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Die Umstände, die dazu führten, daß der Artikel 143/3 ins Grundgesetz eingefügt wurde, geben Anlaß zu erheblichen Fragen: Erst einmal muß hier erwähnt werden, daß die frei gewählte Volkskammer in einer Nachtsitzung vom 23. auf den 24. August 1990 aufgrund eines völlig überraschenden Antrages der DSU mit 292 gegen 65 Stimmen (vor allem aus dem Lager der SED-PDS) dem Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland beitrat. Dieses Grundgesetz war aber am 24. August noch nicht um den Artikel 143/3 ergänzt worden. Bundeskanzler Kohl wurde mit Schreiben der Volkskammerpräsidentin Bergmann-Pohl am folgenden Tag vom Ergebnis dieser Abstimmung unterrichtet. Spätestens mit diesem Brief ist eindeutig bewiesen, daß es keine Einschätzung der Bundesregierung geben konnte, die DDR hätte den Beitritt noch von irgendwelchen Bedingungen abhängig gemacht. Sie war ja gerade ohne jede Bedingung beigetreten. Mit diesem Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland fiel nach meinem Verständnis das von den Kommunisten widerrechtlich konfiszierte Eigentum an die rechtmäßigen Eigentümer zurück. Oder sollte ich mich hier irren?
Die folgende Handlungsweise aber läßt noch mehr aufhorchen: Von der Regierung Kohl war den Abgeordneten des Deutschen Bun-destages die Zustimmung zum Einigungsvertrag und die Zustimmung zur Grundgesetzänderung als Junktim in einer gemeinsamen Abstimmung abverlangt worden. In der vorhergehenden Debatte hatte Bundeskanzler Kohl persönlich erklärt, daß es die oben aufgeführte Bedingung zur Wiedervereinigung sowohl seitens der UdSSR wie auch der DDR gegeben habe und daß es in harten Verhandlung nicht möglich gewesen sei, diese Bedingung vom Tisch zu bekommen. Ohne jeden Zweifel entsprach diese Äußerung nicht der Wahrheit. Auch eine derartige pflichtgemäße Einschätzung konnte es bei Kohl nicht geben, weil einerseits nach Aussagen des DDR-Bevollmächtigten Günther Krause und andererseits von Michail Gorbatschow sowie Außenminister Schewardnadse in keinerlei Gesprächsrunde über diese Punkte während der Wiedervereinigung überhaupt verhandelt worden war. Die Abgeordneten des deutschen Bundestages hatten circa 24 Stunden Zeit vor der Abstimmung, um das gesamte Gesetzeswerk von über 1.000 Seiten zu studieren, bevor sie darüber abstimmen sollten. Dennoch erklärten während der Abstimmung 99 Abgeordnete der CDU/CSU und 13 Abgeordnete der FDP, daß sie der Erweiterung des Grundgesetzes um den Artikel 143/3 nicht zustimmen würden, wenn nicht gleichzeitig als Junktim die deutsche Wiedervereinigung zur Abstimmung stünde. Ohne diese 112 Abgeordneten wäre die notwendige Zweidrittelmehrheit nicht erreicht worden. Meine Frage ist, ob durch eine Abstimmung, die mit einer offensichtlich arglistigen Täuschung herbeigeführt wurde, Legitimität erlangt wird?
Zweifel am redlichen Vorgehen der seinerzeitigen Bundesregierung werden auch durch folgende Gedanken erhärtet: Im Rahmen einer zweijährigen Anzeigenkampagne mit einem Aufwand von über zehn Millionen D-Mark wurde in allen großen deutschen Zeitungen namhaften Vertretern der Bundesregierung, insbesondere Bundeskanzler Kohl, aber auch dem Präsidenten Roman Herzog, der vorher der maßgebliche Verfassungsrichter in dem einschlägigen Verfahren gewesen war, Heuchelei, Betrug, Hehlerei, Diebstahl, kurz und gut Regierungskriminalität vorgeworfen. Keiner der Betroffenen hat sich auch nur ein einziges Mal dagegen rechtlich zur Wehr gesetzt.
Im Gegenteil schrieb auf eine entsprechende Anzeige mit dem Text: "Muß Kinkel weiterhin lügen?" der seinerzeit amtierende deutsche Außenminister Klaus Kinkel an einen Fragesteller aus den Reihen seiner Partei (der FDP): "Ich habe mich über diese Anzeige genauso geärgert wie Sie. Ich habe mich sofort mit dem Bundesjustizministerium in Verbindung gesetzt, um zu überlegen, was zu tun sei. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß es besser ist, nichts zu tun. Glauben Sie mir bitte. Ihr Klaus Kinkel".
Eine Woche später wurde die obengenannte Anzeige zusammen mit einem Faksimile des Antwortschreibens von Kinkel in denselben Zeitungen abermals veröffentlicht - ohne jede rechtliche Reaktion. Der Bundespräsident steht unter dem ganz besonderen Ehrenschutz des Strafgesetzbuches. Auch er hat weder während noch nach seiner Amtszeit den geringsten Versuch unternommen, gegen diese Anzeigen, die später in Tausenden von Flugblättern vor seinem neuen Wohnsitz, der Burg Jagsthausen, verteilt wurden, irgend etwas zu unternehmen. Wenn man bedenkt, wie schnell Bundeskanzler Helmut Kohl dabei ist, seine Anwaltspraxis beim ihm unangenehmen öffentlichen Äußerungen an die Front zu schicken, so nimmt dies doch sehr wunder.
Jetzt seien zwei der Hauptbeteiligten an den seinerzeitigen Wiedervereinigungsverhandlungen wörtlich zitiert: Im Buch "Dokumente zur Deutschlandpolitik, Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90" (Oldenbourg-Verlag, München, Seite 148) heißt es: "Schäuble steht auf dem Standpunkt: Die Bundesrepublik solle kein Interesse daran zeigen, entstandene Eigentumsverhältnisse in der DDR wieder rückgängig zu machen, und dies noch obendrein als eine Bedingung für die Wiedererlangung der Einheit von Moskau fordern. Der Versuch, die Standhaftigkeit Gorbatschows in dieser Frage zu testen, wird nicht unternommen. Die Bundesregierung sieht es auch nicht als notwendig an, diese Frage zum Gegenstand direkter Verhandlungen zwischen dem Bundeskanzler und Generalsekretär Gorbatschow zu machen." Die Sonderedition wurde von der Bundesregierung Kohl autorisiert.
Nahtlos fügt sich die folgende Bemerkung von Schäuble aus seinem Buch "Der Vertrag" (1. Auflage, 1990, Seite 103) an: "Ich habe mich ein wenig lustig gemacht über jene, die jetzt in Verzweiflung geraten, weil sie möglicherweise etwas nicht mehr bekommen, von dem sie seit zwanzig Jahren im Traum nicht daran gedacht haben, daß sie es jemals wiederbekommen würden."
Hans Dietrich Genscher, Außenminister a. D., sagt zu diesem Punkt in seinen Erinnerungen, die 1995 erschienen, auf Seite 858: "Die Freiheit des gesamtdeutschen Gesetzgebers in dieser Frage aber wurde gewahrt ... Wir wollten auf keinen Fall neu entstandenes Privateigentum antasten; auch für öffentliche Belange in Anspruch genommene Grundstücke sollten nicht zurückgegeben werden. Wir wollten aber auch nicht, daß der deutsche Staat zum Nutznießer von Enteignungsmaßnahmen in der
damaligen sowjetischen Besatzungszone wurde. Das, was frei verfügbar war, ohne neue Eigentumsrechte zu berühren, sollte zurück-gegeben werden können. Ich dachte nicht in erster Linie an eine Entschädigung in Geld. In der internen Diskussion sagte ich: ,Der beste Investor ist der Eigentümer. An dieser Stelle konnten wir uns in der Koalition nicht durchsetzen ..."
Meine letzte und Hauptfrage an den objektiven Juristen ist: Wenn man all diese oben genannten Punkte zusammenzählt: Kommt man dann zu einer "pflichtgemäßen Einschätzung" der Bundesregierung, daß die Russen eine Conditio sine qua non gestellt haben könnten, konfiszierte Immobilien als Preis für die deutsche Wiedervereinigung nicht zurückzugeben?
Eine letzte Bemerkung möchte ich noch anknüpfen: Ohne Mittelstand wird es kaum gelingen, in absehbarer Zeit auf dem Boden der Ex-DDR die so dringend benötigten Arbeitsplätze zu schaffen. Wenn diese aber nicht entstehen, so wird die Last, die von den Sozialsubventionen im Osten ausgeht, das gesamte wiedervereinigte Deutschland weiter in den Niedergang führen.
Grundgesetzartikel 143/3 - "Unabhängig von Absatz 1 und 2 haben Artikel 41 des Einigungsvertrags und Regelungen zu seiner Durchführung auch insoweit Bestand, als sie vorsehen, daß Eingriffe in das Eigentum auf dem in Artikel 3 dieses Vertrages genannten Gebiet nicht mehr rückgängig gemacht werden."
Händedruck: DDR-Ministerpräsident Lothar de Maiziere (Mitte) gratuliert Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (l.) und DDR-Staatssekretär Günther Krause am 31. August 1990. Im Palais Unter den Linden in Berlin besiegelten an diesem Tag die Regierungen beider deutscher Staaten den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik zum 3. Oktober 1990. |
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