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Es ist nicht gerade alltäglich, daß in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts ein Thüringer aus alteingesessenem, in der Heimat fest verwurzeltem Geschlecht weitab im nördlichsten Teil Preußens, in Königsberg, eine zweite, eine echte geistige Heimat fand. Als einziger einer weitverzweigten und angesehenen Sippe, die bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts im Reußischen Oberland und im Thüringischen Vogtland Ämter und Pfarreien innehatte - vorwiegend mit der lateinischen Namensform Alberti -, wagte Heinrich Albert den Weg in eine herbe Landschaft, nicht vorausschauen könnend, welcher Reichtum an musikalischer Entfaltung ihm dort erwachsen sollte.
Lobenstein, der Geburtsort Heinrich Alberts, gehörte zu jener Zeit der Grafschaft Reuß jüngere Linie, Haus Lobenstein an. Dort wurde er am 8. Juli 1604 als Sohn des Lobensteiner Amtsschössers (das ist: Rechnungs- und Steuerbeamte r des Landesherrn) Johann Albert geboren. Sein Vater muß zu den angesehensten Personen des Ländchens gehört haben, denn er wurde im Jahre 1601 auch zur Kirchlichen Generalvisitation verordnet. Insbesondere die Tatsache, daß der Landesherr, Graf Heinrich Posthumus, in der Reußischen Landesgeschichte als bedeutend geltend, Heinrich Albert eigens aus der Taufe gehoben hatte, weist auf die hohe gesellschaftliche Stellung seines Vaters hin.
Im ältesten Band des Lobensteiner Kirchenbuches findet sich aus dem Jahre 1604 folgende Eintragung: „Denem 28. Juni Johan Al-brichten Amtsschösser ein Söhnlein getauft, sein Gevattere gewesen der Wohlgeborene Gnedige Herr zu Gera, das wohlgeborene Fräuwlein von Schwarzburg und der Herr Hauptmann Ulrikus von Draxdorf.“ Im Jahre 1604 galt noch der Julianische Kalender. Nach dem verbesserten Gregorianischen, der bei uns erst im Jahre 1700 eingeführt wurde, fällt der 28. Juni auf den 8. Juli, so daß dieser Tag heute als Heinrich Alberts Geburtstag gilt.
Es lag nahe, daß auch Heinrich Albert seine Gymnasialzeit in Gera, der Heimatstadt seiner Eltern und Großeltern verbrachte. Er besuchte von 1619 bis 1622 die dortige Lateinschule, an der die musikalische Ausbildung einen bedeutenden Raum einnahm. Eine Schulordnung aus dem Jahre 1619 bezeugt, daß der damalige Landesherr, Graf Heinrich Posthumus, Heinrich Alberts Taufpate, die Fürsorge für den Gesangsunterricht und die Kirchenmusik dem Kollegium der Schule und insbesondere dem Rektor „sehr energisch einschärfte“.
Die zweifellos gute musikalische Ausbildung an der Lateinschule und sein inniges Verhältnis zum Vetter Heinrich Schütz, der seit 1617 Hofkapellmeister in Dresden war, bewogen Heinrich entgegen dem Wunsche seiner Eltern, aber mit deren Einverständnis, nach Dresden zu gehen und eine gründliche musikalische Ausbildung bei Heinrich Schütz zu beginnen. Da seine Eltern ihm aber eine ähnliche juristische Laufbahn wie seinem älteren Bruder Johann zugedacht hatten, mußte Heinrich schon nach einem Jahr Dresden verlassen und in Leipzig das Studium der Rechte und nach eigenem Wunsche das der schönen Literatur aufnehmen.
Während der Studienzeit in Leipzig (1623-1626) befreundete sich Heinrich Albert mit dem Thomaskantor, einem engen Freunde von Heinrich Schütz. Schein, ein Meister des mehrstimmigen Liedes, hatte in Leipzig einen Kreis von Musikfreunden, vorwiegend Studenten, um sich geschart, für die er gesellige Lieder komponierte, und sicherlich gehörte auch Heinrich Albert dazu, dessen erste Kompositionen aus der Leipziger Studentenzeit stammen. In Königsberg nahm er sie in die Herausgabe seiner „Arien“ mit auf.
Warum aber Heinrich Albert im Jahre 1626 ein Jahr nach seines Vaters Tod seine Rechtsstudien in Leipzig nicht abschloß, sich auch aus der unmittelbaren Verbindung mit seinem Vetter zu lösen vermochte, kann nicht geklärt werden. Verständlich aber ist es, wenn er in jenem Jahre - wie so viele Studenten aus Mitteldeutschland im Verlaufe des Dreißigjährigen Krieges - das zunehmend bedrohte Leipzig verließ, um in dem vom Kriege kaum berührten Königsberg seine Studien zu beenden.
Die preußische Universität Königsberg bot allerdings unter Herzog Albrecht auch eine besondere musikalische Professur, so daß Heinrich Albert nach Aufgabe des Rechtsstudiums schon mit dem Jahre 1627 sein Leben ganz dem Studium der Musik, insbesondere dem Komponieren widmete. Obwohl aus der Vertrautheit der thüringischen Heimat herausgerissen, mußte er mit seinen 26 Jahren doch schon so viel Können aufgewiesen haben und so sehr Persönlichkeit gewesen sein, daß man ihm in Königsberg am 1. April 1631 nach einer dreimonatigen Probezeit eine feste Anstellung als Domorganist des Kneiphofer Stadtgebietes gab, die er bis zu seinem Tode im Jahre 1651 innehatte.
Zwanzig Lebensjahre waren Heinrich Albert vergönnt, in Königsberg, seiner selbstgewählten zweiten Heimat, eine musikgeschichtliche Bedeutung zu erlangen, die bis in die Jetztzeit reicht.
Es muß für Heinrich Albert, den gebürtigen Thüringer, eine besondere Beglückung gewesen sein, an der Königsberger Universität den von Herzog Albrecht eingerichteten Lehrstuhl für Musik und in der von den Wirren des Dreißigjährigen Krieges unberührten Stadt eine lebendige Musikpflege vorzufinden. Der Nährboden für die Entfaltung seiner musischen Begabung hätte nicht günstiger sein können. Unabhängig von der Möglichkeit des Musikstudiums an der Königsberger Universität war die Liebe zur Musik unter den in jener Zeit nahezu 2000 Studenten ganz allgemein sehr ausgeprägt. Bevor Heinrich Albert jedoch so recht Fuß fassen konnte, schloß er sich schon 1627 einer holländischen Gesandtschaft an, die in Warschau Friedensverhandlungen zwischen Schweden und Polen anstrebte, wurde aber gefangengenommen und bis zum Juni 1628 in Gewahrsam gehalten. Nach seiner von einflußreichen Königsbergern erwirkten Freilassung widmete er sich nunmehr ausschließlich der Musik und erhielt zwei Jahre später eine Anstellung als Domorganist im Kneiphofer Stadtgebiet, ein Zeichen dafür, daß man sein musikalisches Können in Königsberg wohl zu würdigen wußte.
Die ersten Jahre in Königsberg waren für Heinrich Albert nicht leicht; denn sein anfänglicher Lehrer, der Kantor der Domkirche und kurfürstliche Kapellmeister Johann Stobaeus (1580-1646), sah in dem jungen, hochbegabten Musiker einen Konkurrenten auf dem Gebiete der Gelegenheitskompositionen, die in jener Zeit eine wichtige Einnahmequelle waren. Doch im Jahre 1638 verheiratete sich Albert mit Elisabeth Stark, der Tochter des Kneiphofer Wagemeisters - aus der Ehe sollten fünf Kinder hervorgehen -, nachdem er zunehmend Kompositionsaufträge vom kurfürstlichen Hof und der Königsberger Studentenschaft erhielt.
Eine besondere Bestätigung seiner menschlichen und schöpferischen Fähigkeiten wurde Heinrich Albert durch die beiden Freundschaftskreise, den Königsberger Dichterbund und die Musikalische Kürbishütte zuteil, deren musikalischen Mittelpunkt er bildete. Die „Musicalische Kürbs Hütte“ wurde in Alberts Garten aus echten Kürbispflanzen errichtet, die zugleich die Vergänglichkeit des Lebens und die göttliche Allmacht in der Natur versinnbildlichen sollten. Die innige Freundschaft mit Simon Dach, mit dem er im Jahre 1626 gemeinsam seine Studien in Königsberg begonnen hatte, war eine echte Seelenbindung, unabhängig von den mehr als hundert Vertonungen der Dachschen Gedichte durch Albert, der selbst dichterisch begabt war, wie auch Simon Dach musikalische Fähigkeiten besaß.
In der von Breitkopf & Härtel 1958 herausgegebenen Neuauflage der Arien von Heinrich Albert wird erstmals eine umfassende und tiefgründige Würdigung seines gesamten Musikschaffens gegeben. Hermann Kretzschmar schreibt darin: „Heinrich Alberts Arien werden hier im Neudruck vorgelegt, weil mit ihnen die Geschichte des modernen deutschen Liedes, des begleiteten Sololiedes beginnt. Allerdings ist Albert nicht der Vater dieser Kunstgattung. Denn wie Michael Praetorius in seiner ‚Polyhymnia‘ (1619) und in seiner ‚Calliope‘ (1620), so haben auch Hermann Schein und Melchior Franck ihren Sammlungen geistlicher Chöre vereinzelte liedartige Solostücke eingemischt. - Aber Albert ist der erste Spezialist des neuen Lieds und hat ihm durch die Nachhaltigkeit, mit der es seine acht Arienbände vertreten, zuerst das musikalische Bürgerrecht erworben. Diese Tat stellt ihn unter die deutschen Hauptpioniere italienischer Kunst im 17. Jahrhundert. Wie durch H. Schütz, M. Praetorius, A. Hammerschmidt die folgenschwere Neuerung des begleiteten Sologesanges dauernd oder versuchsweise unsrer Kirchenmusik und unsrem Theater angepaßt wurde, so machte sie Albert für ein uns Deutschen von jeher besonders wichtiges Gebiet fruchtbar, für den Hausgesang. Was den Italienern G. Caccini war, das und mehr wurde uns Heinrich Albert. Diese Wichtigkeit des Künstlers kommt in der ihn behandelnden Literatur nicht genügend zum Ausdruck. - Das Material war zu spärlich, für die weitere musikalische Welt haftete Alberts Name ausschließlich an den Chorälen ‚Ich bin ja, Herr, in Deiner Macht‘ und ‚Gott des Himmels und der Erden‘. (Noch heute in allen evangelischen Gesangbüchern zu finden!). - Albert gehört in die von Luther bis zu den Bachs reichende Kette sächsisch-thüringischer Meister, durch welche die deutsche Musik zuerst Selbständigkeit und Größe gewann.“
Die Besonderheit Heinrich Alberts liegt aber darin, daß er sich aus diesem thüringisch-sächsischen Lebens- und Schaffenskreis früh gelöst hat und trotz einer gemeinsamen Reise mit seinem Vetter Heinrich Schütz nach Kopenhagen im Jahre 1634, wo er einen Kompositionsauftrag für das dänische Königshaus erhielt, vollkommen eigenständig seinen Weg ging.
Alberts große Bescheidenheit, die ihn sein eigenes Werk immer hinter die Dichtkunst seiner Freunde stellen ließ, wird besonders deutlich im Vorwort zu seinen erstmals im Jahre 1638 im Selbstdruck herausgegebenen acht Arien-Bücher: „... Ich bitte aber, man wolle nicht dafür halten, daß ich mit meinen Melodeyen gedächte grosse Kunst an den Tag zu geben, sintemal mir hierinn unrecht geschehen würde, und halte Ich, daß vielleicht ein jeder, der etwas singen kann, leichtlich eine Melodey oder Weise, die nachmals durch Gewonheit gut scheinen würde, zu wege bringen sollte; Sondern Ich hab es gethan umb der Worte willen, die mir nach und nach zu handen gekommen sind und wolgefallen haben, wie Ich denn auch meistens theils von guten Freunden darum bin ersuchet worden.
Heinrich Albert starb überraschend am 6. Oktober 1651. Am 10. Oktober wurde er feierlich beigesetzt. Die Universität gab ihm durch einen Trauergottesdienst mit Leichenrede und studentischem Geleit einen letzten ehrenvollen Beweis seiner Bedeutung.
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Ein ausführlicher Beitrag erschien in den Mitteilungen des Arbeitskreises für Nordostdeutsche Musik e.V., Heft 3 und 4.
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