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Leicht verwirrt wühlt der ältere Herr am Rednerpult des renovierungsbedürftigen Auditoriums in einem Stapel von Folien. Wo war er stehengeblieben? Seit zwei Jahrzehnten sind ihm die damals von ihm verfaßten Lehrmate-rialien bei seinen Vorlesungen eine große Hilfe, an ihnen hält er sich fest. Doch die Frage eines Studenten hat ihn aus seinem für ihn so vertrauten, für die Studenten aber so umständlichen Konzept gebracht. Ob das in dem Aufmacher der Financial Times von gestern vorkommende amerikanische Unternehmen die eben erwähnte Strategie falsch umgesetzt habe, wollte der junge Mann wissen. Financial Times von gestern? Mit vielen "Ähs" und "Ehms" und "Das kann man so nicht sagen" versucht der Professor die gestellte Frage zu beantworten.
Seit Jahren lehrt er an dieser mittelgroßen norddeutschen Universität, seit Jahrzehnten wird er von Fachleuten auf seinem Gebiet anerkannt, seit einer Ewigkeit forscht er in seinem Elfenbeinturm, und - jedes Semester dieselbe Prozedur - spätestens ab seiner zweiten Vorlesung wird der sonst überlaufene Hörsaal nur noch von wenigen besonders eifrigen Stu-denten heimgesucht. 300 Hochschüler sind in dem von dieser Vorlesung angesprochenen 5. Semester, nur knapp 40 haben sich bei ihm eingefunden. Die anderen lernen lieber für sich, das ist effektiver, denn eben jener Professor gilt unter den Studenten als "Lebenszeitvernichter".
"Brain up! Deutschland sucht seine Spitzenuniversitäten", so der Name des von Edelgard Bulmahn ausgeschriebenen Wettbewerbs zum Thema Elite-Uni. Die fünf Sieger sollen dann fünf Jahre lang bis zu 50 Millionen jährlich vom Bund bekommen, und das, obwohl Bildung ja eigentlich Ländersache ist.
Erstaunlicherweise ist es die SPD, die, beginnend mit einem Vorschlag des inzwischen in die Wüste geschickten Generalsekretärs Olaf Scholz, das Thema Elite-Universität propagiert. Union und FDP, von denen man die Idee wahrhaftig eher erwartet hätte, halten von dieser Art der Elite rein gar nichts. Die thüringische Wissenschaftsministerin Dagmar Schipanski (CDU) hält das ganze Gerede über fünf Elite-Universitäten für einen "Werbe-Gag". "Wirkliche Exzellenz" lasse sich nicht per Dekret verordneten, so die einstige Konkurrentin von Johannes Rau um das Amt des Bundespräsidenten. Die Union teilt geschlossen ihre Meinung, und auch die Grünen halten die Sache mit der "Elite" schon aus ideologischen Gründen für nicht vertretbar.
Frank Ziegele, Projektleiter beim Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) der Bertelsmann- Stiftung, äußerte sich gegenüber dpa ähnlich ablehnend: Es gehe keineswegs nur um Geld, sondern um einen "Wust staatlicher Regelungen", die reformiert werden müßten.
Die Reaktionen aus Opposition, Koalition, der eigenen Partei, Wissenschaft und Wirtschaft verdeutlichen, daß sich die SPD in ihrem "Jahr der Innovationen" mit der von ihr angestoßenen Diskussion um die "Elite-Universitäten" verrannt hat. Im Grunde war das auch nur eine Art Rettungsanker als Reaktion auf die massiven Studentenproteste gegen Kürzungen und Schließungen sowie auf die Forderungen aus der Union bezüglich Studiengebühren. CDU-Chefin Angela Merkel zum Beispiel steht voll hinter dieser Idee, damit alle Universitäten eine Chance haben und sich im freien Wettbewerb bewähren können, statt auf staatlich kontrollierten Wegen fünf "Kunstpflänzchen" zu gießen.
Außerdem, was sind 50 Millionen jährlich beispielsweise bei 38.272 Studenten und Kosten in Höhe von 474,5 Millionen Euro (mit Charité) allein an der Humboldt-Universität Berlin? Ein Tropfen auf den heißen Stein, der Streit zwischen den einzelnen Fakultäten mit sich brächte. Die Studenten würden voraussichtlich nicht viel von den 50 Millionen sehen. Dabei sind es doch sie, um die es geht. Sie sind Deutschlands Zukunft, doch sie fühlen sich eher wie ungeliebte Stiefkinder.
"Man kann damit rechnen, daß ungefähr 20 Bücher auf 300 BWL-Studenten kommen. Gute Vorlesungen sind häufig total überbelegt. 100 Hochschüler in einem Raum für 30", klagt die Osnabrücker Studentin Anna G. "In Hamburg ist das Zahlenverhältnis bei Jura ähnlich. Zudem gibt es hier ja ständig Neuerungen, so daß man sich im Grunde alle Bücher selber kaufen muß. Da kommen am Anfang des Semesters mehrere 100 Euro auf einen zu", bestätigt die Hamburger Studentin Vanessa B. die Misere.
Hier werden pro Semester rund 650 Studenten für Rechtswissenschaften aufgenommen. Jeder von ihnen ist ein "Einzelkämpfer". Die Professoren und ihre Assistenten sind schwer, wenn nicht gar überhaupt nicht zu erreichen. Fragen? Klärt man in privat zu bezahlenden Repetitorien oder unter sich, wenn man den Kontakt zu seinen Mitstudenten pflegt, aber an den großen Universitäten herrscht größtenteils Anonymität.
Die Lehrenden nehmen keine Rücksicht auf die Lernenden. Wer durch eine Klausur fällt, hat in Hamburg die Möglichkeit zur Wiederholung, doch wenn der Professor die Klausur erst nach dem Wiederholungstermin zurückgibt, kann man gar nicht wissen, ob man noch mal ran muß. "Da verliert man ganze Semester, weil die Professoren und ihre Assistenten Arbeiten nicht rechtzeitig zurückgeben. Bei manchen Dozenten hat man auch das Gefühl, daß es ungeschriebenes Gesetz ist, 50 bis 60 Prozent durchfallen zu lassen", läßt die 21jährige Vanessa ihrem Frust freien Lauf.
"Ich wäre bereit, mich für mein Studium zu verschulden, wenn ich dafür auch etwas geboten bekäme. Zur Zeit glaube ich aber, die wollen nun nur auch noch Geld aus uns herauspressen. Damit wird das Studium aber nicht besser, denn es sind die Strukturen, die geändert werden müssen", fordert der 26jährige BWL-Student Stephan H. und zielt damit in dieselbe Richtung wie der CHE-Projektleiter der Bertelsmann-Stiftung, Frank Ziegele.
Also erst Reformen und dann Geld? So weit ist die Universität Witten-Herdecke schon lange.
Konrad Schily - übrigens ein Bruder des Bundesinnenministers - hat vor 24 Jahren diese Privat-Uni gegründet. Zunächst finanzierte sie sich aus Spenden, seit acht Jahren werden auch die Studenten zur Kasse gebeten. Doch dafür bekommen sie auch etwas geboten. Die Dozenten sind hochmotiviert, da leistungsabhängig honoriert und nicht verbeamtet. Gelernt wird in kleinen Gruppen, und die Studenten dürfen mitreden, wenn es um die Verwendung ihrer Gelder geht. Angeboten werden Medizin, Musiktherapie, Pflegewissenschaften, "Pharmaceutical Medicine", Wirtschaftswissenschaften, Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Biowissenschaften und Studium fundamentale. Die 1.200 Studenten im ansprechenden Gebäude werden von der Universität selber ausgesucht. 17 Prozent der Studienkosten zahlt das Land Nordrhein-Westfalen, der Rest wird durch Spenden, die angeschlossene Zahnklinik und die Studiengebühren eingebracht. Wer nicht 253,09 Euro monatlich, maximal 15.185,37 Euro insgesamt, aufbringen kann, darf später zahlen. Das Generationsmodell macht es möglich. Später, im Berufsleben, müssen die Absolventen, wenn sie ein Jahreseinkommen von 17.000 Euro erreicht haben, acht Jahre lang acht Prozent ihrer Einkünfte an die Hochschule überweisen. Wer viel verdient, zahlt am Ende zwar mehr zurück - doch nie mehr als 30.000 Euro. Wer aber nichts verdient, etwa wegen Arbeitslosigkeit, zahlt so lange gar nichts.
"Unsere Studenten sind unsere Kunden, das ist der Grundgedanke dieser Einrichtung", verkündet Benedikt Landgrebe, Pressesprecher der Hamburger Bucerius Law School, stolz. Er spricht damit nicht so sehr die Tatsache an, daß die Studenten für ihr Studium zahlen (33.000 Euro für elf Trimester beziehungsweise beim Generationsmodell, das 21 Prozent der Studenten nutzen, acht Prozent über zehn Jahre, maximal 75.000 Euro), sondern meint vielmehr den damit verbundenen Service. Zwölf Lehrstühle und 40 wissenschaftliche Mitarbeiter kümmern sich um das geistige Wohl der 375 Studenten an dieser im Jahr 2000 von der Zeit-Stiftung gegründeten privaten Rechtsfakultät im Herzen Hamburgs. Das eindrucksvolle Gebäude, das bis 1999 das Institut für Angewandte Botanik beherbergte, wurde für 34 Millionen Euro der Stadt Hamburg abgekauft und renoviert. Auf 8,5 Millionen belief sich 2003 der Gesamtetat der Bucerius Law School, von denen 60 Prozent von der Zeit-Stiftung, 20 Prozent durch Studiengebühren und 20 Prozent durch Spenden großer Anwaltskanzleien und anderer Stiftungen aufgebracht werden.
Ob die Bucerius Law eine Elite hervorbringt, bleibt abzuwarten: Die ersten Studenten bereiten sich gerade auf das Erste Staatsexamen vor, den Bachelor der Privatuni haben sie schon bis auf zwei bestanden. Jedenfalls ist das Lernen hier weitaus angenehmer als an der Rechtsfakultät der staatlichen Hamburger Universität zwei Straßen weiter. Bücher sind für alle da, Computerplätze im Übermaß, blitzsaubere Sanitäranlagen und eine Mensa, in der das Essen durchaus genießbar ist.
Doch das Beste ist die Nähe zu den Lehrenden. Fragen? Werden prompt beantwortet. Private Repetitorien sind nicht notwendig. Professoren sind direkt ansprechbar, schließlich wissen sie: Die Studenten sind ihre Arbeitgeber, und zu viele Beschwerden von dieser Seite würden den Arbeitsplatz gefährden.
Halten die Ideen von Yale, Harvard und Oxford auf der privaten Ebene jetzt auch in Deutschland Einzug? Yale verlangt bis zu 35.000 US-Dollar an Gebühren, Harvard 38.000 US-Dollar. Jährlich! Dagegen sind unsere privaten Gehversuche bescheiden und werden vermutlich nicht wie die anglo-amerikanischen Vorbilder Nobelpreisträger am laufenden Band produzieren. Bei uns geht es vorerst um eine gute Ausbildung, und die kostet bei unseren staatlichen Universitäten jetzt schon: Zeit und Nerven.
Professoren, die fernab der Studenten mit veralteten Lehrmaterialien arbeiten und sich nicht mit der Bildungsschicht von morgen direkt auseinandersetzten, sind nicht tragbar. Unter verkrusteten Verwaltungsapparaten und bürokratischen Hürden leiden Lehrende wie Lernende. Dies zu ändern kostet in erster Linie nicht Geld, sondern bedarf geänderter Strukturen. Sind die dem gegenwärtigen Bedarf und natürlich auch dem Markt angepaßt, kann man über angemessene Studiengebühren reden. Das Generationsmodell, wie es in Hamburg und in Witten-Herdecke erfolgreich praktiziert wird, macht für jeden ein Studium finanzierbar. Pseudo-soziale Argumente ("Zwei-Klassen-Hochschulen", "Bildungsprivileg für Reiche") sprechen also nicht gegen Elite-Universitäten, sondern allenfalls gegen deren Kritiker.
Der Stiftungsgedanke
Wissenschaft und Forschung", "Bildung und Erziehung", "Kunst und Kultur", das sind die drei Herzstücke, die die Zeit-Stiftung bei ihrer Fördermittelverga-be berücksichtigt. Gegründet wurde die Stiftung 1971 von dem Herausgeber der Wochenzeitung Die Zeit. Gerd Bucerius und seine Frau machten die Stiftung zu ihrer Universalerbin. Neben Verlagsanteilen und Immobilien stellten die 9,75 Prozent an der Bertelsmann-Gruppe die größte Geldanlage des 1906 in Westfalen geborenen studierten Juristen und Verlegers Bucerius dar. Der ungemein erfolgreiche Grenzgänger zwischen Politik, Wirtschaft und Publizistik wußte zu seinen Lebzeiten ein Vermögen zu machen. Nach der vollständigen Veräußerung der Bertelsmann-Anteile 2003 zählt das Gesamtvermögen 650 Millionen Euro, die je nach Lage des Kapitalmarktes um die 21 Millionen Ertrag erwirtschaften. Dieser Gewinn wird in verschiedene Förderprojekte gesteckt, so werden beispielsweise die Bucerius Law School und das Bucerius Kunstforum, die die beiden großen Flaggschiffe der Förderaktivitäten darstellen, mit jährlich 4,5 Millionen Euro beziehungsweise 2,5 Millionen Euro unterstützt.
Weitere große Stiftungen, die sich in den Bereichen Wissenschaft, Forschung, Bildung, Erziehung, Kunst und Kultur engagieren und die auch an der Bucerius Law School beteiligt sind, sind die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung sowie die Heinz Nixdorf Stiftung.
Zwei Welten: Der Hörsaal der privaten Bucerius Law School (l.) und der Hörsaal einer staatlichen Universität (r.) stellen zwei völlig unterschiedliche Stätten des Lernens dar. Auch wenn der Stoff annähernd derselbe ist, so bietet die Bucerius Law School ihren 375 Studenten genügend Schulungsräume und Lehrmaterialien, Professoren, die für die Studenten erreichbar sind, sowie modernste Technik. |
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