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Mit dem ZDF nach Königsberg

 
     
 
Abfahrt vom Bahnhof Berlin-Lichtenberg, Gleis 15 Richtung Königsberg. In meiner Begleitung diesmal ein ZDF-Fernsehteam des Landesstudios Berlin. Ob ich wisse, daß die Fahrgäste auch mit Kaviar bewirtet würden, werde ich gefragt. Nein, das weiß ich noch nicht, und so lasse ich mir vom Schlafwagenschaffner mein Verpflegungspäckchen kommen, unwissend, daß mir am nächsten Morgen bei der Bestellung des Frühstücks mitgeteilt werden wird, daß ich dieses doch bereits am Abend zuvor erhalten hätte. Langes Magenknurren bis zur Ankunft wird die Folge sein. Immerhin, Kaviar, wenn auch in Rot, wurde während meiner vorausgegangenen Bahnfahrten nach Königsberg noch nicht serviert.

Über Frankfurt an der Oder, Posen, Gnesen und Dirschau, Marienburg, Elbing und Braunsberg kommen wir an die polnisch-russische Grenze, die seit dem 1. dieses Monats die russische Enklave von der Europäischen Union
trennt. Das ist schon ein merkwürdiges Gefühl, diese nach 1945 so willkürlich mitten durch unser Ostdeutschland gezogene Grenze ist nun zur EU-Außengrenze geworden. Was wird sich ändern? Wird die Enklave auch die Chance haben, zur EU zu kommen? Der für uns sichtbare Eindruck vermittelt keine großen Chancen - elektrisch geladene Zäune, nicht ganz so hoch wie an der damaligen DDR-Grenze, geharkte Sandstreifen und Wachttürme. Trotz der russischen Begründung, man wolle die Grenze gegen Schmuggel von Medikamenten, Drogen und ähnlichem schützen, kommen unwohle Gefühle auf.

Ein gartentorähnliches Gatter wird geöffnet - der Zug fährt durch -, jetzt sind wir im unter russischer Souveränität stehenden Teil Ostdeutschlands - und damit außerhalb der seit dem 1. Mai 2004 erweiterten Europäischen Union. An der Grenze eingestiegene Grenzer und Zollbeamte gehen durch den Zug, höflich, aber auch bestimmt auftretend. Sogar der Geheimdienst ist dabei. Der Kameramann des ZDF soll seinen Film zur Kontrolle abgeben, was dieser verweigert. Alle Achtung! Immerhin hat das Team die offizielle Drehgenehmigung erhalten. Königsberg kommt in Sicht. In den Kurven knacken die Achsen, die Räder quietschen - Geräusche, die ich schon von früheren Fahrten her gut kenne.

Langsam fährt der mittlerweile aus drei Waggons bestehende Zug in den immer noch existierenden Königsberger Hauptbahnhof ein. Aus irgendeinem Lautsprecher ertönt Marschmusik. Auf dem Bahnsteig einige bekannte Gesichter, darunter mein Freund Sergej Belantschuk, der als Arzt in dieser Stadt lebt. Auch das Solistenensemble des Königsbeger Doms ist dabei. Wir verabreden sofort mit dem Fernsehen einen Termin im Museum des Friedländer Tors. Zauberhafte junge Damen hier ansässiger Reisebüros sind erschienen. Kontakte sind eben wichtig. Seit meinem ersten Besuch 1992 hat sich viel geändert. Schnelle Fahrt zum Hotel - die Straßen voller Schlaglöcher, der Autoverkehr fast vor dem Infarkt, überall Staus, die Stadt kann diesen rasant angestiegenen Verkehr nicht mehr bewältigen. Die zerstörten Pregelbrücken fehlen. Das neu erbaute Hotel "Schildkröte" ist für drei Nächte unser Quartier, es befindet sich hinter dem Tiergarten, etwa in der Straußstraße. Aus meinem Zimmer erblicke ich hinter der Mauer Lamas, Bisons und ein Kamel.

Wir fahren bei plötzlich schönem Wetter zum Dom, der in seiner äußeren Gestalt allmählich seiner Fertigstellung entgegensieht. Über das alte Granitpflaster schreitend bemerke ich, daß Stephan Radke, unser Kameramann, meinen über das Pflaster streichenden Schatten filmt - gute Idee. Er filmte 1989 Genscher im Garten der deutschen Botschaft in Prag in den eindrucksvollen Momenten, die dann die Welt veränderten. Besinnung vor dem Kant-Grabmal. Verbleibender Eindruck dieser Situation. Das gewaltige Westwerk des Domes im Licht der Nachmittagssonne - doch allein steht er jetzt da auf der Kneiphofinsel. Dann Paradeplatz mit dem von Christian Daniel Rauch geschaffenen Kant-Denkmal. Die Universität wirkt fremd mit der vor den Altbau gesetzten sachlichen Fassade. Die vielen Studenten davor sind die Hoffnung der Stadt. Am Nordbahnhof reizt an der Stelle des früheren Eingangsbereiches der Ostmesse der immer noch standhafte Lenin in Bronze, vor der im Rohbau fast fertiggestellten Kathedrale stehend, zu Kameraaufnahmen. Wie paßt das eigentlich zusammen?

Am nächsten Tag sind wir im Museum des Friedländer Tors mit dem Chor Lado verabredet. Der Raum mit seinem in Backstein gemauerten Kreuzgewölbe ergibt einen guten Rahmen für dieses kurze Chorkonzert. Nach knapper Gesangsprobe wird nach voller Zustimmung gefilmt, sehr beeindruckend am Schluß das von dem russischen Chor in deutscher Sprache gesungene Ostdeutschlandlied. Das bedeutet auch Versöhnung! Die Leiterin des Landesstudios Berlin des ZDF, Susanne Gelhard, vergleicht die bewegende Melodie mit der schönen Landschaft des Landes.

Weiter geht es in die entstellte Stadt. Wir halten kurz am "Dom Sowjeto", dem immer noch als Neubauruine stehengebliebenen "Haus der Räte" - als Fotoobjekt stets noch interessant. Davor das Kriegerdenkmal des Vaterländischen Krieges mit dem inzwischen recht zerschlissenen Torpedoboot zwischen in Beton geformten Wellen. In der Königsstraße steht noch nach wie vor die Ruine der Bebauung Königseck mit dem immer noch sichtbaren Schriftband der Kreuzapotheke - verwundete Zeugen der alten Stadt. Das Team verspürt Hunger, ich empfehle am Tiergarten ein gutes Selbstbedienungsrestaurant, "Solianka" mit Namen, und mache mich davon, um ins Gewusel der Stadt einzutauchen.

Meine Reiseführungen durch den Norden Ostdeutschlands erfordern Kontakte zu den hiesigen Reiseunternehmen, die als Partner für die Reisen hier im Lande fungieren. Daher mein Besuch bei "Schnieder Reisen Kaliningrad" an der Ecke Pillauer Landstraße/Hufenallee, gegenüber dem Schauspielhaus. Erstaunen über das vorherrschend in Weiß eingerichtete lichte Büro. Die russische Leiterin Elvira besticht durch ihr akzentfreies Deutsch. Interessant ihre Schilderungen über die heute immer zahlreicher reisenden Russen in alle Länder, die durch dieses Reiseunternehmen vermittelt werden. Ich verabschiede mich mit der Bemerkung, noch einige in der Nähe liegende Objekte fotografieren zu wollen. Die Mitarbeiterin Oxana würde mich gerne begleiten, wird mir empfohlen. Es interessiert sie sehr, wie ich als Architekt diese Bauten aus der Zeit vor der sowjetischen Besetzung sehe und beurteile. Das macht Spaß! Natürlich bin ich nicht sehr glücklich über den Umbau des Schauspielhauses, das einen zu monumentalen Säulenportikus in Anlehnung an das Moskauer Bolschoitheater erhalten hat, wenn es auch gut mit der benachbarten ehemaligen Oberpostdirektion korrespondiert, die heute Sitz der Baltischen Flotte ist. Dieses 1918 bis 1924 errichtete Gebäude im klassizistischen Stil mit dem stark betonten Portikus ist unverändert geblieben und heute hervorragend renoviert - die Russen lieben den Klassizismus. Im Sommer letzten Jahres wurde davor ein Denkmal Peter des Großen aufgestellt. Wir sehen das im Bauhausstil 1930 errichtete ehemalige Staatsarchiv - im Treppenhaus eine sehr schön gewendelte Treppe. Richtung Nordbahnhof weitergehend dann das Gebäude des Reichssenders Königsberg, von Architekt Prof. Hanns Hopp 1933 erbaut, gegenüber das im neobarocken Stil erbaute Amtsgericht mit dem anschließenden Anbau des Landgerichts. Davor die beiden von dem Tierplastiker August Gaul 1912 geschaffenen kämpfenden Wisente. Oxana ist ganz erstaunt über meine Beschreibungen. Der Nordbahnhof, 1930 von Martin Stallmann erbaut, hat auf der rechten Seite einen schlecht gestalteten Anbau erhalten, der die gesamte Situation des ehemaligen Hansaplatzes sehr negativ beeinflußt. Wir verabschieden uns voneinander. Oxana wird darüber nachdenken! Ich schlendere zum Hotel zurück. Abends haben wir uns zum Essen in einem Restaurant direkt neben dem ehemaligen Scala-Kino verabredet. Erstaunliche Atmosphäre, etwas schwülstig. Wir sitzen auf der Galerie und können während des sehr guten Essens die vielen Tische der Spielbank mit entsprechendem Publikum beobachten.

Am letzten Tag ein kurzer Trip nach Cranz. Zwei junge Damen des Reisebüros "Septima" wollen mir dort das im letzten Jahr fertiggestellte kleine Hotel "Villa Lana" zeigen, das wir Ende Mai mit unserer Reisegruppe bewohnen werden. Wieder einmal Erstaunen über das selbstbewußte Auftreten dieser gut gewachsenen russischen Frauen - gepaart aber auch mit viel Herzlichkeit. Üstina war mir bekannt, Katja hat vor kurzem ihr Studium an der Universität im Fach Touristik mit Auszeichnung beendet. Auf der Fahrt erfahre ich, daß sie gerne Kulturreisen in die Bundesrepublik Deutschland sowie nach Frankreich und Italien begleiten würde. Das interessiert mich, und so ergab sich genügend Gesprächsstoff. Auffallend ist, daß sich die Jugend immer mehr für die Geschichte des Königsberger Gebietes interessiert. Ich spreche davon, daß sich hier in diesem Land deutsche und russische Kultur überlappen, daß dies eine Chance für unsere Völker zur Verständigung ist, die Menschen sollten die Orientierung nach Europa haben. Dazu gehört aber auch der Blick auf die Vergangenheit dieses Landes mit seiner 700jährigen Geschichte. Die letzten wenigen Zeugen dieser Kulturlandschaft dürfen deswegen nicht verschwinden, sie gehören zu diesem Land und sind mit ihm verbunden. So ergibt sich die Chance, daß sie in die Jetztzeit miteingebunden werden und sich in der Geschichte auch sichtbar ausdrücken.

Auf dem Weg nach Cranz zeige ich die Ruine der Kirche von Rudau aus der Ordenszeit; hier haben meine Eltern 1925 geheiratet. Weiter geht es nach Nadrau, dem Gut, auf dem meine Mutter geboren wurde. Dort, im Nadrauer Wald, ist irgendwo mein Großvater begraben, das Grab ist nicht mehr zu finden. Kurz vor Cranz kommen wir zum Schloß Bledau, es ist noch voll erhalten. Einst ein typisch ostdeutsches Gutsschloß, ist es heute ein Heim für behinderte Kinder. Üstina und Katja hatten es noch nie gesehen. Nach unserem Besuch in Cranz auf der Rückfahrt zeigte mir Katja unterwegs an der Cranzer Chaussee in Schreitlacken ein gut gepflegtes Haus; hier sei sie geboren, erklärte sie. "Und dort, auf dem kleinen Friedhof auf dem Hügel, liegen meine Großeltern", ergänzt sie. Berührungen - beide haben wir hier unsere Wurzeln.

Durchaus etwas bewegt über die Begegnungen in diesen Tagen steige ich wieder in den neuen Zug - Üstina und Katja winken - das schöne Gesicht Katjas geht mir nicht aus dem Kopf.

 

Im ehemaligen Eingangsbereich der Deutschen Ostmesse: Statue des Atheisten Lenin vor der im Bau befindlichen Erlöser-Kathedrale Foto: Papendick

 
     
     
 
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