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Lesefest der Rekorde

 
     
 
Pisa-Studien zum Trotz überrannten ganze Schulklassen das Leipziger Messegelände. Nicht verwunderlich, denn viele Schulen im Großraum Leipzig hatten nicht hitze- sondern messefrei. So rollten die Schüler in Buskolonnen in den Norden der Messestadt zur Leipziger Buchmesse. Damit aber kein falscher Eindruck entsteht, sei eines vorweg genommen: Die Schüler bestätigten dann doch etwas die regelmäßig für deutsche Schüler ungünstig ausfallenden Bildungsstudien. Die Masse der Jugend fand sich eher an den Ständen der Comic-Branche ein.

Gleichwohl: Die Leipziger Buchmesse war in diesem Jahr um eine Schönwetterfront bemüht. Zum Bild passend sprach man vom ersten bis zum letzten Messetag von einer Rekordbeteiligung. Insgesamt verzeichnete die Buchmesse mit 126000 Besuchern tatsächlich einen Zuwachs von 17 Prozent. Mehr der Rekorde: 2162 Verlage und Editionen aus 36 Ländern, die auf rund 53000 Quadratmetern Messegelände und in Leipzig selbst 1800 Veranstalt
ungen präsentierten, rückten die Meßlatte für künftige Buchmessen nach oben.

Aus ostdeutscher Sicht erfreute die Präsenz der Kulturstiftung der deutschen Heimatvertriebenen, die unter dem Motto "Kulturerbe des deutschen Ostens" an ihrem Stand Institutionen vorstellte, die sich mit ostdeutscher Kultur und Geschichte im besonderen Maße befassten, wobei der Schwerpunkt der Präsentation auf in Mitteldeutschland wirkende Institutionen gelegt wurde. So präsentierte die Kulturstiftung beispielsweise Schriften der Lehrstühle für Neuere und Neue Geschichte an der Universität Leipzig und der TU Chemnitz sowie das Schlesische Institut Görlitz und die Kopernikusgesellschaft. Daß der Umgang mit Kulturgütern stets Potential hat, Menschen und Staaten zu entzweien, aber ebenso, diese durch gemeinsame Bemühungen um Schutz und Pflege zusammenzuführen, belegten die Ausführungen der Experten im Rahmen einer von der Kulturstiftung ausgerichteten Podiumsdiskussion. Während Frank Fechner, Professor am Institut für Rechtswissenschaften der TU Ilmenau, in diesem Rahmen zunächst den völkerrechtlichen Begriff des Kulturguts und die verschiedenen Kompetenzen zum Schutze desselben erläuterte, zeigte Dr. Idis Hartmann vom Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa den Stand der Inventarisierung der Kunstgüter in Schlesien auf. Hans-Günther Parplies, der neben der Kulturstiftung auch im Förderkreis Kirche Tharau mitwirkt, zeigte das Spektrum der Probleme mit den Behörden und die Widrigkeiten in der praktischen Arbeit des Denkmalschutzes im russischen Herrschaftsraum auf. "Ostdeutsche Kultur und Geschichte sind auf der Buchmesse noch zu wenig präsent", resümiert der Geschäftsführer der Kulturstiftung, Dr. Ernst Gierlich, zum Abschluß der Messe. Noch mehr Engagement und Kooperation der verschiedenen Vertriebeneninstitutionen sei zur Buchmesse erstrebenswert, denn man habe die Nachfrage und das steigende Interesse am ostdeutschen Kulturraum nicht genügend bedienen können.

Die Buchmesse erweist sich zwar als vielschichtig. Themenaktualität konnte man indessen nicht überall konstatieren. Der Karikaturenstreit etwa fehlte auf dem Messegelände ebenso wie außerhalb der Messe eine angekündigte Antifa-Demonstration gegen eine konservative Wochenzeitung aus Berlin, die ihre Teilnahme nur nach einer breit angelegten Medienkampagne durchsetzen konnte. Vielleicht gingen die aktuellen Themen auch in der Unüberschaubarkeit der Veranstaltungen unter. So erscheint es erklärlich, wenn hochdotierte Autoren wie Frank Schätzing ("Tod und Teufel", "Der Schwarm") vor gerade einmal 100 Zuhörern lesen.

Dennoch, das Leipziger Lesefest kam an. Die alte Verlagshochburg Leipzig hat lange um den Standort für die Buchmesse kämpfen müssen, und jede Buchmesse endete stets mit der Frage, ob eine Fortsetzung empfehlenswert sei. Aber ein langer Atem zahlt sich aus. Lesungen haben derzeit Konjunktur. Die Leipziger Buchmesse konnte sich als Messe für Leser von der großen Schwester in Frankfurt, die eher als klassische Messe für Verleger und Buchhändler ausgerichtet wird, endgültig emanzipieren.

Auch der Börsenverein ließ durch seinen Vorsitzenden Gottfried Honnefelder Optimismus versprühen. Mit üppigen Umsatzsteigerungen der Verlage sei zu rechnen. Etwas Vorsicht bleibt dennoch geboten. Konjunkturversprechen geraten allzu schnell zu Konjunkturversprechern. Denn der Gesamtumsatz im Buchhandel kann aktuell gerade einmal eine Steigerung von 0,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat verzeichnen. Der Belletristik- und auch der Reiseliteraturmarkt schrumpfen weiter. Letzterer immerhin um 10 Prozent. Die Kritik der Leser an den Buchpreisen steigt vernehmlich, auch wenn sich die Verlage durch den kostensenkenden Druck im Ausland zunehmend darauf einstellen.

Doch auch wenn einiges Wasser den Wein streckt: Die Leipziger Buchmesse erfüllt einen wichtigen Zweck, der allein schon ihre Existenz berechtigt. Sie bringt mit ihrem Motto "Leipzig liest" die Autoren zu den Lesern und umgekehrt. Das macht Lust am Lesen, und für die pisageprügelte deutsche Gesellschaft ist Leselust allemal besser als Lesefrust.

Vielseitig interessierte Besucher: Ob Bücherstände, Lesungen oder Podiumsdiskussionen - kaum ein Veranstalter konnte sich über mangelnde Nachfrage beklagen.

Gut besucht: Menschenmassen drängten in die Hallen. Fotos (3): Leipziger Buchmesse
 
     
     
 
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