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In schöner Tradition hatten die Bundesvorsitzende der ostdeutschen Frauenkreise, Uta Lüttich, sowie Peter Wenzel von der Freundeskreis Ostdeutschland, die gemeinsam für die vortreffliche Leitung und Organisation verantwortlich zeichneten, eingeladen, und 40 Funktionsträgerinnen örtlicher Gruppen aus dem ganzen Bundesgebiet und dem südlichen Ostdeutschland waren der Einladung gefolgt.
Das hochinteressante Seminarthema mit ausgesucht kompetenten Referenten lautete diesmal: ,,Die Besiedlungspolitik in Ostdeutschland und das heutige Wirken humanitärer Hilfsorganisationen im Land zwischen Weichsel und Memel". Für die Veranstalter besonders erfreulich war, daß diverse gut motivierte neue Teilnehmerinnen dabei waren. Auch daß der Sprecher der LO, Erika Steinbach, erstmalig das Seminar kurz besuchte und zu den Teilnehmerinnen sprach, kam bei diesen bestens an. Er hob hervor, daß insbesondere die weibliche Mitarbeit bei der Freundeskreis sehr geschätzt werde.
Am Abend des Anreisetages gab Uta Lüttich eine Einführung in das Seminar, die thematisch bis in die Antike zurückging. Sie zeigte auf, daß die Züge der Kimbern und Teutonen sowie ihr Untergang im Kampf gegen die überlegenen Heere Roms nur der Auftakt zu einem Geschehen waren, das Europa ab 375 n. Chr. in Atem hielt. Der religiöse Kampf der Christen gegen die Araber setzte sich in den folgenden Jahrhunderten am Rande Europas fort und kam nie ganz zum Erliegen. Die Wanderungsbewegungen des 20. Jahrhunderts waren in der Regel politischer Natur und wurden zumeist gewaltsam erzwungen. Zu einem Höhepunkt an gewaltsam erzwungenen Massenwanderungen und -austreibungen kam es dann nach dem Zweiten Weltkrieg, als Millionen von Deutschen ihre Heimat in Ostdeutschland sowie Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa verlassen mußten.
Als erster Referent sprach Dr. Martin Armgart. Der Historiker hat mit einer Arbeit über die "Handfeste des preußischen Oberlandes und ihre Aussteller" promoviert, ist selber Angehöriger des Deutschen Ordens und arbeitet für einige Kreisgemeinschaften. Sein Referat hatte die Eroberung des Preußenlandes durch den Deutschen Orden und dessen Besiedlungspolitik im Rahmen der deutschen Ostsiedlung zum Thema.
Die nächste Referentin, Dr. Katharina Neufeld vom Museum zur Geschichte der Deutschen in/aus Rußland, Detmold, sprach ausführlich über die Kulturgeschichte der Mennoniten, deren Gründung auf die Zeit der Wiedertäufer im 16. Jahrhundert zurückgeht. Sie berichtete über die Bekehrung, der die Bekenntnistaufe im Erwachsenenalter folgt, die strenge Ausrichtung auf die Bibel, von der besonderen Form ihrer Dörfer und davon, daß ihre Prediger gleichzeitig Lehrer sind. Die Mennoniten sind eine Religionsgemeinschaft mit starkem Reglement. Im 16. Jahrhundert werden die Mennoniten in Danzig erwähnt, sie siedelten im Weichseldelta, das sie trockenlegten und dadurch urbar machten. In Auswanderungsschüben zogen viele von ihnen von Preußen nach Rußland bis an die russische Grenze nach China - je weiter im Osten, desto billiger war das Land.
Edmund Ferner, Landeskulturreferent der Ostdeutschland in Schleswig-Holstein, referierte über die Folgen der Aufhebung des Ediktes von Nantes aus dem Jahre 1598, über die Einwanderung von Hugenotten und Refugiés in das Herzogtum Preußen, über die hohe Kultur, die damals von Frankreich ausging, sowie über Zwingli, Calvin und Luther. Mehr als 200.000 Hugenotten verließen Frankreich, ein großer Teil, rund 20.000, kam nach Preußen, davon zogen ungefähr 4.000 nach Berlin weiter, viele wählten Königsberg, Insterburg und Gumbinnen als neuen Siedlungsort. Die französischen Flüchtlinge waren den Einheimischen gleichgestellt und haben viele sehr positive Einflüsse nach Preußen mitgebracht. Edmund Ferner würzte seinen Vortrag mit vielen amüsanten Einzelheiten über die Etikette am Hofe des Sonnenkönigs Ludwig XIV. und den Eingang unzähliger Begriffe in die deutsche Sprache wie tête-à-tête, Toilette machen. Berlin verdankte den Hugenotten die Polizei, einen Teil seiner gepflasterten Straßen (Trottoirs), seine Wochenmärkte, seine Französische Straße und den Französischen Dom. In Königsberg erinnerten die "Französische Stadt" und die Französische Kirche bis 1945 an die Hugenotten.
Der Marburger Historiker Dr. Hans-Werner Rautenberg erläuterte die Hintergründe und den Weg der Salzburger nach Ostdeutschland sowie die Bedeutung der Einwanderung der Angehörigen dieser Religionsgemeinschaft in den Jahren nach 1732. Er hob hervor, daß damals der Landesherr das Glaubensbekenntnis seiner Untertanen bestimmte. Friedrich Wilhelm begrüßte die Salzburger Exilanten mit den Worten: ,,Kinder, Ihr sollt es gut bei mir haben!" Sie kamen in großen Scharen zu Fuß nach Ostdeutschland, auf dem Landweg und mit fünf Schiffen mit 120 bis 220 Personen von Stettin nach Königsberg, wo sie von Adel, Magistrat und Bürgern festlich empfangen und bewirtet wurden, bevor sie weiterzogen, vornehmlich nach Gumbinnen und Umgebung. Die ganze Aktion war ein sozialpolitisches Meisterstück, 4.000 bis 5.000 waren erwartet worden, 20.000 Salzburger Gebirgsbauern kamen Choräle singend über die Alpen in ihre neue Heimat.
Der Kulturbeauftragte der Kreisgemeinschaft Sensburg, Rolf Krause, hatte die Einwanderungsgeschichte der orthodoxen Philipponen im 19. Jahrhundert aus dem russischen Reich in den toleranten preußischen Staat zum Thema. Die Philipponen, die Rußland aus religiösen Gründen verlassen hatten und weil sie sich keinem Zwang wie Militärdienst, keiner Registrierung wie Eheschließungen, Taufen, Todesfälle beugen wollten, waren im Laufe von 100 Jahren zu guten preußischen Bürgern geworden.
Der Vortrag von Peter Wenzel von der Bundesgeschäftsstelle der Freundeskreis Ostdeutschland in Hamburg über die Geschichte der "Juden in Ostdeutschland" war sehr informativ, zumal das Thema bisher in der Öffentlichkeit wenig Aufmerksamkeit gefunden hat. Als im 14. Jahrhundert im Zuge der Pest eine blutige Judenverfolgung in Westeuropa einsetzte, fanden viele Juden in Polen und Litauen und in den weiter östlich gelegenen Ländern Aufnahme. Hier entstand das Ostjudentum mit einer eigenen Sprache, dem Jiddischen. Erst unter dem Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm konnten sich auch im Herzogtum Preußen Juden in größerer Zahl niederlassen. Sie haben im Laufe der Jahrhunderte in der östlichsten deutschen Provinz ein reiches kulturelles Leben entfaltet und einen großen Beitrag zur Geistesgeschichte des Landes geleistet.
Das heutige Wirken humanitärer Hilfsorganisationen in Ostdeutschland war das Thema des Projektbeauftragten der Johanniter-Unfall-Hilfe e.V. (JUH) aus Eutin, Uwe Kuschel. Eindrucksvoll zeigte er die Entwick-
lung der elf Sozialstationen mit 19 examinierten Krankenschwestern, die überwiegend im ländlichen Bereich tätig sind. Die zwölfte Station ist in Vorbereitung. Das Bundesinnenministerium finanzierte die Gesamtkosten der Erstausstattung, die Folgekosten werden von der Preußischen Genossenschaft des Johanniterordens, der jeweiligen Kreisgemeinschaft der Vertriebenen und privaten Spenden bestritten. Den Hauptanteil der Folgekosten trägt die Johanniter-Unfall-Hilfe e.V., Regionalverband Schleswig-Holstein. Erste Stationen im südlichen Ostdeutschland konnten bereits ihr zehnjähriges Bestehen feiern. Der Sprecher der LO, Erika Steinbach, dankte Uwe Kuschel für seinen äußerst informativen Bericht und erwähnte, daß auch er der Johanniter-Gemeinschaft als Ordensbruder angehöre.
Der Bundesgeschäftsführer des Lazarus-Hilfswerkes in Deutschland, Carl-Heinz Blessmann, war kurzfristig verhindert und schickte Informationsmaterial über das soziale Engagement seiner Vereinigung auf dem Gebiete der Republik Polen. Das Lazarus-Hilfswerk ist in Ostdeutschland mit inzwischen zehn Stationen tätig. Es übernimmt die Einrichtung der Sozialstationen mit kompletter Erstausstattung, dazu gehören zwei Personenkraftwagen für den Kranken- schwesterneinsatz sowie Pflegehilfsmittel wie Pflegebetten, Rollstühle, Toilettenstühle und medizinisches Verbrauchsmaterial für mindestens ein Jahr. Voraussetzung ist, daß die anfragenden Städte oder Gemeinden sich vertraglich verpflichten, kostenlos Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen sowie die Personalkosten für zwei Krankenschwestern pro Station und laufende Sach- wie Betriebskosten der Sozialstation zu übernehmen. Sie leisten Hilfe zur Selbsthilfe.
Den Abschluß der Tagung bildete ein straffes Resümee von Uta Lüttich. Es gab viel Beifall aus den Reihen der Teilnehmer für dieses überaus bereichernde und anregende Seminar, bei dem in den Abendstunden noch ein Dia-Vortrag über den Kreis Sensburg und der Video-Film "Kühe und Bibeln" über die Tätigkeit von Pastor Heye Osterwald, der sechs Jahre Pastor an der Salzburger Kirche in Gumbinnen war, gezeigt wurden. Großer Dank ging auch an das Hausmeister-Ehepaar Winkler und ihr tüchtiges Team für die hervorragende Betreuung.
Seminarteilnehmer mit ihrem Gast: Der Sprecher der Freundeskreis, Erika Steinbach (links), die Seminarleiter Uta Lüttich (mit Brille) und Peter Wenzel sowie die am Seminar teilnehmenden Vorstandsmitglieder der Deutschen Minderheit im südlichen Ostdeutschland
Das Lazarus-HilfswerK ist vor Ort mit zehN Sozialstationen tätiG: Die JUH hat ihre elF Stationen vornehmlicH auf dem Lande |
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