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Nach Auffassung der Stuttgarter Industrie- und Handelskammer (IHK) wird die Wirtschaftsspionage in Deutschland in ihrer Gefährlichkeit immer noch unterschätzt. In ihrer aktuellen Zeitschrift schreibt die Kammer, daß es "ganz langsam auch deutschen Unternehmen dämmert, daß Wirtschaftsspionage Jahr für Jahr Zehntausende deutsche Arbeitsplätze dauerhaft vernichtet und im Ausland dafür neue Arbeitsplätze entstehen läßt". Bemerkenswert ist, daß die IHK Stuttgart in diesem Zusammenhang Roß und Reiter nennt. Die Geheimdienste aus Großbritannien, den USA und Frankreich lieferten den Unternehmen ihres jeweiligen Landes zunehmend einschlägige Informationen. Mit diesen Informationen werden Konkurrenten Aufträge abgejagt oder bereits fertige Produkte preisgünstig kopiert. Insbesondere die USA haben keine Skrupel, alle nachrichtendienstlichen Instrumente einzusetzen, um Konkurrenz unternehmen von US-Firmen systematisch auszuspionieren. Für Wirtschaftsspionage ist in den USA insbesondere der technische Geheimdienst "National Security Agency" (NSA) mit Sitz in Fort Mcade zuständig. Dieser betreibt das nach dem Zweiten Weltkrieg eingerichtete und seitdem immer weiter verfeinerte Überwachungssystem "Echolon". Mit diesem Abhör- und Auswertungssystem hört die NSA die zivile Kommunikation auf der ganzen Welt ab. Wie bereits im vom 19. Dezember 1998 berichtet, befindet sich eine Station des NSA auch im bayerischen Bad Aibling. Es ist offensichtlich, daß die Bundesregierung um die Spionagetätigkeit der Amerikaner in Bad Aibling weiß, diese jedoch hinnimmt, um die angeblich guten Beziehungen (!) mit den USA nicht zu gefährden. Wie die Stuttgarter IHK mitteilt, beobachtet "die National Security Agency in Europa routinmäßig alle E-Mails, Telefon- und Faxverbindungen."
Im Gegensatz zu Deutschland ist das Bewußtsein in den USA für Fragen der Wirtschaftsspionage wesentlich weiter fortgeschritten. So gehört die legale Form der Wirtschaftsspionage, in den USA als "Competitive Intelligence" (etwa: Wettbewerbsanalyse) bezeichnet, zum Standard-Repertoire. Die US-Unternehmensberatungsfirma Ernst & Young hat herausgefunden, daß bereits jedes fünfte Unternehmen in den USA, das am Internet hängt, einen versuchten oder erfolgreichen Einbruch ins Datennetz beklagt. Von diesen Angriffen seien inzwischen nicht nur Großunternehmen wie Siemens, Hoechst oder der Softwarehersteller SAP betroffen, sondern zunehmend auch mittelständische Firmen.
Interessanterweise geht die größte Gefahr weniger von externen Angriffen aus, sondern von eigenen Mitarbeitern: Die Unternehmensführung der Firma Bosch mußte zur Kenntnis nehmen, daß ein Mitarbeiter per E-Mail Entwicklungsergebnisse in die USA geschickt hat. Die Deutsche Verlagsanstalt mußte miterleben, daß ein Mitarbeiter 700 000 Kundenadressen kopierte und bei der Konkurrenz zu Geld machte. Auch auf diesem Gebiet ist das Problembewußtsein in den USA ausgeprägt. Hier gehört ein Ethiktraining für Mitarbeiter inzwischen zur Gestaltung der Arbeitsverträge. Hierzulande stecken die Unternehmen noch in den Kinderschuhen. Einer der wenigen, der in Deutschland auf Handlungsbedarf im Hinblick auf die nachrichtendienstlich gesteuerte Wirtschaftsspionage hinweist, ist der Unternehmensberater Roman Hummelt, der mit "Wirtschaftsspionage auf dem Datenhighway" auch ein instruktives Buch zum Thema vorgelegt hat.
Die deutschen Unternehmen werden sich dem Faktum öffnen müssen, daß der Computer auch dem Verbrechen Wege öffnet. Ulrich Kersten, Präsident des Bundeskriminalamtes, prophezeite, die Computerwelt wird die "Zukunftsbranche für Großkriminelle". Zu diesen "Großkriminellen" gehören zunehmend auch die Geheimdienste sogenannter "befreundeter" Staaten.
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