|
Die bisherigen polnischen Anstrengungen für den EU-Beitritt waren kaum mehr als ei Warmlaufen. Das eigentliche Hindernisrennen folgt erst noch.
Dennoch oder gerade deshalb verbreitete Ministerpräsident Buzek am 8. September vo dem Sejm Selbstbewußtsein und Optimismus. Erneut betonte er den Willen seiner Regierung das Land bis zum 31. Dezember 2002 beitrittsfähig zu machen. Buzeks Zeitplan sieht eine Abschluß der Verhandlungen mit Brüssel bis Ende 2000 oder Anfang 2001 vor. Das letzt Wort habe aber in jedem Fall das polnische Volk, das in einem Referendum über de Anschluß abstimmen werde, so der Ministerpräsident.
Letzteres könnte angesichts der jüngsten Meinungsumfragen vom Juni knapp werden Demnach sank die Zustimmung zur EU mit 55 Prozent auf die niedrigste jemals festgestellt Quote. Und dies, obwohl die "heißen Eisen" bei der Angleichung an da Gemeinschaftsrecht erst noch angepackt werden müssen.
Den aktuellen Stand der eigenen Vorbereitungen und der Gespräche mit der EU legt Chefunterhändler Jan Kulakowski vor dem Sejm dar. Bisher konnten nach seinen Worten die Lageberichte zu 23 der 30 Reformkapitel an Brüssel gegeben werden. Sieben Bereiche seie "vorübergehend abgeschlossen" worden. Das bedeutet, daß beide Seiten hie keine Schwierigkeiten im Angleichungsprozeß an das Gemeinschaftsrecht sehen.
Diese Entlastung betrifft sowohl die Kapitel Telekommunikation un Informationstechnologie, Statistik, Wissenschaft und Forschung sowie Erziehung als auc die kleinen und mittelständischen Betriebe, die Industriepolitik und den Wettbewerbs- un Verbraucherschutz.
Acht Bereiche sind "offengelassen" worden, sprich: die Union hat in diese Punkten das Signal auf Rot gestellt, und Warschau muß nachbessern. Weitere acht harre noch der Bewertung der EU-Verantwortlichen, ehe sie abschließend Gegenstand vo Verhandlungen sein können.
Die bis dato fehlenden sieben Grundsatzpapiere sollen bis Ende November in Brüsse überreicht werden, versprach Kulakowski. Sie umfassen die schwierigen Komplexe Finanze und Haushalt, Steuern, Landwirtschaft und Umweltschutz. Auch die von Warschau (un Budapest) hinsichtlich des freien Kapitalverkehrs und des Grundstückskaufs durc Ausländer geforderte Übergangsfrist von 18 Jahren dürfte sich als Hemmschuh erweisen.
Verhandlungsführer Kulakowski betont, daß sein Land im Vergleich zu den andere Beitrittskandidaten "nicht zurückgeblieben" sei. Faktisch trägt Polen jedoc bei den Angleichungsmaßnahmen derzeit die rote Laterne. Allein Estland hat genauso wenig nämlich sieben Bereiche bewältigt, während Ungarn, Slowenien un Tschechien acht Kapitel abhaken konnten und Zypern sogar alle zehn der von de Mittelmeerinsel geforderten Weichenstellungen vollzogen hat.
Eine Ende September ernannte "Nationalversammlung für die europäisch Integration" soll den polnischen Bemühungen neuen Schwung bringen. Dieses Gremiu mit Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien hat nicht nur die Aufgabe die Verant-wortlichen in Regierung und Parlament in den Beitrittsfragen zu beraten sondern es soll auch für eine größere öffentliche Akzeptanz werben.
Letzteres ist für die amtierende Mitte-Rechts-Regierung eine Frage des politische Überlebens. Die Erinnerungen an die wütenden EU-feindlichen Bauernproteste vom Frühjah sind noch sehr lebendig. Buzek und seine Minister wissen, daß die Zustimmung de Bevölkerungsmehrheit zu schwinden droht, wenn sich der Beitritt lange hinauszögert. U so mehr Sorgen bereiten deshalb die Stockungen im Anpassungsprozeß an die EU-Standards.
Tadeusz Mazowiecki, Vorsitzender des Parlamentsausschusses für Auswärtig Angelegenheiten, äußerte hier ebenso entschieden Kritik wie er die größtmöglich Nutzung der "Brüsseler Fleischtöpfe" anmahnte. Eine Panne bei de Inanspruchnahme des SAPARD-Programms zur Förderung von Umstellungen in de Agrarwirtschaft und der Entwicklung der ländlichen Räume wär "unverzeihlich". Der letztjährige Verlust von 34 Millionen ECU aus de PHARE-Programm infolge schlecht vorbereiteter Anträge sei Warnung genug gewesen, s Mazowiecki.
Insgesamt hat die EU gemäß der "Agenda 2000" 22 Milliarden Euro fü Vor-Beitrittshilfen eingeplant. Ab kommendem Jahr erwarten polnische Fachleute für ih Land Fördergelder in Höhe von nicht weniger als 600 Millionen Euro jährlich, was etw doppelt soviel ist wie die bisherigen Unterstützungen. Nach einer Osterweiterung stehe dann allein bis zum Jahr 2006 weitere 54 Milliarden Euro aus den Brüsseler Kassen fü die Reformstaaten bereit.
Was nach 2006 auf die bisherigen Mitgliedsstaaten an zusätzlichen Belastungen zukommt steht in den Sternen. Daß es sich um beträchtliche Summen handeln dürfte, zeigen erst Schätzungen. Allein für den Umweltschutz werden für die nächsten 20 Jahre Ausgaben vo deutlich über 120 Milliarden Euro vorhergesagt.
Aus deutscher Sicht kann man nur hoffen, daß Kanzler Schröder sich an das hält, wa er bei seinem Antrittsbesuch bei der EU-Kommission am 26. November 1998 versprochen hat Demnach gibt es die "Möglichkeit des Näherkommens, das die Deutschen bezahlen (... nicht mehr". Die Erfahrung läßt einen solche Verlautbarungen mit Skepsi betrachten, zumal die Franzosen nach wie vor meinen, die Osterweiterung sei ei "deutsches Baby", für das dessen Erzeuger auch aufkommen müsse.
Was die Frage des Beitrittsdatums betrifft, so dürfte eine Äußerung Romano Prodi vom 14. September Freude in Warschau und anderen ostmitteleuropäischen Hauptstädte ausgelöst haben. Der neue Präsident der Europäischen Kommission plädierte dafür, ei bestimmtes Datum für die Erweiterung festzusetzen. Notfalls müßten in strittige Einzelpunkten längere Übergangsfristen eingeräumt werden.
Gerhard Schröder hat sich zuletzt am 22. September gegen einen solchen festen Zeitpla gewandt. Die Beitrittsverhandlungen sind für ihn ein "offener Prozeß". Auc der designierte EU-Kommissar Verheugen warnte Mitte September gegenüber de "Spiegel" vor dem "süßen Gift der Übergangsfristen". Solche seie nur in Ausnahmefällen wie dem Umweltschutz erforderlich, da hier die EU-Standards au längere Zeit von keinem der Beitrittskandidaten erreicht werden könnten.
Die deutsche Politik vollzieht einen Drahtseilakt: Einerseits will man eine rasch Erweiterung, damit Europa nicht "an der deutschen Ostgrenze ökonomisch und politisc gespalten bleibt" (O-Ton Schröder). Andererseits tritt Deutschland vo Ausnahmen wie dem freien Personenverkehr abgesehen strikt für eine Anpassung a das Gemeinschaftsrecht vor dem Beitritt ein.
Schwer zu durchschauen ist die Haltung Frankreichs und Großbritanniens. In Paris gib es wie in London ein grundsätzliches Unbehagen über die mit der Osterweiterung erwartet Stärkung Deutschlands. Andererseits könnte ein Beitritt möglichst vieler Reformstaate samt großzügiger Ausnahmeregelungen nicht nur der britischen Regierung als verlockende Instrument zur Schwächung zentralistischer Brüsseler Strukturen erscheinen.
Man darf gespannt sein, ob der nächste EU-Gipfel in Helsinki im Dezember klare Linie in die verwinkelten Fronten der Europapolitik bringt.
|
|