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Zeuge des Evangeliums

 
     
 
Die Kirche in der DDR klagt den Kommunismus an!“ hatte der evangelische Pfarrer Oskar Brüsewitz auf ein Plakat geschrieben, das er vor nunmehr 25 Jahren, am 18. August 1976, vor der Michaeliskirche in Zeitz aufstellte. Dann griff er zu einem Benzinkanister, goß dessen Inhalt über seinen Kopf und Talar und zündete sich mit Streichhölzern an. Vor über 100 Zeugen brach er zusammen und wurde in das Bezirkskrankenhaus Halle/ Saale gebracht, wo er am 22. August 1976 starb. Auf dem Friedhof neben seiner Kirche im kleinen Reppicha nahmen über 400 Menschen aus allen Teilen der damaligen DDR - darunter viele Pfarrer im Talar - an der Beerdigung teil, argwöhnisch beobachtet und fotograf
iert von einem großen Stasi- und Vopo-Aufgebot. Die Machthaber reagierten erschrocken. Sie erklärten den Pfarrer für „abnormal und krankhaft veranlagt“, für einen Mann mit „Wahnvorstellungen“.

Mutig und standhaft widersprach die Ehefrau des Pfarrers Christa Brüsewitz den kommunistischen Verleumdungen: „Das ist eine glatte Lüge. Mein Mann wollte ein Zeichen setzen. Ich selbst bekenne mich auch zu dieser Tat. Mein Mann hat nur das Evangelium gepredigt - dies wurde vom Rat des Kreises Zeitz als Provokation gedeutet.“

Brüsewitz wollte, das bestätigen viele Augenzeugen und Amtsbrüder, daß seine Selbstverbrennung ein Fanal werde, gleich der des 20jährigen Philosophiestudenten Jan Palach, der sieben Jahre vorher auf dem Prager Wenzelsplatz den Flammentod wählte, als unübersehbare Mahnung gegen die Unterdrückung seiner Heimat durch den Kommunismus.

Seit langem hatte Brüsewitz gegen die Kirchenpolitik des SED-Staates protestiert und den Kommunisten insbesondere die Erziehung der Jugend zum Haß vorgeworfen. Lang ist die Liste seines Aufbegehrens: Neben die Losungen der SED stellte er handschriftliche Plakate: „Christus ist die Hoffnung der Welt“. Die Parteipropaganda: „25 Jahre DDR“ beantwortete er mit: „2000 Jahre Kirche Jesu Christi“ und sagte: Unsere Kirchenglocken werden noch läuten, wenn sich draußen keiner mehr an die Marxismus-Leninismus erinnert“. Als die SED die „Ernteschlacht“ des Jahres 1975 mit der Losung „Ohne Gott und Sonnenschein bringen wir die Ernte ein“ anzuheizen suchte, konterte Brüsewitz: „Ohne Regen und ohne Gott geht die ganze Welt bankrott“. Er befestigte ein großes Kreuz aus Neonröhren in 20 Metern Höhe am Kirchturm, allabendlich leuchtete es, von weitem sichtbar. Die Forderung des Rates des Kreises nach Entfernung des Kreuzes beantwortete Brüsewitz: „Solange der Sowjetstern überall leuchtet, bleibt auch mein Kreuz!“ Es leuchtete noch lange nach seinem Tod.

Viele Jahre war er von den DDR-Machthabern schikaniert worden. Auch die Übersiedlung in die Bundesrepublik hatte man ihm nahegelegt, um den unbeugsamen Pfarrer loszuwerden. Doch diesem ging es darum, die grundlegenden Probleme in seinem überschaubaren Lebens- und Wirkungsbereich unübersehbar auf die Tagesordnung zu setzen. Wohlüberlegt war auch die Wahl des Ortes seines Flammentodes: in Sichtweite der SED-Kreisleitung und der Evangelischen Kirchenbehörden, deren beider Blicke er gleichermaßen auf die prinzipiellen Fragen richten wollte.

Von den Kommunisten verlangte er, Schluß zu machen mit dem totalitären Anspruch auf die Jugend, Schluß auch mit der Benachteiligung der Christen im real existierenden Sozialismus. Im Blick auf die Kirche litt Brüsewitz unter den sich häufenden Zeichen opportunistischer Anpassung an diesen Sozialismus, die von vielen Christen nicht verstanden und erst recht nicht gebilligt wurde.

Die Reaktionen auf den Flammentod des Pfarrers im Bereich der Kirchen reichte denn auch von tiefer menschlicher Erschütterung bis zu dem Versuch, alles zu unternehmen, um das Verhältnis zur „Staatsmacht“ nicht zu stören. So erklärte der amtierende Bischof der Evangelischen Kirchenprovinz Sachsen, Probst Friedrich W. Bäumer, bei seiner Trauerrede am Grab von Brüsewitz: „Die Fragen, vor die uns unser Bruder und seine Entscheidung, die er für uns getroffen hat, stellt, werden wir nicht so schnell beantworten oder abschütteln können, Fragen, die uns in unserer politischen und in unserer menschlichen Existenz aufgeschreckt haben.“

Der Evangelische Kirchenbund war in erster Linie um „Schadensbegrenzung“ bemüht: „Wir können der Tat unseres Bruders nicht zustimmen. Jeden Versuch, das Geschehen in Zeitz zur Propaganda gegen die Deutsche Demokratische Republik zu nutzen, weisen wir zurück“. Konsistorialrat Manfred Stolpe berichtete, die Kirche hätte „Solidarität mit dem Staate zu bekunden“ gehabt. Ein mutiges Beispiel für den Widerspruch gegen die Hetze der SED gab der spätere Vorsitzende der SPD-Fraktion in der ersten frei gewählten Volkskammer Richard Schröder, der sich als Pfarrer in einer Predigt in Wiederstedt im September 1976 gegen die Halbwahrheiten und Verleumdungen der SED verwahrte, die, so Schröder, „eine Schande“ darstellten.

Im Westen Deutschlands hingegen bemerkte das SPD-Organ „Vorwärts“ zum „Tod eines Pfarrers“, die Demonstration von Brüsewitz habe „mit Vernunft nichts zu tun“. Natürlich sei in der DDR nicht alles in Ordnung, trotzdem: „Grund zur Verzweiflung gibt es für Christen in der DDR nicht.“ Zwischen Staat und Kirche herrsche heute ein Verhältnis, wie man es früher auf beiden Seiten nicht zu hoffen gewagt hätte.

Dieses „Verhältnis“ durfte nicht belastet werden. Als Freunde von Brüsewitz, die Pfarrer Latk und Beck zu Günter Gaus, dem Leiter der „Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Ostberlin eilten, erhielten sie dort den Rat, den Fall nicht an die große Glocke zu hängen, die Entspannungspolitik sei sonst gefährdet.

Besonders perfide und arrogant reagierte Pastor Heinrich Albertz, das Idol der „68er“, der seinen Amtsbruder Brüsewitz unter Anspielung auf dessen früheren Beruf als Schuhmacher - er studierte später Theologie auf dem zweiten Bildungsweg - als einen Ignoranten hinstellte: „Einer, der von Haus aus eher gar nicht Theologe war, sondern einen normalen Beruf erlernt hatte, der wußte, daß ein Schuh ein Schuh ist, ihm ist sicherlich vieles unverständlich geblieben, was heute Kirchenpolitik in der DDR bedeutet...“

Heute, 25 Jahre nach seinem von ihm so verstandenen Opfertod, stellt Pfarrer Brüsewitz, der im Sozialismus, anders als viele Kirchenobere, kein „Humanum“ oder „humanistisches Anliegen“ entdecken konnte, den Deutschen viele bohrende Fragen nach Wahrheit und Lüge, Christentum und Totalitarismus, Widerstand und anpassende Beschwichtigung, Mut und Furcht und den Sinn der Selbsttötung als bewußtes Opfer. Der EKD-Synodale Joachim Illies sagte dazu schon 1979: „Wenn sich in Südafrika ein Schwarzer aus Sorge um die Apartheid verbrannt hätte, wären in Ost und West Kirchen und Universitäten nach ihm benannt und ein Gedenktag ausgerufen worden. Aber was tut sich in Deutschland und in der EKD mit Brüsewitz?“

Das ist auch heute nicht anders. Im Gegenteil: Kaum einer kennt den Pfarrer aus Reppicha. Die aber, gegen die er stand, kehren dreist und anmaßend auf die politische Bühne zurück und planen bei den bevorstehenden Wahlen in Berlin nach eigenen Worten „eine kleine, weiche, freundliche Oktoberrevolution“.

Sie leugnen oder rechtfertigen kommunistisches Unrecht, und sie haben dabei ihre Helfershelfer, dieselben, die einst dieses Unrecht „nicht an die große Glocke hängen“ wollten.

Wer eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Geschichte des zurückliegenden totalitären Jahrhunderts sucht und für das deutsche Selbstverständnis für unabdingbar hält, kommt an dem Gedenken an Oskar Brüsewitz nicht vorbei, der sich als Zeuge des Evangeliums gegen den real existierenden Sozialismus verstand.

 

Verbrannnte sich am 18. August vor der Michaeliskirche in Zeitz: der aus Wilkischken / Ostdeutschland stammende Pfarrer Oskar Brüsewitz. Sein Opfertod gegen das bolschewistische Regime wurde vom damaligen Konsistorialrat und heutigen Ministerpräsidenten Brandenburgs Manfred Stolpe zunächst so kommentiert:“Wenn das bekannt wird, wird das die Westpresse in der ihr eigenen Weise ausschlachten. Es muß von uns eine Solidarität mit dem Staat bekundet werden“. Nach einem Gemälde von Matthias Köppel
 
     
     
 
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