitierten Superlative berechtigt sind. Jeder der drei war auf seinem Gebiet unerreichbar. Augstein war ohne Frage "der Journalist des Jahrhunderts", zu dem ihn Vertreter der Zunft aus aller Welt gekürt hatten. Bis zum Erscheinen des FOCUS hatte sein SPIEGEL zu jedem Wochenbeginn das Nachrichtenmonopol dieses Landes. Und jeden Montag sahen die Mächtigen scheu nach Hamburg, ob der Daumen für sie nach oben oder nach unten zeigte. Siegfried Unseld war mit seinem Suhrkamp-Verlag, in dem die maßgeblichen Leit-Bücher der Studentenrevolte um 1968 erschienen sind, der Stichwortgeber der alten Bundesrepublik. Jürgen Habermas, Herbert Marcuse und Theodor Adorno waren die Namen, die von Frankfurt aus in jede noch so kleine Buchhandlung getragen wurden. Aber auch Bertolt Brecht, Hermann Hesse, Max Frisch, Uwe Johnson, Peter Handke und Martin Walser waren und sind Suhrkamp-Autoren.
Und Marion Dönhoff galt als die moralische Instanz des offiziösen Nachkriegs-Westdeutschlands. In ihren essayhaften Leitartikeln kommentierte sie jeden Donnerstag das Zeitgeschehen und legte fest, wie die politischen Geschicke des Landes zu bewerten seien.
Zusammen bildeten sie ein Dreigestirn publizistischer Macht, das ohne demokratische Kontrolle mehr Einfluß hatte als jeder gewählte Repräsentant in der Geschichte dieses Landes.
Zu den Legenden der drei gehört jedoch erwähnt, daß alle ihre Karriere in der Nachkriegszeit begannen, als sie weit und breit ohne Konkurrenz waren. Der Hamburger Magazin-Verleger führte seinen SPIEGEL seit 1946 von der ersten Ausgabe an. Der jung promovierte Unseld war der achte Mitarbeiter des vom alten Peter Suhrkamp gerade erst gegründeten Verlages. Und auch "die Gräfin" diente bereits im ersten Jahr schon ihrer im Februar 1946 gegründeten ZEIT.
Sie gehörten einer Gründergeneration an, wie sie nur aus den Trümmern des zerstörten Nachkriegs-Deutschlands zu verstehen ist. Wer würde heute eine Gutsbesitzerin ohne journalistische Vorkenntnisse aus dem Stand zu einer leitenden Mitarbeiterin einer Zeitung machen, nur weil sie einen guten Artikel geschrieben hat? Und wer gibt heute noch einem 23jährigen, wie es Augstein war, die Leitung eines Nachrichtenmagazins von nationalem Rang?
Doch genau hier liegt zumindest in der Biographie Rudolf Augsteins das große Fragezeichen. Die Suche nach den Geheimnissen dieses traumhaften Erfolgs muß späteren Betrachtungen überlassen bleiben. Doch eines sollte man auch im Angesicht des Todes dieses journalistischen Schwergewichts nicht außer Acht lassen: Wer damals eine Zeitung gründen wollte, der brauchte eine Lizenz - für ein freies Land eigentlich undenkbar! Man muß sich also fragen, wie in einer Zeit, in der jedes Blatt Papier nur auf Zuteilung zu haben war, ein junger Mann ohne Fachwissen, ohne Infrastruktur und vor allem ohne Kapital ein Blatt mit Hunderttausenden Exemplaren aus dem Boden stampfen kann? Hier sollten künftige Augstein-Biographen bei ihren Recherchen ansetzen.
Wo viel Licht ist, ist eben auch viel Schatten. Die dunklen Seiten des Rudolf Augstein faßte Frank Schirrmacher am besten zusammen: "Jawohl: Die Menschen hatten Angst vor ihm. Wenn je einer gefürchtet war, dann Rudolf Augstein. Seine Macht war ungeheuer. Zeitweise war er der mächtigste Mann im Staate. Er konnte vernichten, in einigen Fällen blitzte der Bannstrahl bis ins dritte Glied. Manche seiner niedergestreckten Gegner schleifte er noch dreimal um die belagerte Feste, um die Eingeschlossenen zur Aufgabe zu zwingen."
Auch die Herausgeberin der Hamburger Wochenzeitung hatte ihre nachdenkenswerten Seiten. Sie war ein Musterbeispiel für den bundesdeutschen Linksliberalismus, der sich groß als liberal gibt, Toleranz aber nur gegen diejenigen gelten läßt, die genauso denken, wie man selbst. Die Meinung des Anderen war nur dann akzeptiert, wenn sie in die gleiche (links-)liberale Richtung wies. Nirgendwo wird dies so deutlich, wie im Umgang mit ihren vertriebenen Landsleuten aus dem Osten. Nachdem sie, die Gräfin, sich mit den Ostverträgen abgefunden hatte, sollten dies auch alle anderen Ostdeutschland, Schlesier, Hinter-Pommern und Ost-Brandenburger tun. Wer nach den Ostverträgen noch an der Jahrhunderte alten Geschichte des Landes jenseits von Neiße und Oder festhielt, wurde nun in eine dumpf-provinzielle oder in eine revanchistisch-extremistische Ecke gestellt. Verständnis dafür, daß nur jeder Einzelne für sich allein seinen inneren Frieden mit den Ereignissen von Krieg, Flucht und Vertreibung machen konnte, gab es von der hohen intellektuellen Warte der ZEIT nicht. Und zum Jubel auf Siegfried Unseld gehört angemerkt, daß nicht alle seiner hochgelobten Autoren sich immer literarisch durchsetzten, sondern als Generationenschriftsteller politisch durchgesetzt wurden. Außerdem sollte man nicht vergessen, daß andere wegweisende Autoren wie Günter Grass, Siegfried Lenz, Heinrich Böll, Botho Strauss, Ernst Jünger oder Rolf Hochhuth eben nicht bei Suhrkamp erschienen sind.
Nun sind diese geistigen Führer des Links-Liberalismus tot. Es sind nicht mehr viele, die jetzt noch kommen können. Einer von ihnen, der Nobelpreisträger Günter Grass, äußerte angesichts der Lücke, die hinterlassen worden ist, an die Jungen die Bitte, "jetzt mit den letzten Alten etwas pfleglicher" umzugehen. Ein Wunsch, der gerade bei einem so gnadenlosen Zeitgenossen wohl eher zur Heiterkeit denn zur Nachsicht führen dürfte. Was aber bedeutet der Tod Augsteins, Unselds und Dönhoffs für das geistige Leben in Deutschland?
"Eine Epoche bemißt sich nicht allein an den Fakten der großen Politik, sondern auch am Leben und Werk derjenigen, die den Geist ihrer Zeit verstanden und beflügelt haben," schreibt Ulrich Greiner. Läßt man dies gelten, dann muß man sagen, daß mit dem Tod des publizistischen Dreigestirns die "Bonner Republik" nun - 13 Jahre nach dem Fall der Mauer und dem Untergang der DDR - wohl endgültig an ihr Ende gekommen ist.
Doch was kommt nun? Bei aller Freude darüber, daß die neue "Berliner Republik" den Bonner Provinzialismus allmählich aufbricht, kommt man nicht umhin festzustellen, daß von der "neuen Republik" bisher noch keine großen geistigen Impulse freigesetzt worden sind. Statt bedeutender Autoren von internationalem Rang tummeln sich in den Metropolen unseres Landes zahlreiche Pop-Literaten, die in der Regel nur ihr eigenes Ich bejubeln. Droht also der deutschen Öffentlichkeit nun das Mittelmaß? Es steht zu befürchten.
All jenen aber, die nun wieder vor- eilig für "Bonn" und gegen "Berlin" jubeln, sei entgegnet, daß Augstein, Unseld und Dönhoff ihre Prägung nicht in der Bundesrepublik erhalten haben, sondern lange vorher. DER SPIEGEL weist in den Beiträgen zum Tode seines großen Vaters zurecht darauf hin, daß dieser gedanklich in der Welt des 19. Jahrhunderts zu Hause war, und als sein größtes Unglück empfand, nicht Zeitgenosse Bismarcks gewesen zu sein. Dieses Vorbild vor Augen, schliff er seine Leitartikel gegen seine politischen Zeitgenossen so lange, bis diese messerscharf in die Rippen seiner politischen Zeitgenossen trafen.
Ähnliches gilt für Marion Dönhoff, die aus ihrer Bewunderung für Friedrich den Großen nie ein Hehl gemacht hat. Wer ihre Beiträge liest, spürt immer etwas vom aufklärerischen Geist Friedrichs des Großen.
Und Siegfried Unseld trug immer seinen von Ernst Bloch übernommenen Wahlspruch "ins Gelingen verliebt sein" voran. Ein Motto, daß ihn gute Autoren auch dann durchfüttern ließ, wenn diese über Jahre wenig oder gar nicht schrieben.
Wer genau hinsieht, der erkennt, daß alle drei genau genommen mit dem linken Zeitgeist, für den sie stehen, von ihrer persönlichen Lebenseinstellung nichts zu tun haben. Es war ihr althergebrachtes, konservatives Wertegerüst, das sie auf eine Höhe klettern ließ, die ihnen Bewunderung von Freund und Feind gleichermaßen einbrachte. Nun ist wirklich eine große Leere da. Dafür, daß im heutigen Deutschland kaum noch geistige Unikate vorhanden sind, kann man Augstein, Unseld und Dönhoff nicht allein verantwortlich machen.
Doch wer soviel Macht über die öffentliche Meinung in diesem Lande hatte wie diese drei, und wer für sein Lebenswerk so bejubelt wird, daß an seinem Ende der Tod des Einzelnen mit dem Ableben einer ganzen Gemeinschaft gleichgesetzt wird, der muß auch für die negativen Schlagzeilen verantwortlich gemacht werden. Die geistigen Anführer dieses Landes haben selbst keine Leitfiguren aufgebaut und hinterlassen. Auch das gehört in die Abgesänge auf ein zu Ende gehendes Zeitalter.
Nun - angesichts der Leere - ist der Weg frei für eine neue Ära, die darauf wartet, von Jüngeren ausgefüllt zu werden. Eine Chance für die "Berliner Republik", unbefangen das Deutschland der Zukunft zu gestalte |
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