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Der polnische Sejm hat ein Gesetz verabschiedet, auf dessen Grundlage Personen oder deren Nachkommen, die Opfer kommunistischer Enteignungsmaßnahmen zwischen 1944 und 1962 geworden sind, restituiert werden können.
Kaum, daß die Entscheidung des Parlaments publik wurde, erzeugte das Gesetz, das noch der Zustimmung des Senates und der Paraphierung des Staatspräsidenten Kwasniewski bedarf, eine Welle der Entrüstung. Zu Recht, und das sogar aus verschiedenen Perspektiven.
Es hat schon viele Bemühungen in der Republik Polen gegeben, kommunistische Unrechtsmaßnahmen zu korrigieren.
Tatsächlich sieht das Gesetz vor, daß nur Personen, die am 31. Dezember 1999 polnische Staatsbürger waren, den Restituierungsanspruch geltend machen können. Ferner ist auch keine vollständige Restituierung vorgesehen, sondern eine hälftige Restituierung bzw. eine Entschädigung über die Hälfte des Wertes des gesamten enteigneten Besitzes. Für den relativ wahrscheinlichen Fall, daß eine Restituierung nicht möglich sein sollte, erhalten die Anspruchsberechtigten eine Art Coupon, mit denen sie Eigentum an Immobilien oder Fondsanteile erwerben können. Selbst in Fällen, in denen eine Restituierung z. B. wegen Nichtnutzung einer betroffenen Immobilie möglich wäre, kann ein übergeordnetes öffentliches Interesse gegen eine Restituierung bestehen.
Weniger die nur teilweise Restituierung, die unter Berücksichtigung der staatlichen Finanzkraft aus einem gewissen Blickwinkel nachvollziehbar ist, erregt die Gemüter, sondern vielmehr die Außerachtlassung der Ansprüche von Flüchtlingen, Vertriebenen und Emigranten. Insbesondere jüdische Organisationen in Israel und den USA haben heftige Proteste gegen das Gesetz erhoben. Die öffentliche Kontroverse um das von Polen verübte Massaker an jüdischen Mitbürgern in Jedwabne hatte alte Wunden gerade erst frisch aufgerissen.
Doch auch Polen, die aus politischen Gründen zur Emigration gezwungen waren und die in ihrem Exil zwischenzeitlich eine andere Staatsbürgerschaft angenommen haben, bleiben nach dem Restituierungsgesetz unentschädigt. Auch deutsche Vertriebene werden mangels polnischer Staatsangehörigkeit unentschädigt bleiben. Noch nicht geklärt werden konnte, ob etwa ostdeutsche Spätaussiedler, die zwischen 1944 und 1962 wegen ihrer Nationalität enteignet worden sind, aber zunächst unter polnischer Verwaltung ihren Wohnsitz und später auch die polnische Staatsangehörigkeit annahmen und diese noch heute besitzen, ihre Ansprüche geltend machen können.
Nach Angaben des Vizeministers des polnischen Schatzamtes, Laszkiewicz, werden rund 180 000 Gesuchsteller erwartet, die ihre Ansprüche aufgrund des neuen Gesetzes geltend machen werden. Schätzungen zufolge werden lediglich 8000 bis 10 000 Anträge aus verschiedenen Gründen abschlägig beschieden werden. Die Kosten für die Restituierung bzw. Entschädigung veranschlagt das Schatzamt daher auf rund 47 Milliarden Zloty. Die Regierung begründet die Gesetzesvorlage trotz der hohen Summe damit, daß Individualklagen beim Staat ein Kostenvolumen in Höhe von 275 Milliarden Zloty hervorrufen könnten.
Doch noch ist das Gesetz, das schon seit Jahren in vielen Entwürfen auf dem Tisch lag, nicht in Kraft. Offizielle Äußerungen zu den fatalen Nebenfolgen des Gesetzes sind aus dem Außenministerium nicht zu erhalten. Inoffizielle Stimmen von seiten polnischer Regierungsbeamter lassen die Hoffnung verlauten, der Senat werde das Gesetz dahin korrigieren, daß Anspruchsinhaber Personen sein sollen, die zum Zeitpunkt der Enteignungsmaßnahme die polnische Staatsbürgerschaft besaßen. Damit wären Angehörige der deutschen Minderheit in Polen, also jene Deutsche, die in der Zwischenkriegszeit auf polnischem Boden und als polnische Staatsbürger gelebt hatten, ebenso restitutionsberechtigt wie polnische Juden, die nach 1945 vertrieben wurden.
Hoffnung kann man insoweit daraus schöpfen, daß Warschau bekannt sein dürfte, welchen Schaden das Polenbild im Ausland nehmen könnte, tritt das Gesetz in der aktuellen Fassung eines Tages in Kraft. So oder so, das Gesetz wird die Gerechtigkeit aus Vertriebenensicht nicht ansatzweise wiederherstellen. Jüdische und deutsche Flüchtlinge und Vertriebene sollen nach derzeitigen Vorstellungen in Warschau auch zukünftig keinen Anlaß für Restitutionsgesetze bieten. Polen bewegt sich damit derzeit zwar auf die Rechtsstaatlichkeit zu, bleibt ihr aber mit der Gesetzesvorlage dennoch ersichtlich fern. Eine Diskriminierung oder auch Bevorzugung wegen der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit verbietet die polnische Verfassung zwar, gleichwohl läuft die Gesetzeskonstruktion genau darauf hinaus. Immerhin besteht auch die Möglichkeit, daß Präsident Kwasniewski die unüberhörbaren Proteste zum Anlaß nimmt, sein Vetorecht gegen das Gesetz auszusprechen. Dies wäre auch im Sinne der angesehenen polnischen Tageszeitung "Gazeta Wyborcza", die von einem großen Fehler sprach und schrieb, Polen könne es sich nicht leisten, mit der ganzen Welt in Konflikt zu geraten. ( www.sejm.gov.pl )
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