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Als Deutschamerikaner, der seit 27 Jahren mit Unterbrechungen in Nordamerika lebt und noch heute im eigenen Familienkreis gutes Deutsch pflegt, habe ich mich oft schon gefragt, was die Menschen in meiner Stammheimat dazu bewegt, den deutschen Sprachschatz mit anglo- amerikanischem Vokabular zu verunstalten. Wenn der Eindruck nicht täuscht, scheint endlich vielen Deutschen bewußt zu werden, daß das "Schmücken" mit fremden Federn unsere Sprache nicht wirklich schöner macht. Bei der anhebenden Diskussion vermisse ich leider völlig die Hinterfragung, warum gerade wir Deutschen so ungeheuer erpicht sind, eigene Formulierungen durch anglo- amerikanische zu ersetzen.
Es reizt mich, als neutral er Beobachter Überlegungen zu dieser Frage einzubringen, wobei ich hoffe, daß sich niemand gekränkt fühlt, wenn ich vorwegnehmend schon einmal darauf hinweise, daß in diesem Zusammenhang von einem erschreckenden nationalen Minderwertigkeitskomplex gesprochen werden muß.
Zunächst möchte ich denjenigen, die der Demontage der deutschen Sprache gleichgültig gegenüberstehen, insofern nicht widersprechen, daß die Popularität des Englischen teilweise mit dem fortschreitenden Globalisierungsprozeß zusammenhängt, und daß es von daher kein Wunder ist, wenn Begriffe aus dieser Weltsprache in andere Sprachen einfließen. Dem wäre aber entgegenzuhalten, daß deshalb bei uns noch niemand dazu gezwungen ist, im derzeitigen Umfang und Tempo Vokabular aus dem Englischen an sich zu reißen und dafür kostbare Bestandteile des eigenen Wortschatzes preiszugeben. Es bleibt zu hoffen, daß wir Deutschen nicht völlig blind dafür werden, daß es sich bei unserer Muttersprache um einen Schatz handelt, der bedeutsamer ist als alles, was in den Schatzkammern und Museen unseres Landes verwahrt wird. Hier kennt man im übrigen einen derartigen Schatz nicht. Unser Wort "Sprachschatz" muß mit "vocabulary and phrases of the language" übersetzt werden.
Die Behauptung, daß die Übernahme englischer Worte wie das eingedeutschte Latein eine Bereicherung unserer Sprache sein würde, kann ich nicht nachvollziehen. Die begrenzte Benutzung echt eingedeutschten Lateins ist schon deshalb nicht zu beanstanden, weil die lateinische Sprache der deutschen an Klarheit und Ausdruckskraft wenig nachsteht. Beiläufig soll hier erwähnt werden, daß die Engländer mehr als wir Deutschen aus dieser Quelle geschöpft haben, weil ihr angelsächsisches Vokabular wirklich ein wenig karg war. Ihnen und den Nordamerikanern würde es aber nicht im Traum einfallen, die deutsche Sprache so anzuzapfen, wie es umgekehrt gegenwärtig der Fall ist. Ich möchte behaupten, daß sie dafür zu stolz wären, wobei ich diese Art Stolz nicht unbedingt als etwas Negatives verstanden wissen möchte.
Der weitverbreiteten Meinung, daß man vieles auf Englisch direkter ausdrücken könne, muß ich ebenfalls widersprechen. Natürlich gibt es im Englischen eine Anzahl von Ausdrücken, die den Nagel auf den Kopf treffen. Wenn man sich aber anschaut, mit welchen Englisch-Brocken man meistens das liebe Deutsch kombiniert, dann muß man schon sagen: Wenn das nützlich sein soll, dann ist auch die Einfuhr von Horrorfilmen gewinnbringend. Welchen Vorteil soll ich darin erkennen, wenn eine Kfz-Werkstatt auf dem Lande in balkigen Lettern "Oil Change" statt Ölwechsel anbietet. Und was hat man dabei gewonnen, wenn man statt Karte "card" sagt oder ein ganz normales Treffen als "meeting" bezeichnet?
Wer der Überzeugung ist, daß das Englische immer flüssiger von den Lippen geht als die eigene Sprache, hat sicherlich noch keine Vorträge auf Englisch ausarbeiten müssen. Ich für mein Teil habe die Erfahrung gemacht, daß sich vieles auf Deutsch geschmeidiger, treffender ausdrücken läßt. Stellvertretend für die zahlreichen Stelzigkeiten im Englischen sollen hier nur einige Beispiele angeführt werden. So steht für unser Wort "hinterbringen" die Sechs-Worte-Umschreibung "to inform some-one of something secretly". "Übermorgen" heißt auf Englisch bekanntlich "the day after tomorrow", also "der Tag nach morgen". Ich würde das nicht gerade geschickt nennen. Unser bedeutungsschweres Wort "Heimatliebe" muß mit "love of ones native country" übersetzt werden. Wir Deutschen drücken so manches mit einem zusammengesetzten Wort besser aus. So sagt der Begriff "Naturliebe" schlicht, was im Englischen mit "love of nature" umschrieben wird. Es ist zutreffend, daß die deutsche Grammatik schwer zu erlernen ist, aber da sich das flotte Englisch häufig nicht an die eigenen Regeln hält, sind die Schulkinder in englischsprachigen Ländern keineswegs zu beneiden.
Insgesamt bin ich der Überzeugung, daß die deutsche Sprache um manches schöner und reicher ist als die englische. Vor allem beeindruckt es mich, daß nicht wenige unserer Worte sich selbst in kürzester Form erläutern. So offenbart uns z. B. der Begriff "Zufriedenheit", daß er sich auf einen Zustand des inneren Friedens bezieht. Oder wie gut veranschaulicht das Wort "Unterwürfigkeit", daß sich im übertragenen Sinne jemand freiwillig einem anderen zu Füßen wirft. Unterwürfigkeit auf Grund mangelnden Selbstbewußtseins: das ein wesentlicher Grund dafür, daß man ein anderes Volk und alles, was von ihm ausgeht, höher einschätzt als das eigene. Wie stark die amerikanische Dominanz in fast sämtlichen Bereichen unseres Lebens wirksam ist, sollte jedem in deutschen Landen bewußt sein. Wie wir uns ernähren, wie wir Ackerbau und Viehzucht betreiben (Massentierhaltung), wie wir einkaufen (Supermarkt), wie wir uns unterhalten (Thriller-Filme), wie sich unsere jüngere Generation vergnügt (Disco): alles ist ein peinliches Imitieren dessen, was Amerika der Völkerfamilie vormacht. Die Weltmeister im Club der Nacheiferer sind natürlich wir einstmals bewunderten und leider auch gefürchteten Deutschen (vor den Deutschen fürchten sich im Jahre 2001 ernsthaft nur noch die Deutschen selbst).
Wenn ein Volk ein halbes Jahrhundert lang mit allen zu Gebote stehenden Mitteln intern die Furcht vor sich selbst schürt, sich selber anklagt und sich kaum noch an seinen Stärken aufrichtet, dann unterminiert es auf effektvollste Weise das Selbstbewußtsein jedes einzelnen Bürgers. Die wohlbekannten Selbstbeschuldigungen, die mit der Eröffnungsformel "Wir Deutschen haben ..." all die Jahre zu hören waren und sich auf knapp zwei dunkle Jahrzehnte deutscher Geschichte beziehen, werden z. T. auch heute noch von Politikern und Autoren heruntergeleiert. "Wir Deutschen haben Hitler gewählt." "Wir Deutschen haben den Krieg angefangen." "Wir Deutschen haben die Juden umgebracht." Das ist gröbste Verallgemeinerung und beschuldigt aufgrund des "wir" eine überwältigende Mehrheit, die weder mit Hitler noch mit dem Holocaust des Regimes je etwas zu tun gehabt hat außer, daß sie den seit 56 Jahren toten österreichischen Verbrecher und seine Handlanger zutiefst verachtet (im Gegensatz zu den Bundesdeutschen scheinen die Österreicher und auf anderer Ebene die Italiener ihre Unschuld nie verloren zu haben).
In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, daß ich in den USA und Kanada vergleichbare Selbstbeschuldigungen bezüglich des indianischen Holocaust nie gehört habe. Es gibt sicherlich niemanden, der darüber aufgeklärt werden müßte, daß die Endlösung der Indianerfrage darin bestand, daß die ursprünglichen Landesbewohner oder was von ihnen übrig war in Reservationen zusammengepfercht wurden. Die amerikanische Volksseele belastet sich auch nicht damit, daß man im freien Amerika die Negersklaven und später die nicht mehr versklavten Afro-Amerikaner als Untermenschen betrachtet und behandelt hat. Heute feiern sich die Amerikaner mit pathetischen Selbstbelobigungen als die humanste Nation der ganzen Welt. Was bei der eigenen Kriegsführung im 20. Jahrhundert nicht in Ordnung war, verzeiht man sich ohne Federlesens. Sogar der Abwurf von Atombomben auf Zivilisten wird allgemein als militärische Großtat verstanden, durch die den eigenen Verlusten ein schnelles Ende gesetzt wurde.
So anders und klüger bewältigt der Amerikaner seine Vergangenheit und betreibt darüber hinaus eine Propaganda, die ganz unverhohlen auf die Untermauerung seines weltweit bewunderten nationalen Selbstbewußtseins ausgerichtet ist. Wie demoralisierend haben dagegen die Medien in der Bundesrepublik auf das deutsche Volk eingewirkt. Wie unverschämt verunglimpfte man vor allem die deutschen Soldaten, die mehrheitlich so anständig wie möglich eine Pflicht erfüllten, von der es kein Entrinnen gab. Für mich ist es schlichtweg unverantwortlich, Wehrmachtsangehörige pauschal als Kriminelle hinzustellen und so den Nachkriegsgenerationen einzuimpfen, einer verbrecherischen Nation anzugehören. Diese Kampagne lief, während in der Welt Kriege mit nie dagewesener Brutalität, auch gegen Frauen und Kinder, Flüchtlinge und Lagerinsassen, ausgetragen wurden.
Könnte es ein, daß Deutsche sich selbst nicht vergeben können, weil sie nicht an Vergebung glauben? Wie schwer tut sich die ganze Menschheitsfamilie auch im 21. Jahrhundert mit dem Vergeben. Die blutigsten Konflikte der Gegenwart beruhen auf dieser Tatsache. Doch es gibt eine Vergebung, die nicht von uns Menschen abhängt. Um dieser Vergebung willen hat Gott den Sühnetod seines Sohnes ertragen. Das Kreuz ist Trost und Hoffnung für die, die glauben. Gottes Vergebung bedeutet, daß uns vergangene Untaten nicht mehr belasten müssen und daß wir uns durch Buße geläutert dankbar für eine bessere Zukunft einsetzen können.
Ich glaube unter Vorbehalten, daß unser Volk nach der Nazika-tastrophe einen Weg der Reue und der Umkehr eingeschlagen hat. Die negative Einleitung des "Wir Deutschen haben ..." könnte auch positiv fortgesetzt werden: Wir Deutschen haben wie keine andere Nation freiwillig für unsere vergangene Verführbarkeit gesühnt. Wir Deutschen haben aus freien Stücken finanzielle und territoriale Opfer gebracht wie kein anderes Volk dies jemals zuvor getan hat. Wir Deutschen haben seit dem Ende des Dritten Reiches mit michelhafter Nachgiebigkeit und Geduld eine Politik der Aussöhnung betrieben und uns vorbildhaft um gute Beziehungen nicht nur zu unseren Nachbarn, sondern zu allen Völkern der Welt bemüht. Ich hoffe, man kann mir zustimmen, daß es sich bei diesen positiven Feststellungen um reine Tatsachen und nicht um törichte Verallgemeinerungen wie die vorausgehend besprochenen handelt.
Jeder, der an die Würde des Menschen glaubt, sollte auch an seine eigene glauben. Jeder, der an die Würde der Völker glaubt, sollte auch die seines Volkes glauben. Ohne ein nationales Selbstwertgefühl kann auch die tüchtigste Nation zur kritiklosen Nachäfferin einer dominierenden Macht werden. Ich schätze die Amerikaner; ich schätze im gleichen Maße uns Deutsche. Doch ich erlebe mit gemischten Gefühlen, welchen negativen Einfluß die amerikanische Unterhaltungsindustrie auf unsere vom Wohlstandsrausch geschwächte Kultur hat (oder ist etwa die importierte Gewalt- verherrlichung von besserem Geist als seinerzeit der Nazismus? Wer zählt die Millionen, die diesem Einfluß zum Opfer fallen?). Nach intensiver Beobachtung bin ich der Überzeugung, daß sich die ethische Erosion auf dieser Seite des Großen Teiches stärker auswirkt als drüben. Dies liegt darin begründet, daß wir hier in Europa nicht das moralische Rückgrat der Amerikaner besitzen. In den USA sorgt eine rührige christliche Opposition dafür, daß im Dunkel des moralischen Niedergangs das Licht der Werte nicht völlig ausgeht.
Man kann nur hoffen, daß der eskalierende Identitätsschwund unseres Volkes zum Stillstand kommt und die heraufziehende Gefahr eines Radikalismus noch rechtzeitig gebannt wird. Das Europa der Zukunft braucht starke Individuen, die sich ihres kulturellen Erbes bewußt sind und eine Region freier Völker entwickeln wollen, die mehr sind als eine bloße Kopie der US-Lebensweise auf hiesigem Boden.
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