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So nicht, Genosse Ehrenburg", titelte kurz vor Beginn des Waffenstillstandes von 1945 die sowjetische Parteizeitung "Prawda" auf Befehl Stalins. Der blutige Generalissimus der Weltrevolution ließ unversehens Halt blasen, weil die zukünftige Deutschlandpolitik dies gebot. Was war geschehen? Der Praktiker des Terrors hatte zuvor Ilja Ehrenburg, den bolschewistischen Theoretiker der psychologischen Kriegsführung angewiesen, bei Überschreiten der Reichsgrenze mit gezieltem Vorgehen auch gegen die deutsche Zivilbevölkerung unnachsichtig die Zeichen des künftigen Sieges mit Blut, Brandschatzungen und Demütigungen zu versehen.
Im Herbst 1944 geschah dies schließlich im ostdeutschen Nemmersdorf in bisher ungeahnter Manier. Auch die seither verstrichenen Jahrzehnte haben dieser ersten Begegnung zwischen Roter Armee und deutscher Zivilbevölkerung nichts von ihrem furchtbaren Eindrücken nehmen können. Über den Tathergang gibt es seit damals keine wesentlich neuen Erkenntnisse, sieht man von Korrekturversuchen ganz seinsvergessener "Historiker" oder in fremden Diensten stehenden Schreiberlingen ab. Um so verwunderlicher muß es nunmehr klingen, wenn Radio Moskau in seiner deutschsprachigen Abendsendung am 10. und dann nochmals am 12. März Berichte ausstrahlte, wonach angeblich in russische Uniformen geschlüpfte "SS-Truppen" deutsche Zivilangehörige erschossen und beispiellos traktiert hätten, um dem Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda Vorwände für eine noch intensivere "Durchhaltepolitik" zu liefern.
Natürlich ist an diesen Vorwürfen alles haltlos, denn die Wirklichkeit des Arbeiterparadieses, wie sie die deutschen Soldaten, auch die meisten KPD-Mitglieder, in der Sowjetunion vorfanden, war so erschütternd, daß ein Joseph Goebbels keinen Schreibfinger zu rühren brauchte, um nicht die Gewehrschäfte fester fassen zu lassen. Im Gegenteil, die Mitarbeiter aus seinem Propagandaministerium mußten nach ersten Eindrücken vor Ort gebremst und auf einen europäischen Kurs eingeschworen werden, wie dies ein Henri Nannen noch hätte berichten können.
Was treibt die verantwortlichen Redakteure von Radio Moskau, heutzutage solch absurde Thesen in den Äther zu geben? Sieht man von den von deutschen Bundesregierungen bereiteten geschichtslosen Böden ab, die allesamt ihre helle Freude an buntschillernden Propaganda-Gewächsen haben, so ist insbesondere die auch vom russischen Geheimdienst kürzlich erfolgte Bestätigung des sogenannten "Fackelmännnerbefehls" die Ursache für diesen erneuten Rückgriff in die Trickkiste billigster Propagandalügen.
In dieser Order Stalins, die am 17. November 1941 unter dem Befehl Nr. 0428 erteilt wurde und seit Jahrzehnten im Nationalarchiv in Washington liegt, wurde nun in der Tat anbefohlen, in deutschen Uniformen der Wehrmacht oder Waffen-SS agierende sowjetische Spezialeinheiten im eigenen Land dazu anzustiften, "deutsche Greueltaten" zu begehen. Dieser Stalin-Befehl "Das schürt den Haß ...) ist so offenkundig seitenverkehrt, pervers, daß die kürzlich erfolgte auszugsweise Veröffentlichung dieses Befehls durch den russischen Geheimdienst in der früheren Staatszeitung "Iswestia" Gegenkräfte auf das propagandistische Feld gerufen hat, um den Schaden zu begrenzen.
Freilich lassen sich so auf Dauer keine Dämme errichten, die das deutsch-russische Verhältnis verbessern ließen. Es ist gewiß insbesondere auch für uns Deutsche nachvollziehbar, wenn die neue Regierung unter dem vermutlichen Präsidenten Putin (am Sonntag ist Wahl) eine Auffangstellung errichten möchte, um die zerfasernde russische Außen- und Innenpolitik wieder "positiv" fassen zu können. Doch "Potemkinsche Dörfer", noch dazu errichtet auf Kosten der Zentralmacht Europas, können nicht der Weg in eine günstigere Zukunft sein. Rußland hat viele Feinde, aber Deutsche gehören gewiß nicht dazu. Tiefgründig den Weg zu verfolgen, der uns in deutsch-russische Feindschaft führte, verschafft vermutlich beiden Seiten genügend Bausteine für eine glanzvollere Zukunft als alle förmlichen Freundschaftsbeteuerungen, wie sie Altkanzler Kohl und Verderber Jelzin mit leichter Hand und ohne weiterführende Absichten praktizierten. Aber eine Politik der Seitenverkehrung nicht, so nicht. Nemmersdorf bleibt nun vorerst weiterhin zwischen uns.
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