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So hatte man sich das nicht gedacht

 
     
 
So haben sich die Tschechen ihre heiß ersehnte Nato-Mitgliedschaft nun doch nicht vorgestellt: Kaum zwei Wochen ist man dabei und schon ein Krieg. Das politische Prag reagiert denn auch sehr zurückhaltend bis verstört auf den jähen Waffengang.

Die Kommunisten (die immerhin 13 Prozent der Wählerstimmen hinter sich wissen) sind sowieso entschieden auf Kontrakurs zur Nato. Ihr Fraktionsvorsitzender Filip hat die Luftoffensive denn auch erwartungsgemäß eine "faschistische
Aggression" gescholten. Die Roten wollen jetzt vor dem internationalen Gerichtshof in Haag gegen das Bündnis klagen. In einer Adresse an den jugoslawischen Botschafter in Prag haben sich die Kommunisten überdies solidarisch mit Belgrad erklärt und zu einer Spendenaktion zugunsten der serbischen Opfer des Nato-Bombardements aufgerufen.

Der  bürgerlich-demokratische Parlamentspräsident Vaclav Klaus äußerte indes ebenfalls wiederholt Bedenken, ob die Nato-Aktion ihr Ziel erreichen könne. Mehrmals bekundete er seine tiefe Enttäuschung über den Abbruch der Verhandlungen. In mehreren Interviews vertrat er die Ansicht, die Nato habe die Situation der Kosovo-Albaner wesentlich verschlechtert. Er als Politiker sei immer für Verhandlungen, auch wenn sie langwierig sein sollten. Zu den Abkommen von Rambouillet bemerkte Klaus, als Sportler wisse er, daß Ergebnisse wie zehn zu null möglich seien, als Politiker sei er aber der Überzeugung, daß nur Resultate wie sieben zu drei zu dauerhaften Lösungen führten. So erscheint die Position der Klaus-Partei zwar Nato-loyal – allerdings von tiefen Bedenken beeinträchtigt. Prag will augenscheinlich um jeden Preis vermeiden, daß der Eindruck entsteht, die Tschechei sei ein Vasallenstaat geworden.

Für seine Position findet Klaus eine breite Unterstützung der Öffentlichkeit. Nach den jüngsten Umfragen sind 48 Prozent der Tschechen gegen den Nato-Angriff und nur 34 Prozent dafür. Als guter innenpolitischer Taktiker weiß Klaus, daß ihm seine Position Wählerstimmen bringen wird. Die tschechisch-serbische Zusammenarbeit hat eine Tradition, die bis 1918 reicht. Auch ist nicht vergessen, daß sich das Tito-Jugoslawien 1968 gegen die Invasion der Warschauer-Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei gestellt hat. Diese Tatsachen spielen auch im heutigen Böhmen eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Die Sozialdemokraten tun sich als alleinregierende Partei besonders schwer. In der Opposition waren sie nur lauwarm für den Nato-Beitritt – sie wollten ein Referendum durchsetzen – und nun müssen sie diese Krise ausbaden. Die Regierung unterstützt zwar offiziell die Nato-Politik, allerdings gehen die Bekenntnisse nur schwer über die Lippen. Die Befürchtung geht um, daß sich sozialdemokratische Wähler und vielleicht auch Mitglieder den Kommunisten zuwenden könnten.

Auf dem Parteitag vorvergangener Woche tobten heftige Debatten. Ein Teil der Delegierten (die Angaben über die Zahl sind unterschiedlich, manche sprechen von knapp der Hälfte) hat einen Brief an den jugoslawischen Botschafter unterschrieben, in welchem die Nato-Aktion verurteilt wird. Auf der anderen Seite hat der Parteitag mit breiter Mehrheit eine Resolution verabschiedet, welche die offizelle Pro-Nato-Linie klar unterstützt. Die Regierung hat sogar in Aussicht gestellt, tschechische Militärflughäfen für den Kriegseinsatz von Nato-Flugzeugen zur Verfügung zu stellen beziehungsweise den Transport von Bodentruppen zu ermöglichen.

Eine bedingungslose Unterstützung erfährt die Nato-Position allerdings allein von seiten des Präsidenten Havel und der kleinen "Freiheitsunion" von Jan Ruml. Der Dichterpräsident wollte zwar noch vor neun Jahren die Nato auflösen, mittlerweile aber möchte er erzwingen, daß alle Politiker das Nato-Eingreifen uneingeschränkt unterstützen. Wer nicht mitmachen will, den bezichtigt Havel glatt der Bündnisuntreue. Eine noch bellizistischere Richtung hat die Ruml-Partei eingeschlagen. Sie brandmarkt alle, die das Vokabular des Nato-Sprechers Shea nicht eins zu eins übernehmen, als Belastung für die Demokratie.

Ein Bodenkrieg würde die Skepsis der Tschechen gegenüber der Nato noch erhöhen. Die politische Klasse wird in eine Zwickmühle geraten, auf der einen Seite die pflichtgemäße Bündnistreue, auf der anderen Seite der unzufriedene Wähler.

 
     
     
 
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