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Es ist vorstellbar, daß ein bewußtes Mitglied der evangelischen Kirche, jemand, der um der evangelischen Botschaft willen der Kirche angehört, morgens in seiner Zeitung liest, seine Kirche habe erklärt, sie sei dagegen, daß die Bundesregierung ein neues leistungsfähiges Jagdflugzeug in Auftrag gibt. Das Kirchenmitglied wird sich vermutlich überlegen, wann im Gottesdienst die Rede war von einem rüstungspolitischen Programm der evangelischen Kirche. Er wird sich daran ebenso wenig erinnern wie etwa an eine Diskussion unter Kirchenmitgliedern über die Frage, wie in Zukunft die Bundesluftwaffe ausgerüstet werden soll.
Dennoch muß er feststellen, daß die Kirchenleitung der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche (Vorsitzender ist der seit Jahren heftig umstrittene Lübecker Bischof Karl Ludwig Kohlwage) allen Bundestagsabgeordneten in Hamburg und Schleswig-Holstein in einem dreiseitigen Brief mitgeteilt hat, sie sei gegen den Bau des "Eurofighters 2000". Sie vertritt dabei den an Flachheit kaum noch zu unterbietenden Standpunkt, die internationalen Beziehungen müßten "entmilitarisiert" werden, es dürfe nur noch "gewaltfreie Formen der Konfliktbewältigung" geben und die "erforderlichen Finanzmittel" sollten gebraucht werden "zur Befriedung sozialer Konflikte ... und für zivile Konfliktbewältigung".
Dieser Protest ist nicht die Privatangelegenheit des Herrn Kohlwage; sein Wort kann nur dadurch Gewicht beanspruchen, daß hinter ihm 2,35 Millionen Kirchenmitglieder in Hamburg und Schleswig-Holstein stehen. Die ahnten zwar nichts von dem sicherheitspolitischen Ehrgeiz ihres Vorderen und sind auch aus ganz anderen Gründen Mitglieder der Kirche, als sich mit Rüstungsfragen zu beschäftigen, doch schert das den Bischof nicht. Er bleibt dabei: Er sei zu dem Schluß gekommen: "Es gibt mehr gute Gründe gegen dieses Flugzeug als dafür."
Nun könnte es sein, daß das in unserem Gedankenspiel auftretende Mitglied der evangelischen Kirche weder Anhänger der Grünen noch der PDS, ja nicht einmal des linken Flügels der SPD ist, sondern daß es politisch zu dem Schluß gekommen ist, die Bundeswehr und mit ihr noch andere Luftstreitkräfte von Nato-Mächten benötigten in naher Zukunft ein modernes Flugzeug, und daß es daher das Jagdflugzeug "Eurofighter 2000" bejaht. Was soll er nun tun?
In den meisten Fällen wird es einem Kirchenmitglied wurscht sein, was die Kirchenleitung tut; die meisten Kirchensteuerzahler nehmen sowieso nicht am Leben der Kirche teil. Zählt er aber zu den aktiven Gläubigen, dann könnte er seiner Kirchenleitung einen Brief schreiben und sich die Anmaßung verbitten, daß sie Stellung nimmt zu Problemen, von denen sie mit Sicherheit nichts versteht, und auch nicht legitimiert ist, sich im Namen der Kirche zu äußern. Er könnte aber auch zu dem Schluß kommen, daß damit die Kirchenleitung der Nordelbischen Kirchen das Faß zum Überlaufen gebracht hat, und aus der Kirche austreten.
In den vergangenen zwanzig Jahren hat die Nordelbische Kirche von ihren damals 3,2 Millionen Mitgliedern mehr als ein Viertel verloren, nämlich über 800 000. Die neue politische Parteinahme dürfte die Zahl der Austritte erhöhen.
An der dringend erforderlichen Diskussion über die Suche nach allgemein verbindlichen Werten, auf die sich unser Gemeinwesen stützen kann, beteiligt sich die Nordelbische Kirche nahezu nicht. Statt dessen mischt sie sich permanent in die aktuelle Politik ein, und das stets in peinlich einseitiger Weise. Sie deklassiert sich damit zu einer der zahlreichen im vorparlamentarischen Raum sich tummelnden politischen Gruppierungen. Ihr eigentlicher Auftrag der Verkündigung des Evangeliums verschwindet dahinter. Hans-Joachim v. Berger
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