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Die seit Jahren von Übersee nicht unbeeinflußt gebliebene "Neue Zürcher Zeitung" verwies unlängst auf die Stadt Tilsit, die ihren hochgerühmten Käse schweizerischen Einwanderern verdanken soll, um dann nochmals mit einem Beitrag über "Kaliningrads verdrängte Geschichte" nachzufassen. Die "Süddeutsche Zeitung " titelt "Durchmarsch nach Königsberg", wonach im Sommer angeblich weißrussische Panzer demonstrativ bis an die litauische Grenze herangefahren seien sollen. Das gelinde Rauschen im deutschen Blätterwald ist nicht auf den beginnenden Herbst zurückzuführen, es hat seine Ursache im Bereich nördliches Ostdeutschland.
Endgültige Bestätigung findet man schließlich in einem großen Beitrag im "Rheinischen Merkur" aus der Feder von Werner Kahl, der mit der verwegenen Dachzeile "Königsberg / Das Auswärtige Amt hält eine Enklave im früheren Ostdeutschland für möglich" operiert. Läßt man den völlig sinnlosen Einschub "früheren" beiseite, der der Diktion der Zeitung und der politischen Korrektheit vermeint folgen zu müssen, so fußt der Bericht auf einer 20seitigen internen Studie des Auswärtigen Amtes.
Darin wird ausgeführt: "Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Entwicklung einer ,EU-Enklave Kaliningrader Gebiet nach der Osterweiterung der Europäischen Union grundsätzlich im bestehenden EU-Rechtsrahmen lösbar ist." Dafür seien in Absprache mit anderen Bundesministerien bereits finanzielle und organisatorische Strukturmittel zur Verfügung gestellt worden.
In einer diplomatisch gewundenen Art erläutert das Auswärtige Amt, daß "das Gebiet um Kaliningrad zu einem verbindenden und nicht zu einem trennenden Element im Ostseeraum und damit zwischen Rußland und der EU wird." Damit wird deutlich, daß es hier nicht um die endliche Einlösung einer völkerrechtlich gebotenen sauberen Lösung deutscher Interessen geht, sondern um die Schaffung von großräumigen Operationsräumen, wie sie die Hochfinanz im Zuge der angestrebten Globalisierung für ihre hehren Ziele wohl für unerläßlich hält. Insofern "begrüßt" das Auswärtige Amt nachdrücklich "das besondere Engagement der USA im Ostseeraum" und hebt hervor, daß Washington bereits "Beobachter" beim Ostseerat sei. Ein handlungsfähiges Gremium namens "Northern Europe Initiative (NEI) bestehe auch schon, das als "prioritäre" Tätigkeitsfelder die "Unterstützung des Engagements amerikanischer Unternehmen, Zusammenarbeit beim Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen und bei der Bekämpfung von Verbrechen" im Blick behalte.
Im Vorfeld und in Verfolgung dieser Ziel soll die Universität in Königsberg mit einer "Eurofakultät" ausgestattet werden, wo russische Studenten dann in den Disziplinen Ökonomie, Politische Wissenschaft und Jura unterwiesen werden sollen. Von Geschichte ist keine Rede.
Die russische Regierung setzt diesen Absichten offenkundig keine alternativen Modelle entgegen, womöglich hofft man ähnlich wie Polen und die Tschechei auf den Faktor Zeit, um der seit 1945 überlassenen Verwaltungstätigkeit stillschweigend einen rechtlichen Rahmen zu geben. Mutmaßlich weiß man auch in der in jeder Hinsicht siechen russischen Hierarchie wenig über den tatsächlichen Wert dieses wundersamen Stückchen Landes, das in einer gedanklichen Großleistung dazu instrumentalisiert werden könnte, um genau das zu erbringen, was der gedeihlichen Entwicklung des russischen Volkes nottäte.
Auch die eigenen deutschen Interessen werden in dieser Konstruktion des Auswärtigen Amtes kaum Berücksichtigung finden. Jedenfalls ist in dieser Studie bislang weder von einem Rückkehrrecht Vertriebener noch ihrer Nachkommen, noch von einer rechtlichen Regulierung der Eigentumsfragen die Rede, wohl aber, wie schon eingangs erwähnt, von einer finanziellen Abstimmung mit dem Finanzministerium. Was wohl heißen könnte, daß der deutsche Steuerzahler auch noch die seit Kriegsende unterlassenen russischen Verwaltungspflichten zu berappen hat.
Es ist dem Autor Werner Kahl hoch anzurechnen, daß er am Ende seines Beitrages nochmals den völkerrechtlichen Verweis und die unsäglich schwere Schuld der Siegermächte USA und Großbritannien hervorhebt, die der Verwaltung durch die Sowjetregierung, vorbehaltlich "einer Friedensregelung", zustimmten. Damit wurde uns und dem Kontinent die eigentliche Vitalität genommen.
Unbeschadet davon bleibt das Argument gültig, daß ostdeutsche Fragen offen sind, den sonst wie billig wären sie nicht Gegenstand einer Untersuchung des Auswärtigen Amtes und der EU. Schließlich hat auch genau deswegen die Schlußakte von Helsinki die Veränderbarkeit von Grenzen ausdrücklich eingeräumt. Müller
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