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Selbst für linke Wohngemeinschaften zu bieder

 
     
 
Einer ihrer Gäste wich neulich vom Thema der Sendung ab und sprach plötzlich in "Berlin-Mitte" über die Massenarbeitslosigkeit, die es doch zu bekämpfen gelte. Darauf antwortete Maybrit Illner, über dieses Thema habe sie bereits die letzten 200 Sendungen gesprochen, ohne daß irgend etwas geschehen sei.

Der zutreffende Einwand der ZDF-Moderator
in zielte auf die eingerissene Gewohnheit, Themen bis zum Geht-nicht-mehr öffentlich durchzukauen, ohne daß irgendeine Wirkung von den Endlosdikussionen ausginge. Ihr Stoßseufzer hätte auch auf die sogenannte "Patriotismusdebatte" gemünzt sein können. Seitdem sie ein angeblich neues Nationalgefühl im Volk bemerkt haben wollen, versuchen Politiker, einen "neuen Patriotismus" zu entwickeln. Dabei tritt jedoch immer wieder eine seltsame Furcht der Politiker vor dem eigenen Volk zutage, weshalb ihre Vorstöße so verzagt, seltsam formelhaft und blutleer erscheinen.

Der ehemalige Ministerpräsident von Thüringen, Bernhard Vogel (jetzt Chef der CDU-nahen Adenauer-Stiftung), hat ein Buch vorgestellt, dessen Titel alle Adern trocknen läßt: "Einigkeit und Recht und Freiheit - Deutscher Patriotismus in Europa". Damit sind die Leitlinien des Grundgesetzes und der Europagedanken bereits auf dem Buchdeckel wie eine Zwingburg um das "gefährliche" Thema gelegt worden. Man will mitreden, fürchtet aber, sich zu verbrennen.

Herausgeber des Buches ist Matthias Rößler (CDU). Der 51jährige war Kultusminister unter Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt, verlor aber nach der Landtagswahl 2004 sein Ministerium an einen Sozialdemokraten und benötigte eine neue Aufgabe. Also wurde Rößler zum "Patriotismusbeauftragten" ernannt.

Um seiner neuen Rolle gerecht zu werden, startete Rößler eine Ringvorlesung (das heißt mit regelmäßig wechselnden Rednern) über Patriotismus an der Chemnitzer Universität. Die Reden hat er nun als Buch herausgegeben.

Einige der Redner standen vor einem fast leeren Vorlesungssaal, das läßt Herausgeber Rößler in seinem Vorwort bereits durchblicken.

Unter den Autoren finden sich die üblichen Verdächtigen zu solch einem Thema wie Richard Schröder (SPD), Werner Schulz (Bündnisgrüne) oder die Kanzler-Witwe Brigitte Seebacher-Brandt. Auch Arnulf Barings guter, aber keineswegs mehr taufrischer Aufruf "Es lebe die Republik, es lebe Deutschland" wird noch einmal abgedruckt. Baring ist ein brillanter Politikprofessor und ebenso gern gesehener Talkshowgast, aber er hat bereits im Jahr 1999 (!) eine Aufsatzreihe mit den gleichen Thesen unter diesem Titel veröffentlicht. (Das Buch wird derzeit im Internet für 1,49 Euro gehandelt.)

Auch Seebacher-Brandts Thesen sind so schon unzählige Male von ihr vorgetragen worden: Ihr Mann habe recht gehabt und sei immer für die Wiedervereinigung gewesen, die aber nicht Wieder-, sondern Neuvereinigung zu heißen habe, weil ...

Daß die Gedanken allesamt uralt sind, folgt dem Prinzip des Selbstschutzes: Man weiß bereits, wie die veröffentlichte Meinung darauf reagiert hat, und geht somit kein Risiko mehr ein.

Bezeichnend für diese Verzagtheit gerade der Politiker im Umgang mit der Nation sind Bernhard Vogels Einlassungen: "Die 68er hatten nicht recht, die deutsche Geschichte läßt sich nicht nur auf den Nationalsozialismus reduzieren", streicht er mutig heraus, um dann aber sofort zurückzurudern, indem er feststellt, die deutsche Gedenkpolitik sei zu recht vom Holocaust geprägt. Ist es nicht gerade diese von Vogel beklagte "Reduzierung", auf der die fast vollständig Verkürzung unserer Gedenkpolitik auf die NS-Zeit fußt?

Werner Schulz verteidigt die späte Annäherung mancher 68er an die eigene Nation damit, daß sie spät kam: Die alternative Szene habe sich mit dem Land nach und nach arrangiert. Schließlich hätten sie, die einst Ultralinken, dann in der Person von Joschka Fischer "deutsche Positionen im Ausland zu vertreten" gehabt. Mit Aussagen wie "Wir leben in einer multikulturellen Gesellschaft, das ist Fakt" untermauert Schulz indes, daß ihn die Patriotismusdebatte als beliebiges Sammelsurium erscheint, mehr nicht.

Rößler widersetzt sich zwar einem EU-Beitritt der Türkei und spricht sich für ein "Europa der Vaterländer" aus. Auch so ein Begriff, in den mittlerweile alles hineinpaßt. Kritik an der EU in ihrer bestehenden Form leitet er jedoch nicht daraus ab. Es stört ihn nicht einmal, daß bislang kaum geklärt ist, wie weit die Integration der EU auf Kosten der Nationalstaaten noch gehen kann und soll.

Die Thesen von "Einigkeit und Recht und Freiheit" wären vielleicht 1987 geeignet gewesen, in einer linken Wohngemeinschaft für gereizte Stimmung zu sorgen. Seitdem jedoch hat sich im Volk einiges bewegt, auf das die Politik offenkundig keine Antworten hat. Der Versucht, sie sich bei ein paar klugen Köpfen zu leihen, ist schwarz auf weiß gescheitert.

Zu Beginn der Vorstellung hat Ministerpräsident a. D. Vogel eingeräumt, es gebe eine "zunehmende Unzufriedenheit mit der Arbeitsweise der Demokratie". Vielleicht liegt das ja auch daran, daß die Politiker solch flaue Debatten führen.
 
     
     
 
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