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Kürzlich wurde der russische Präsident Putin für seine zweite Amtszeit im Kreml vereidigt. Über 70 Prozent der Wähler hatten seine Wiederwahl gewollt und der Politik des Präsidenten mit der Absicht, ein wiedererstarktes Rußland zu schaffen, ihre Zustimmung gegeben. Doch wohin führt Rußland der von Putin eingeschlagene Weg einer Einparteien-Demokratie mit totalitären Zügen?
Das Attentat auf den tschetschenischen Präsidenten Kadyrow beweist, daß nicht alle mit der Politik Rußlands zufrieden sind und Tschetschenien mit diktat orischen Mitteln nicht zu befrieden ist. Ausgerechnet an dem Tag des Sieges über "Nazi-Deutschland", der in Rußland alljährlich feierlich mit Militärparaden begangen wird, wurde auf einer solchen Feier in Grosny, bei der neben Veteranen auch Vertreter von Politik und tschetschenischem Militär zugegen waren, der von Moskau eingesetzte tschetschenische Präsident getötet. Während Putin sich bei der Militärparade in Moskau feiern ließ, ging im Stadion "Dynamo" in Grosny die Bombe hoch.
Rekapitulieren wir, wie Moskau bei der Wahl Kadyrows vorging: Das tschetschenische Volk mußte im vergangenen Frühjahr in einem Referendum über den Verbleib in der Russischen Föderation abstimmen. Dabei war von vornherein klar, daß eine Ablehnung die Fortsetzung der kriegerischen Handlungen und der damit verbundenen Zerstörungen nach sich gezogen hätte. Kadyrow wurde anschließend einstimmig - von wem auch immer - zum Präsidenten gewählt.
Politische Gegner hatten schon vor der Dumawahl im Dezember letzten Jahres die Kaukasuspolitik des Präsidenten scharf kritisiert. Putin demonstrierte Stärke und schaffte sich die lästigen Gegner vom Hals - man erinnere sich an den Fall Chodorkowskijs; er sitzt immer noch im Gefängnis und wartet auf seinen Prozeß. Der Sieg war Putin somit schon vor der Wahl sicher.
Die Zukunft wird zeigen, welchen Preis Putin für seinen unbedingten Machterhalt zahlen wird. Die Welle der Terroranschläge dürfte noch nicht zu Ende sein. Die Attentate der Vergangenheit mit verheerenden Folgen für unschuldige Menschen im Musical-Theater Nord-Ost und in der Moskauer Metro im Februar dieses Jahres haben Moskau an empfindlicher Stelle getroffen. Da hilft es auch nicht, immer wieder zu beteuern, daß die tschetschenischen Rebellen von Al-Kaida unterstützt würden und der Staat seine Anti-Terroreinheiten verstärke.
Putin muß sich auch Gedanken über das Ansehen Rußlands im Westen machen. Sowohl von EU-Partnern als auch den USA wurde sein Verhalten vor der Wahl mit Argwohn betrachtet. Der Glaube an die russische Demokratie schwindet allmählich, was auf Dauer der russischen Wirtschaft schaden könnte, denn die EU ist an einer Integration eines oder einer Partnerschaft mit einem undemokratischen und unberechenbaren Rußland kaum interessiert. Von einer weiteren Abwendung von liberalen Werten und einer Hinwendung zu ehemaliger sowjetischer Symbolik mit Einparteiensystem ist Rußland dringend abzuraten. Immer häufiger munkeln auch in Rußland Kritiker über Anzeichen von Diktatur in Putins Politik. Die Prawda berichtet darüber, daß sich im Juli 2003 russische Intellektuelle, darunter Fazil Iskander, Wladimir Woinowitsch und Boris Wassiljew, in einem offenen Brief an Bildungsminister Fillipow gewandt hatten, mit der Forderung, die junge Generation zu freiheitsliebenden, kritisch denkenden Persönlichkeiten statt zu unmündigen Jasagern zu erziehen. Sie protestierten damit gegen Unterrichts-pläne für Geschichte, aus denen die schändlichen Teile der sowjetischen Ära einfach ausgeblendet worden waren. Die Schüler sollten nichts über die Arbeiteraufstände von 1953 in Deutschland, vom Volksaufstand in Ungarn 1956 oder dem Einmarsch sowjetischer Panzer 1968 in Prag erfahren. Auch die Namen von Dissidenten der Sowjet-Periode waren aus den Lehrplänen gestrichen worden, ebenso wie die Werke damals verbotener Schriftsteller wie Pasternak, Platonow, Achmatowa, Mandelstam und Brodskij. Sogar aus dem Gesellschaftskundeunterricht würden heutzutage die Namen der führenden Köpfe des Marxismus-Leninismus gestrichen, so die Briefunterzeichner. Wladimir Panteleew, Vorsitzender der Gesellschaft der Opfer des kommunistischen Terrors, glaubt, daß aus den unwissenden Jugendlichen Nachwuchs für Putins Partei "Einheit Rußland" geschöpft werden soll. Die Prawda berichtet weiter, Putin werde immer öfter mit Stalin verglichen, ja, manche ihrer Aussprüche ähnelten sich gar.
Innenpolitisch hatte Putin sich als erste Amtshandlung seiner zweiten Regierungsperiode die Reform des Rentensystems vorgenommen. Das Rentenalter soll um bis zu acht Jahre angehoben und so dem internationalen Standard angepaßt werden. Bisher konnten in Rußland Männer mit 60 Jahren und Frauen schon mit 55 in Rente gehen. Im Westen liegt das Rentenalter durchschnittlich um fünf Jahre höher, allerdings ist die Lebenserwartung auch größer. Mit der Einführung einer zusätzlichen Rentenversicherung will der russische Staat gegen die Altersarmut vorgehen. Der zuständige Minister für Gesundheit und soziale Fragen sowie ehemalige Chef des Rentenfonds, Michail Subarow, stellte die beabsichtigten Änderungen auf einer Regierungssitzung vor. Es sei notwendig, ein System zu schaffen, das es den Menschen ermögliche, eine Rente nicht nur in der Höhe von 30 Prozent ihres letzten Einkommens wie bisher, sondern von 50 bis 60 Prozent zu erreichen, wie es dem internationalen Standard entspreche. Putin versprach, sich für die schnelle Umsetzung der Reform einzusetzen. Doch nun muß er sich zunächst wieder mit Tschetschenien auseinandersetzen.
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