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Die Rückverlagerung des politischen Machtzentrums der Deutschen nach Berlin wird mehr werden als ein Umzug einiger tausend Bundesbeamter und Politiker.
Was viele erhofft (oder auch befürchtet) haben, zeichnet sich nun deutlich ab. Ein Epochenwechsel steht an. Ausgerechnet ein Redakteur der "Welt", die in ihrer jüngeren Vergangenheit nicht eben als Schrittmacher zeitgeschichts prägender Diskussionen geglänzt hat, gab das Stichwort: "Abschied vom linken Nationalmasochismus" betitelte Tilman Krause seine Beschreibung des "Mentalitätsumschwungs im Lande" im "Übergang von der Bonner zur Berliner Republik".
Er löste wütende Reaktionen derer aus, die bis eben glauben konnten, daß sie es sind, die das geistige Ruder der Nation für immer an sich gerissen haben. "Mit diesem Wort wird versucht, die Wahrheits- und Erinnerungsarbeit einer ganzen Generation zu schmähen", schäumt der SPD-Politiker Freimut Duve. Er meint offenbar die "68er" und deren politische Quintessenz: Die "Vergangenheitsbewältigung".
Entzündet hat sich die Debatte am geplanten, alle Maße sprengenden "Holocaust-Mahnmal" in der deutschen Hauptstadt. Kennzeichnend dafür, daß hier nicht bloß der übliche Parteienstreit abgearbeitet wird, sondern daß sich ein Epochenwechsel anbahnt, ist, daß sich die Front verwirrend (oder auch erhellend?) quer durch die Lager zieht. So ist es ausgerechnet der CDU-Chef und Bundeskanzler Kohl, der gemeinsam mit Leuten wie Lea Rosh, Rita Süssmuth oder Freimut Duve die Reihe der Mahnmal-Befürworter anführt. Gerhard Schröder wiederum läßt seinen Kultursprecher Michael Naumann den Kohlplan rundweg ablehnen - mit Argumenten, die jedem konservativen Wähler aus der Seele gesprochen scheinen.
Gerhard Schröder indes ist nicht gerade ein Mann fester politischer Positionen. Kritische Zeitgenossen trauen dem Mann aus Hannover ungesehen zu, auch das Gegenteil zu vertreten, wenn es denn Vorteil verspräche. Schröder aber hat einen wachen Verstand für das, was sich im Volk bewegt und reagiert in der Art des Machtmenschen, dem es allein um Zustimmung und nicht um Inhalte geht. Solche Persönlichkeiten funktionieren wie Seismographen des Wandels.
So ahnen Schröder und seine Ratgeber, daß die Zeit der ungebremsten nationalen Selbstgeißelung in Deutschland vorüber ist. Die gigantomanischen Mahnmalspläne sind gleichsam Höhepunkt und Wendemarke zugleich: Der "Turmbau zu Berlin".
Nicht zufällig trifft dieses Ereignis auch auf den dreißigsten Jahrestag von 1968. Genau eine Generation ist seitdem vergangen. Die damaligen Aufrührer sind heute zwischen 50 und 60 Jahre alt, haben den Zenit ihrer Macht erreicht. Von nun an kann es nur noch bergab gehen. Auch haben die 68er niemanden mehr über sich, gegen den sie aufbegehren könnten. Das macht die Lage doppelt schwierig für sie, die sich doch stets in der Rolle von Opposition und Provokation sehen wollten. Da bleibt am Schluß wohl nur noch die Gegnerschaft zum ganzen eigenen Volk, ins Absurde übersteigert durch Kohls "Mahnmal". Die Rolle des Kanzlers erscheint hier vordergründig wie die des rückständigen Spießers, der sich jahrzehntelang zäh gegen das "Moderne" gewehrt hat, um es just in jenem Moment doch zu übernehmen, in dem es wieder "unmodern" geworden ist.
"Fast sieht es so aus, als sollten wir nun durch die SPD bekommen, was beim Machtwechsel von 1982 versprochen, aber nie eingehalten wurde: jene "geistig-moralische Wende", die uns die Überwindung des linken Nationalmasochismus bringt", folgert Krause. Ein fleißiger CDU-Aktivist, der das liest, muß sich erschüttert fragen, wofür er sich eigentlich all die Jahre krummgemacht hat. Er steht vor einem Scherbenhaufen.
Der Streit um das verunglückte Mahnmal hat endlich eine längst überfällige Debatte ausgelöst, die nun offen geführt werden wird. Da werden häßliche Wahrheiten ans Licht kommen: So über die Motivation der zahllosen "Berufsbewältiger", denen es nie wirklich um die Opfer ging, sondern um ihren politischen und materiellen Profit. Wehrlose Tote von gestern mußten herhalten, um Andersdenkende von heute verfolgen zu können mit der "Faschismuskeule". Die schlimmsten Verleumdungen waren da gerade gut genug.
Vielleicht ahnten die Initiatoren jener zyklopischen nationalen Selbstanklage von Berlin ja bereits, daß ihre Zeit zu Ende geht, und wollten nur schnell noch ihr "Werk" vollenden. Wenn es nach Helmut Kohl geht, werden sie diesen Wettlauf gewinnen und ihr "Denkmal der Deutschen gegen sich selbst" in gleichsam letzter Minute bauen.
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