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Scharping fliegt nicht

 
     
 
Für ihn sei „die Sache abgeschlossen“, bekundete Rudolf Scharping nach zweitägiger Einvernahme im Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages. Der Verteidigungsminister konnte sich bei dieser Einschätzung freilich weniger auf lückenlose Aufklärung und Entkräftung aller gegen ihn erhobenen Vorwürfe stützen denn auf die von seinem Chef gewährte Rückendeckung
. Der Kanzler hatte sich offenbar schon vorher festgelegt: Genosse Scharping fliegt nicht aus dem Amt; so kann denn der Frischverliebte weiter nach Frankfurt und Mallorca fliegen, sobald genügend Gras über die Affäre gewachsen ist, sprich die Wahlen in Hamburg und Berlin überstanden sind.

Die Opposition sieht das natürlich ganz anders, fordert weiterhin Scharpings Rücktritt. Immerhin geht es ihr nicht nur um sündhaft teure Reisen in gräfliche Schlafgemächer, die der vom Bundesfinanzminister (der „blanke Hans“) gebeutelte Steuerzahler finanzieren darf. Es geht auch, im Zusammenhang mit dem Einsatz von Bundeswehrsoldaten auf dem Balkan, um Geheimnisverrat. Der oberste Dienstherr unserer Streitkräfte zugleich Deutschlands ranghöchstes Sicherheitsrisiko - da ist nicht nur für CDU- und CSU-Politiker die alsbaldige Entfernung aus dem Amt überfällig.

Für Gerhard Schröders Machterhalt allerdings wäre eine Kabinettsumbildung zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein mindestens ebenso großes Sicherheitsrisiko. Und bei der Güterabwägung hat das Wohl des rot-grünen Regierungsbündnisses nun einmal Vorrang vor dem Gemeinwohl.

Warum das aus Sicht der Beteiligten „gut so“ ist, lehrt der Blick auf die momentane Lage dieser Koalition. Scharpings Gräfin, dem Minister lieb und dem Steuerzahler teuer, ist ja nicht das einzige Problem: Die Gesundheitsreform gerät zum Scherbenhaufen, in der Zuwanderungs- und Ausländerpolitik gehen Grüne und linke Sozialdemokraten massiv auf den eigenen Innenminister los, andere Kabinettsmitglieder sind längst auf Tauchstation gegangen - wer weiß noch die Namen der derzeitigen Amtsinhaber der Ressorts „Entwicklung“ oder „Familie“?

Am gefährlichsten für Rot-Grün aber ist die wirtschaftliche Talfahrt Deutschlands. Die Mark, einst wegen ihrer Stärke als Zahlungsmittel geliebt und als politisches Machtinstrument gefürchtet, ist nur noch ein schwacher Schatten. Die Arbeitslosenzahl, an der sich diese Regierung ja messen lassen will, bleibt auf viel zu hohem Niveau. Mit dem Mittelstand, dem wichtigsten Standbein unserer Volkswirtschaft, geht es rapide bergab, bei nahezu allen Eckdaten hat das frühere Musterländle die „Rote Laterne“ übernommen, in der Konjunkturpolitik, wo wir einst Franzosen und Engländern als Vorbild galten, hecheln wir heute mühsam hinter Portugiesen, Griechen und Iren her. Deutschland im Sturzflug. Der Kanzler mit ruhiger Hand am Steuerknüppel, und Genosse Scharping fliegt weiter mit. Denn Rücktritte kann man sich in so bedrohlicher Lage nicht leisten; sie könnten vom Wähler als Zeichen der Schwäche und des Versagens verstanden werden. Was sie ja auch sind.

 
     
     
 
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