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Die Parade ist zu Ende gegangen, die letzten Klänge der Konzerte verklungen und auch die Soldaten und Sicherheitsbeamten ziehen sich langsam von ihren Posten zurück. Mit ihnen auch Hunderte von politischen Ehrengästen, Fotografen, Kameraleuten und Journalisten. So zeigt sich das Bild am Roten Platz in Moskau am Abend des 9. Mai. Die Feier zum 60. Jahresfeier des Sieges, zum Djen Pobedy (Tag des Sieges) wie er offiziell genannt wird, war vom Kreml aus minutiös geplant worden.
Trotz vorabendlicher Regengüsse fand die Parade am Montag morgen statt. Mit einem Glocke nspiel des Spasskiturms an der Kremlmauer begann die Parade um 10 Uhr Ortszeit. Schon zwei Stunden zuvor zogen die Truppenteile der russischen Streitkräfte mit Marschmusik und Gesang auf dem Platz und der Moskwabrücke vor der Basiliuskathedrale auf, um von dort aus direkt auf den Roten Platz zu marschieren. Die Parade folgte der strengen Ordnung der sowjetischen Zeit, als auf dem Roten Platz unter Anwesenheit von Stalin oder Breschnjew ebenfalls die Truppen zur Siegesfeier aufmarschierten. Nachdem der Verteidigungsminister Iwanow, als erster in der russischen Geschichte ohne Uniform, die Parade vom Kommandeur des Moskauer Militärbezirkes, Jefremow, abgenommen hatte, richteten sich die Blicke auf die Ehrentribüne vor dem Leninmausoleum.
Wladimir Putin, umgeben von seiner Ehefrau Ludmilla Putina, dem amerikanischem Präsidenten Georg W. Bush, Frankreichs Präsidenten Chirac und Bundeskanzler Schröder mit seiner Ehefrau hielt seine Rede auf den "Sieg der sowjetischen Armee über den Faschismus". Er erwähnte das Leiden, die Verluste und die Betroffenheit jeder einzelnen Familie durch den Krieg. Den größten Teil der Menschenverluste habe die Sowjet-union hinnehmen müssen, und doch wäre der Krieg ohne die Hilfe der amerikanischen, britischen und französischen Truppen sowie die Unterstützung durch italienische und deutsche antifaschistische Gruppen nicht möglich gewesen.
Der anschließende feierliche Marsch der Paradegruppen stellte die russischen Streitkräfte in aller Feierlichkeit dar: das Sonderkommando der Stadt Moskau als Träger der Staats-, Sieges- und Streitkräftefahnen, die Infanterie-, Panzer-, Artillerie-, Ingenieur- und Marinetruppen in originalgetreu nachgenähten historischen Uniformen, die Minensuchtruppen mit ihren Hunden und die Abordnung des Kavalleriegeschwaders zu Pferd. An der Parade teilzunehmen wird nur den Besten der Besten zuteil und gilt als Auszeichnung für jeden russischen Soldaten.
Neben aller militärischen Tradition gab es aber doch eine Neuerung. Nach dem historischen Teil wurde es auf dem Roten Platz nicht durch die Marschmusik, sondern durch das Motorenbrummen alter Mannschaftswagen laut. Auf ihnen saßen 2.000 mit Orden, Auszeichnungen und roten Nelken geschmückte ausgewählte Veteranen. Sie, die am Großen Vaterländischen Krieg, wie der Zweiten Weltkrieg in Rußland genannt wird, teilgenommen haben, waren aus Moskau und den umliegenden Gebieten eingeladen worden, um als letzte Zeitzeugen den Bezug zwischen damals und heute herzustellen. Es war eine imponierende Inszenierung der russischen Armee unter den Augen und mit dem Wohlwollen Putins, der Rußland als nicht zu unterschätzende Großmacht darstellen wollte.
Die Fernsehsender übertrugen die Parade, den anschließenden Gang der Gäste und Veteranen zum Ewigen Feuer am Grab des unbekannten Soldaten und das Foto aller Staatsgäste an der Grotte. Zum Kremlpalast, in dem ein Staatsessen für die Ehrengäste und Veteranen gegeben wurde, hatten die ausländischen Medien allerdings keinen Zutritt - laut Kremlverwaltung aus Sicherheitsgründen. Hier kam es zu einem der vielen "historischen Bilder": Bundeskanzler Schröder unterhält sich mit einer russischen Partisanenkämpferin, die von ihren Kriegserlebnissen berichtet - übersetzt von Putin, der durch seine KGB-Tätigkeit in Dresden fließend Deutsch spricht.
Für Wladimir Putin folgte ein Gespräch mit George Bush, dessen wenige Tage zuvor geäußerte Kritik an der Besetzung der baltischen Staaten in Moskau ein scharfes Echo fand. Währenddessen besuchten Bundeskanzler Schröder und seine Frau den Kriegsgefangenenfriedhof Ljublino am Stadtrand Moskaus, auf dem deutsche Soldaten begraben sind, die an den Folgen von Kriegsgefangenschaft und Lagerarbeit gestorben sind. Im anschließenden Gespräch zwischen Putin und Schröder waren beide sich darin einig, daß es ihre gemeinsame Aufgabe sei, die Wunden des Krieges zu heilen und die gemeinsame Verantwortung dafür zu übernehmen, daß sich diese Tragödie niemals wiederhole. Beide Politiker haben im Krieg nahe Angehörige verloren - Schröder seinen Vater, Putin seinen älteren Bruder während der Belagerung im damaligen Leningrad.
Die Feierlichkeiten des 9. Mai fanden ihren Abschluß in einem farbenfrohen Konzert, bei dem neben National- und Kindertänzen auch der durch Schauspieler sowie Musik- und Videomaterial nachgestellte Kriegsverlauf gezeigt wurde. Ein 15minütiges Feuerwerk, das ringartig um den Kreml herum stattfand, erleuchtete den Abendhimmel über Moskau. Mit Donnern ging der Tag, der in Rußland voller Erwartung und Spannung erwartet worden war, zu Ende.
Das Klatschen der Zuschauer war aber nur schwach zu hören, denn die Moskowiter waren aus dem Innenstadtzirkel "verbannt" worden und konnten nur vereinzelt an den Feierlichkeiten teilnehmen. Der Kreml, der Rote Platz und der angrenzende Alexandergarten waren hochsicherheitsmäßig abgesperrt worden. Somit waren die Strassen menschenleer, viele Geschäfte für diesen Tag geschlossen und die Metro ungewohnt leer. Das Fest für die Bevölkerung wurde auf den Fernsehschirm verlegt.
Das ist die andere Seite des russischen Glanzes. Die russische Bevölkerung sieht den gewonnenen Krieg als das verbindende Element, unabhängig von der Politik. Das russische Volk habe den Krieg gewonnen, nicht Stalin oder die heutigen Politiker, so die weit verbreitete Meinung der Bevölkerung.
Um so enttäuschter zeigten sich die Russen, daß ihr Tag des Sieges erneut die Zweiteilung Rußlands in die wichtigen Persönlichkeiten, die Armee und die Presse einerseits sowie das russischen Volk andererseits zeigt. So fand am weißrussischen Bahnhof in der Moskauer Innenstadt eine Demonstration der Kommunisten und liberaler Gruppen statt, die gegen die aktuelle Politik der sich im Kreml auch gleichzeitig irgendwie selbst feiernden russischen Regierung protestierten.
Neben dieser inländischen fiel die ausländische Kritik kaum ins Gewicht. Und doch hat sie den Tag begleitet. Die Präsidenten von Georgien, Estland und Lettland hatten sich demonstrativ dagegen ausgesprochen, der Einladung Rußlands Folge zu leisten und waren nicht in Moskau erschienen. Denn für sie sei der 9. Mai keine Siegesfeier, sondern stehe für den Beginn einer schweren Zeit voller Repressionen.
Das Gerhard Schröder als Symbol der deutsch-russischen Versöhnung als erster deutscher Bundeskanzler bei den Feierlichkeiten zum Kriegsende dabei war, betrachten viele Russen als großen aber auch ganz natürlichen Schritt. Denn wichtig sei es, neben allen Toten, aller Gewalt und unschuldigen Opfern aus den Fehlern zu lernen und in die Zukunft zu blicken.
Rußland zeigte sich am 9. Mai stark. Stark im Zwiespalt. Es war ein Tag an dem die Luftstreitkräfte für gutes Wetter sorgen sollten, doch am Anfang regnete es.
Es war ein Tag der Großen, doch das Volk durfte nicht daran teilnehmen. Es war ein Tag der Veteranen, doch an die zivilen Opfer des Stalinismus wurde nicht gedacht. |
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