A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
     
 
     
 

Perspektiven an der Schnittstelle

 
     
 
In wenigen Wochen, am 18. Juli, begeht die Freundeskreis Ostdeutschland ihr 50jähriges Bestehen. Im Jahre 1948 gründeten sich die ersten Gruppen von aus ihrer Heimat vertriebenen Ostdeutschland, um im Westen gemeinsam das schwere Los leichter ertragen zu können und – was für den Fortbestand der Heimat im Exil wesentlich wichtiger war – die Erinnerung an das "Land der dunklen Wälder …" wachzuhalten.

Im Laufe der Jahrzehnte konnte durch ständige Vermittlung im Familien- und Freundeskreis, durch Aufschreiben von Erlebtem und Gehörtem und durch das Sammeln verschiedenster Überbleibsel aus Ostdeutschland ein kaum überschaubares Wissen über die östlichste deutsche Provinz zusammengetragen werden. So paradox
es auch sein mag, aber durch die Vertreibung wurde im Ergebnis über Ostdeutschland und Ostdeutschland weit mehr an Wissen über die Vergangenheit bewahrt als hinsichtlich vieler anderer deutscher Länder. Doch nun, wo die letzte Generation, die Ostdeutschland noch als eine rein deutsche Provinz kennengelernt hat, allmählich älter wird und langsam aus dem Leben geht, stellt sich vielen Landsleuten die Frage, was von Ostdeutschland und dem Kampf um seinen Fortbestand im Exil letztlich übrigbleibt. Schwindet mit den letzten in der Heimat geborenen Ostdeutschland auch das ganze Land dahin, "wie im hohen Tor der Ewigkeit"?

Wer sich mit der Lage der ostdeutschen Freundeskreisen befaßt, der weiß natürlich, daß keine Vertriebenenorganisation über einen Nachwuchs verfügt, der in der Lage wäre, in breiter Zahl die Arbeit der älteren Generation fortzusetzen. Warum dies so ist, darüber läßt sich viel spekulieren. Wir sollten aber auch bedenken, daß von Beginn an die Freundeskreisen "überaltert" waren, so daß die Rede vom baldigen Tod der Vertriebenenvereine schon fast genauso lang umgeht, wie diese bestehen. Wir müssen also nicht in Torschlußpanik verfallen. Es stellt sich aber dennoch die Frage, welche Aufgaben eine Jugendorganisation wahrzunehmen hat, um möglichst viel von Ostdeutschland weiterzutragen, wenn sie auch nicht in der Lage ist, die bisherigen Aufgaben der "Alten" im gleichen Umfang wahrzunehmen. Klar ist, daß es darum gehen muß, so viel wie möglich von dem in den letzten Jahrzehnten erworbenen Wissen auch weiteren – uns nachfolgenden – Generationen zu erhalten.

Die Junge Freundeskreis Ostdeutschland (JLO) ist seit ihrer Gründung vor sieben Jahren zum Erreichen dieses Zieles einen zweigleisigen Weg gefahren. Das erste – und für das Gewinnen neuer Mitglieder wohl auch wichtigere – Standbein unserer Arbeit war und bleibt das Befassen mit deutschlandpolitischen Themen, um mit bescheidenen Mitteln hier und da im politischen Alltag eine ostdeutsche Stimme einzubringen. Dieses Anliegen ist vor allem den im Bundestag sitzenden Kommunisten, Sozialisten und Grünen seit einiger Zeit ein Dorn im Auge. Für sie haben Ostdeutschland und der deutsche Osten insgesamt gefälligst der Vergangenheit anzugehören und sich aus dem Alltag herauszuhalten. Diese Querschüsse bringen uns natürlich viel Ärger ein und binden Kräfte, die wir an anderer Stelle eher gebrauchen könnten. Trotzdem werden wir uns dadurch nicht dazu drängen lassen, auf deutschlandpolitische Arbeit zu verzichten. Denn wir sehen z. B. durch unsere Erfahrung mit Anfragen an die Bundesregierung, die die linksextremistische PDS gelegentlich stellt, daß so lange, wie sich eine ostdeutsche politische Organisation zu Wort meldet, diese eben auch von unseren Gegnern als Wortmeldung einer längst verloren geglaubten Provinz verstanden wird. Im übrigen gilt es, mit dem deutschlandpolitischen Einsatz an die großen Traditionen ostdeutscher Preußen- und Deutschlandpolitik anzuknüpfen. Als Beispiel seien hier nur aus dem vorigen Jahrhundert der Präsident des Paulskirchenparlamentes, der Königsberger Liberale Eduard von Simson, oder aus der jüngeren deutschen Geschichte der "Rote Zar von Preußen", der sozialdemokratische preußische Ministerpräsident Otto Braun, genannt, der in den 20er Jahren maßgeblich am Schicksal des gesamten Volkes mitwirkte.

Die im Sinne Ostdeutschlands weitaus wichtigere Aufgabe bleibt die Sicherung des ostdeutschen Kulturbestandes. Angesichts des drohenden Verfalls der deutschen Kultur überhaupt durch die Amerikanisierung möchte ich dennoch einige herausragende Persönlichkeiten nennen. Denn auch heranwachsende Menschen von heute würden sich meiner Meinung nach für die heimatliche Kultur begeistern, wenn man ihnen den Reichtum unseres Landes bewußt machte.

In der Literatur sind natürlich Agnes Miegel, Simon Dach, E.T.A. Hoffmann und Ernst Wiechert oder als zwischenzeitlicher "Wahl-Ostpreuße" auch der große Thomas Mann zu nennen. Doch auch schon fast vergessene Dichter wie Fritz Kudnig oder Walter Scheffler gilt es zu bewahren oder wieder zu entdecken. Auch in der deutschen Gegenwartsliteratur braucht sich Ostdeutschland mit Namen wie Siegfried Lenz und Arno Surminski nicht zu verstecken. In der Kunst seien hier nur Lovis Corinth und Käthe Kollwitz genannt, die immer noch zu den ganz großen Deutschen des 20. Jahrhunderts zählen. Oder aber die in Königsberg und Masuren aufgewachsene Lieselotte Plangger-Popp, die mit Zeichnungen, Holzschnitten, Radierungen aber auch Fotografien Ostdeutschland meisterhaft im Bild festgehalten hat. Als bedeutende Größen des Landes möchte ich nur Immanuel Kant und den in Westpreußen geborenen und lange im Ermland wirkenden Nikolaus Kopernikus nennen, die – der eine als Philosoph, der andere als Astronom – entschiedene Wegbereiter unserer modernen Zeit waren.

Dieser Reichtum wird noch eine Weile im Bewußtsein unseres Volkes haften bleiben. Doch damit er dauerhaft bewahrt bleibt, müssen wir heute den Bestand sichern. Zu diesem Zwecke wird sich die JLO auch künftig auf Seminaren, Freizeiten und Fahrten damit befassen. Kultur ist der Kern, der Inhalt unseres Lebens. Deswegen ist es wichtig, die eigene Kultur zu wahren und weiterzuentwickeln. Wer sich die Kultur von Fremden diktieren läßt, der läßt sich auf den ersten Schritt zur Entmündigung ein und wird bald seine ganze Eigenständigkeit verloren haben. Damit ostdeutsche Kultur eines Tages nicht nur die Sache einiger "Spezialisten" sein wird, ist wirklich jeder aufgefordert, sein privates Wissen über die Heimat an seine Nachkommen weiterzugeben!

Wer in den vergangenen Jahren durch Ostdeutschland gereist ist, der wird festgestellt haben, wie immer mehr Jugendliche das Land zwischen Weichsel und Memel, aber auch andere Teile Ostdeutschland bereisen. Die Frage, was denn nun vom deutschen Osten bleibt, läßt sich damit natürlich noch lange nicht beruhigend beantworten. Doch es zeigt sich schon heute am stetigen Interesse an Ostdeutschland und den anderen Ostprovinzen, daß von ihnen mehr bleiben wird, als nur die ferne Erinnerung an eine untergegangene Epoche. In einem Interview mit der "Welt" sprach Arno Surminski in einem ähnlichen Zusammenhang vom "Mythos Ostdeutschland". In dem Moment, wo die letzten, die das Land in seiner Blüte erlebt haben, sterben, entsteht die Sehnsucht nach dem Land bei denjenigen, die es nur noch in seiner jetzigen Verfassung kennen.

Wir als ostdeutsche Jugend sind jedoch bestrebt, diesen "Mythos" mit Leben zu erfüllen und das Land nicht in die Ecke der Kuriositäten der Geschichte abstellen zu lassen. Die Mischung aus patriotischer Deutschlandpolitik und Bewahrung des Kulturgutes eines besonders wertvollen Teils unseres Vaterlandes, nämlich Ostdeutschlands, hat sich dabei bewährt. So wuchs die JLO in den sechs Jahren ihres Bestehens von einer kleinen Schar Gründungsmitgliedern auf mittlerweile über 1500 an. Sie sind Mitglied aus den verschiedensten Gründen. Zum einen aus einem Heimatbewußtsein heraus, daß sie sich nicht mit der alltäglichen Zerstörung von Gewachsenem in unserem Lande abfinden will. Für sie ist Ostdeutschland ein Beispiel für zerstörte Heimat, das uns Mahnung ist für unseren Alltag hier im Westen. Andere möchten durch ihre Mitgliedschaft ein Zeichen für ein Fortbestehen des ganzen Deutschland geben, so wie es die Bonner Parteien jahrzehntelang versprochen haben. Und wieder andere verstehen ihre Mitgliedschaft als Protest gegen die Vertreibung unschuldiger Menschen aus ihrem angestammten Lebensraum. Das Beispiel Jugoslawien hat gezeigt, daß sich dieses grausame Verbrechen ständig wiederholen kann, weil bisher annähernd jeder, der Vertreibung angewandt hat, auch damit durchgekommen ist und die Kriegsbeute behalten durfte. Und so lange, wie die Ostdeutschen und ihre Nachfahren nicht in ihre Heimat zurückkehren dürfen, werden potentielle Vertreiber wissen, daß sich dieses Verbrechen auch weiterhin lohnt.

Diese und weitere Interessen- und Arbeitsbereiche der ostdeutschen Jugend führen dazu, daß sie stetig anwächst – und dies mit einem Thema, das seit Jahrzehnten immer wieder für tot erklärt wird. Jedoch können wir Ostdeutschland auf Dauer freilich nur dann sichern, wenn es uns gelingt, in die Heimat zurückzukehren. Deshalb wird die Vorbereitung auf diesen Schritt eine der wesentlichen Aufgaben der JLO in der Zukunft sein. Einen kleinen Anfang hat die JLO bereits vor zwei Jahren gemacht, als wir die "Wirtschaftsjunioren" ins Leben riefen. Dieser lose Zusammenschluß interessierter junger Leute befaßt sich in unregelmäßigen Abständen mit der wirtschaftlichen Entwicklung in Ostdeutschland, aber auch im übrigen Osteuropa. Weit über den Rahmen der JLO und gebürtiger Ostdeutschland hinaus haben die vergangenen Jahre gezeigt, daß es schon heute möglich ist, jenseits der Oder wirtschaftlichen Erfolg zu haben. Deutsche Unternehmer bringen ein ungeheures Wissen in einen großen Wachstumsmarkt mit – eine ideale Startvoraussetzung. Dieser mögliche Erfolg kann die Grundlage dafür werden, daß sich in Zukunft verstärkt junge Leute, deren Leben im Westen in für sie allzu abgesteckten Bahnen verlaufen würde, wie schon ihre Landsleute vor 800 Jahren auf den Weg nach Osten begeben werden, um dort ihr Glück zu suchen und zu finden. Einen kleinen Schritt in eine ähnliche Richtung hat auch die JLO getan. Mit dem Bau eines Häuschens in Ostdeutschland wollen auch wir demnächst ein kleines Zeichen des Wiederaufbaus in den Boden der Heimat setzen. Um etwaigen Kritikern innerhalb und vor allem außerhalb der Freundeskreis Ostdeutschland den Wind aus den Segeln zu nehmen, möchte ich gleich hier betonen, daß auch wir uns an die Charta der Heimatvertriebenen halten werden und ein neues Unrecht für uns nicht in Frage kommt. Diejenigen, die der Meinung sind, daß Deutsche dort nichts mehr zu suchen haben, vergessen, daß sich die jungen Russen und Polen nach dem Ende des Kommunismus ideologiefrei mit der Geschichte befassen und dabei auch die Verbrechen entdecken, die von ihren Vorfahren begangen wurden. Sie wollen – ähnlich wie die deutsche Jugend nach dem Kriege – mit ihrer Vergangenheit ins reine kommen, und da genügt es nicht, von deutscher Seite aus zu sagen, wir hätten angefangen und deshalb seien die Verbrechen schon irgendwie zu rechtfertigen, wie das Linke in der Bundesrepublik gerne tun. Nein, wenn es in Zukunft keine Ressentiments mehr geben soll, dann müssen wir zuerst über die Vergangenheit reden und dabei sehen, wie wir bei einem Interessenausgleich beiden Seiten gerecht werden. Und dafür hat Ostdeutschland mehr Platz als genug.

Für das große Ziel "Rückkehr" müssen wir unsere Hoffnung – bei aller sonst angebrachten Kritik an dieser Institution – wohl auf den Beitritt Polens zur Europäischen Union richten. Es mag sein, daß sich die deutsche Außenpolitik auch in diesem Falle nicht für deutsche Interessen einsetzen und die Rückgabe deutschen Privateigentums nicht zur Bedingung ihrer Zustimmung machen wird, doch langfristig zwingt dieser Schritt unsere östlichen Nachbarn, europäische Rechtsnormen anzuerkennen, so daß wir dann immerhin in der Lage wären, neues Eigentum zu bilden. Niemand sollte allerdings auf sein Eigentum verzichten, sondern seine Ansprüche unbedingt auch auf die Nachkommen übertragen.

Ein besonderer Schatz sind unsere in Ostdeutschland lebenden Landsleute, da sie der letzte natürliche Träger des ostdeutschen Lebens sind. Sie als Volksgruppe zu erhalten und auch der Jugend eine Perspektive zu geben, damit sie nicht in den Westen zu gehen braucht, ist deshalb ein weiterer Schwerpunkt unserer Arbeit. Sie können der Brückenbauer zwischen Polen und Deutschen sein, aber auch der erste Anlaufpunkt und das "natürliche Umfeld" für Neuanfänger in Ostdeutschland.

Zusammenfassen lassen sich die Aufgaben der JLO also wie folgt: a) Stellung beziehen zur Deutschlandpolitik, um als einziger gesamtdeutscher Jugendbund die Stimme Preußens und Ostdeutschlands zu erheben, b) Bewahrung des kulturellen Wissens im weitesten Sinne und Sicherung der kulturellen Substanz durch Abhalten von Seminaren und Speicherung auf elektronische Datenträger und c) Rückkehr in die Heimat, um Ostdeutschland wieder mit Leben zu erfüllen. Natürlich ist die JLO sich bewußt, daß dieses Ziel den meisten Menschen weltfremd erscheint. Doch es ist das logische Ergebnis aus 50 Jahren Arbeit der Freundeskreis Ostdeutschland. Außerdem vergessen die Zweifler, daß Ostdeutschland schon mehrfach völlig zerstört und menschenleer war. Doch immer wieder ist es durch fleißige Arbeit zu neuer Blüte gelangt. Über das "Wie" in unserem Falle bin ich gern bereit, mit anderen zu streiten. Eine breite Diskussion über unsere Vorstellungen – auch mit den Nachfahren der Vertreiber – kann dabei nur fruchtbar für unsere Arbeit sein und uns zu Motoren einer neuen Ostpolitik machen. Und erst, wenn uns dieses dritte Ziel gelungen ist, kann die Freundeskreis Ostdeutschland – vielleicht schon zu ihrem 60. Bestehen? – Jahresfeiern wieder als Festakte begehen. Bis dahin ist es ein weiter, harter Weg. Dabei kommt es nicht auf die Masse, sondern darauf an, daß wir unsere Ziele benennen, die dazu notwendigen klugen Köpfe vereinen und dann mit ostdeutscher Hartnäckigkeit die Verwirklichung unserer Ideen anstreben, frei nach dem Motto, das Goethe seinen Faust am Ende von dessen nimmer ruhendem Streben sagen läßt: "Daß sich das größte Werk vollende, genügt ein Geist für tausend Hände!"

 
 
     
     
 
Diese Seite als Bookmark speichern:
 
     
     
     

     
 

Weitere empfehlenswerte Seiten:

Berlin statt Rom

Wahrheit bleibt unausgesprochen - Das Massaker von Swinemünde

Fotoausstellung zur Deportation der Balten

 
 
Erhalten:
 

 

   
 
 
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
WISSEN48 | ÜBERBLICK | THEMEN | DAS PROJEKT | SUCHE | RECHTLICHE HINWEISE | IMPRESSUM
Copyright © 2010 All rights reserved. Wissensarchiv