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Selbst in Beduinenzelten

 
     
 
Kurz nach dem 11. September 2001 erlangte der Fernsehsender "Al-Dschasira" weit über sein arabisches Sendegebiet hinaus Bekanntheit: Hier wurde das erste Tonband Osama bin Ladens nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York veröffentlich. Von da an wurde "Al-Dschasira" Stück für Stück auch zum Alltag in westlichen Wohnzimmern, da die dortigen Sender das Exklusivmaterial "Al-Dschasiras" übernahmen.

Doch was ist das eigentlich für ein Sender, dem Terroristen und Entführer ihre Videobotschaften exklusiv zur Verfügung stellen und den sie damit zu ihrem Sprachrohr machen? Ist er gar das Propaganda
instrument von Al Kaida?

Weit gefehlt, meint Hugh Miles, Autor des Buches "Al-Dschasira - Ein arabischer Nachrichtensender fordert den Westen heraus". Hugh Miles, Sohn eines britischen Diplomaten, wurde in Saudi-Arabien geboren und ging später auf das Eliteinternat Eton in Großbritannien. Seine als Kind erworbenen Arabischkenntnisse baute er in einem entsprechendem Studium in Oxford und im Jemen aus. Eigentlich sollte er 2003 während der Invasion im Irak für den Nachrichtensender "Sky News" nur die Berichte auf "Al-Dschasira" auswerten, doch schnell wuchs die Faszination, die dieser ungewöhnliche Sender auf ihn ausübte, der für sich selbst das Motto "Meinung und Gegenmeinung" in Anspruch nimmt. Meinungsfreiheit im arabischen Raum?

Vor Ort recherchierte Hugh

Miles die Hintergründe dieses unerwarteten Phänomens. Bereitwillig ließ man ihn in die Redaktionsräume hinein und erklärte ihm die Entwicklung des Senders, der 1996 einen Großteil der Mitarbeiter eines gescheiterten BBC-Ablegers für den arabischen Raum übernahm. Der Emir von Katar gab seinem neuen Projekt umgerechnet 137 Millionen US-Dollar Starthilfe, bei denen es allerdings nicht geblieben ist.

Der in der arabischen Welt sehr beliebte und auch umstrittene Sender schreibt bis heute rote Zahlen, doch seine Nachrichten und Talkshows, in denen offen religiöse Fragen diskutiert werden und Kritik an verschiedenen arabischen Herrscherhäusern und Regierungen geäußert wird, sind inzwischen nicht mehr aus der arabischen Welt wegzudenken. Zwar haben schon manche arabischen Staaten ihren Bewohnern den Empfang "Al-Dschasiras" untersagt oder Büros in ihren jeweiligen Städten geschlossen, doch selbst in dieser Region ist die staatliche Kontrolle nicht mehr vollständig: Wer will überprüfen, was die jeweiligen Satellitenschüsseln empfangen? Selbst in den abgelegensten Winkeln der Wüste findet sich auf Beduinenzelten aus Ziegenfell eine Satellitenschüssel auf dem Dach.

Doch so meinungsfrei, wie es scheint, geht es bei "Al-Dschasira" keineswegs zu. Der Emir von Katar ist zwar ein im Westen erzogener Mann, doch das heißt keineswegs, daß die 610000 in Katar lebenden Menschen - etwa 400000 davon sind Gastarbeiter - entscheiden dürfen, wer sie regiert. Der Emir ist Alleinherrscher, zwar im Vergleich zu seinem von ihm gestürzten Vater und den Herrschern der Nachbarländer gemäßigt, aber was heißt das schon in der arabischen Welt. "Zu Beginn galten die Moderatoren und Nachrichtensprecher ,Al-Dschasiras als ausgesprochene Gegner des Establishments", doch Hugh Miles belegt, daß sie das so nie sein konnten.

Der Autor weist darauf hin, daß "Al-Dschasira" in den Augen seiner Befürworter gern als erster Weg in die islamische Aufklärung gesehen wird - für den Autor eine überzogene Wunschvorstellung.

Am Ende der Lektüre des sehr interessanten Buches, in dem ausführlich nicht nur der Sender und sein Umfeld, sondern auch seine jeweilige Haltung zu wichtigen Entwicklungen im Nahen Osten von der Intifada über Al Kaida bis hin zum Irakkrieg dokumentiert und analysiert wird, bleibt trotzdem der Eindruck zurück, daß "Al-Dschasira" einen Hoffnungsschimmer in den ansonsten nach westlichem Ermessen eher rück-wärtsgewandten Entwicklungen der Region darstellt. Bel

Hugh Miles: "Al-Dschasira - Ein arabischer Nachrichtensender fordert den Westen heraus", Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2005, broschiert, 335 Seiten, 24,80 Euro
 
     
     
 
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