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Was sich wie ein politisch unkorrekter Witz anhört, ist traurige Realität. Deutschland zahlt auch heute noch Schulden aus dem Versailler Diktat und wird dies noch bis ins Jahr 2020 tun. Wie lange Deutschland für den Zweiten Weltkrieg zahlen wird, ist nicht abzusehen. Die Annahme jedenfalls, mit dem Zwei-plus-vier-Vertrag von 1990 sei das Problem weiterer Reparationen vom Tisch, hat sich in diesen Tagen als Trugschluß erwiesen. Der Verzicht auf einen Friedensvertrag schützt keineswegs vor Zahlungsforderungen.
Weshalb hat Washington das Tabu der deutschen Reparationen gebrochen? Offensichtlich hat die Bereitschaft der deutschen Industrie und Regierung zu Entschädigungsleistungen für NS-Zwangsarbeiter Begehrlichkeiten geweckt. In Umkehrung der Zeitgesetze rückt das Ende des Zweiten Weltkriegs nicht weiter weg wir kommen ihm immer näher. Bislang galt das vor allem für die deutsche Schuld, nun aber soll es auch für deutsche Schulden gelten.
Um Geld geht es den USA nur in zweiter Linie. Hauptmotiv ist der Kampf gegen den Wiederaufstieg des wiedervereinten Deutschland. Die Ablösung Europas als stärkstes Machtzentrum der Welt durch die USA verläuft keineswegs so glatt, wie dies zunächst aussah. Japan konnte durch währungspolitische Maßnahmen zurückgedrängt werden, aber der alte Kontinent zeigt eine überraschende Dynamik und hält auf den globalisierten Märkten gut mit. Selbst auf dem US-Markt dringt die europäische Konkurrenz weiter vor. An der Ostküste sieht man sich um die Früchte des Sie- ges nach dem Zweiten Weltkrieg und nach dem Kalten Krieg betrogen.
Die Symbole der europäischen Renaissance sind Airbus, Ariane, Deutsche Bank, Daimler-Chrysler oder SAP. In Schröder sieht man den ersten deutschen Kanzler, der die Kluft zwischen ökonomischer Stärke und außenpolitischer Zweitklassigkeit abbauen will, und das auf recht undiplomatische Weise. Dies ist eine Provokation, die von den USA immer öfter mit dem Griff in die deutsche Vergangenheit beantwortet wird. Die Instrumentalisierung deutscher Schuld erfolgte bislang subtil, jetzt wird sie offen betrieben.
Die sich jetzt abzeichnende neue Phase der deutsch-amerikanischen Beziehungen stellt auch das Verhältnis Deutschlands zu seinen europäischen Partnern auf die Probe. Frankreich, Großbritannien, Italien verfolgen mit klammheimlicher Freude die neue Deutschlandpolitik der USA. Aber ihre wirtschaftlichen Interessen sind so eng mit der europäischen Zentralmacht verflochten, daß sie sich im Konflikt zwischen Washington und Berlin für den europäischen Nachbarn entscheiden müssen. Schließlich ist die Wiedergeburt Europas in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine gemeinsame europäische Leistung, zu der neben Deutschland vor allem Frankreich einen Großteil beigetragen hat und in jüngster Zeit verstärkt beiträgt.
Deshalb liegt es im gemeinsamen europäischen Interesse, wenn deutsche Außenpolitik künftig auf gleicher Augenhöhe mit den USA gemacht wird. Amerikanische Außenpolitik folgt den Regeln der Macht, sie ist berechenbar. Dazu gehört auch, daß Gefolgschaft nicht belohnt, sondern ausgenutzt wird. Respektiert wird nur, wer seine Interessen konsequent vertritt. Diese Regeln hatte die Bonner Außenpolitik permanent mißachtet. Eine durchdachte Berliner Außenpolitik gibt es nicht. Außenminister Fischer ist dafür von Haus aus ungeeignet, weil ihm die zentrale Kategorie der internationalen Politik, nämlich nationales Interesse, fremd ist. Im Kanzleramt sind zwar richtige Reflexe, aber noch keine Konzepte zu erkennen.
Neue Berliner Außenpolitik muß im Bewußtsein der historisch einmaligen Leistungen Deutschlands nach 1945 betrieben werden. Das außenpolitische Fundament sind privilegierte Beziehungen mit Frankreich im Westen und Rußland im Osten. Wenn die Versuche der US-Regierung, die Gegensätze innerhalb Europas zu verschärfen und zu nutzen, mit Geschlossenheit nach außen beantwortet werden, dann sind die transatlantischen Spannungen Europas Chance.
Ein Europa, das sich in absurden Integrationsbemühungen verschleißt, wird diese Geschlossenheit nach außen nicht aufbringen. Es gilt Kurt Schumachers Wort: "Nur wer sein Vaterland bejaht, ist zu internationaler Zusammenarbeit bereit." Dieser Satz gilt für die deutsche Politik gegenüber den USA und Europa gleichermaßen, für ein Europa jenseits von Versailles und dessen Folgen.
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