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Die deutsche Truppe marschiert im europäischen Vergleich immer tiefer in die Bedeutungslosigkeit. Deutschlands militärische Spitzen genießen bei ihren Untergebenen kein Vertrauen mehr, die Ausrüstung ist beschämend, und die Qualität der Bewerber nimmt zusehends ab. Nun hofft man auf Hilfe vom Kanzler. von Pater Lothar Groppe
Der alarmierende Artikel von Karl Feldmeyer in der "FAZ" vom 1. März mit dem Titel "Die falschen Leute in der Bundeswehr" scheint keine besondere Reaktion ausgelöst zu haben. Dabei kommt die Studie des Ausbildungsbeauftragten des Generalinspekteurs der Bundeswehr, der 2.882 Soldaten aller Dienstgrade befragt und Gespräche mit Kommandeuren ausgewertet hat, einer Bankrotterklärung gleich: "Die Misere, in der unsere Bundeswehr steckt, läuft jetzt direkt auf den Bundeskanzler Schröder zu. Unseren Chef Rudolf Scharping hat die Truppe weitgehend abgeschrieben."
Dieses Fazit zogen die Generale und Admirale unter Hinweis auf die als "geheim" eingestufte 31seitige Untersuchung von Brigadegeneral Löchel. Angesichts der "desolaten Lage" der Streitkräfte durch das "Kaputtsparen" der Bundeswehr "konzentrieren sich die Erwartungen auf den Bundeskanzler, da man von ihm die notwendige Unterstützung erwartet." Das "Sparschwein" der Nation ist ausgeblutet. Daß der Generalinspekteur die hochbrisante Studie gleich wieder einsammeln ließ, erinnert an Christian Morgensterns: "daß nicht sein kann, was nicht sein darf."
Dabei pfeifen seit Jahr und Tag die Spatzen von den Dächern, daß die Bundeswehr völlig unterfinanziert ist. Das nach Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft größte europäische Land wurde zum Schlußlicht der Nato. Schon am 26. Januar des letzten Jahres schrieb Feldmeyer in der "FAZ": "Die Bundeswehr ist jetzt mit ihren Kräften am Ende." Mit der "ruhigen Hand" des Bundeskanzlers, die einem "laissez faire" gleichkommt, ist es nicht getan. General Dr. Reinhard, ehemaliger Oberbefehlshaber im Kosovo, warnte vor dem Abenteuer Afghanistan, da die Bundeswehr hierzu weder personell noch materiell in der Lage sei. So fehlt es beispielsweise an der notwendigen Transportkapazität. Von 78 Transportmaschinen "Transall" sind nur etwa 20 flugfähig. Über moderne Funkgeräte verfügt die Bundeswehr überhaupt nicht. Die wenigen Satellitentelefone, die sie besitzt, werden auf dem Balkan gebraucht.
Ohne Unterstützung befreundeter Armeen sind Auslandseinsätze überhaupt nicht möglich. Die einzigen minensicheren Fahrzeuge der Bundeswehr, die "Dingos", werden in Bosnien gebraucht, aber auch in Afghanistan benötigt. Ein Militärpfarrer berichtet, die Soldaten sähen einem Einsatz in Afghanistan mit sehr gemischten Gefühlen entgegen. Es herrsche nicht gerade Begeisterung. Die vollmundig verkündete "uneingeschränkte Solidarität", die der Bundeskanzler den Amerikanern versicherte, hätte keinen Rückhalt in der Truppe. Mit ihren rund 7.400 Soldaten ist die Bundeswehr auf dem Balkan personell und materiell an den Grenzen ihrer Möglichkeiten angelangt. Um das Rotationssystem aus Ausbildung, Einsatz und Ruhephase aufrechtzuerhalten, muß die vierfache Zahl an Soldaten in der Heimat zur Verfügung stehen. Weil das schon jetzt schwierig wird, bleiben viele Soldaten nicht, wie vorgesehen, vier, sondern sechs Monate auf dem Balkan, Spezialisten wie Medizintechniker oder die SatCom-Einheiten (Experten für die Satellitenkommunikation) sind noch länger und häufiger im Auslandseinsatz.
Von noch größerer Brisanz ist die Einstellung der Truppe zu ihrer Führung und die Motivation. Zwar konnte man noch im vergangenen Dezember lesen, die Generale stünden hinter dem Verteidigungsminister, aber in auffallendem Kontrast hierzu steht seine interne Bezeichnung als "Oskar bin baden" "Die innere Lage ist angespannt, der politischen Leitung wird mit starken Vorbehalten begegnet", heißt es im Löchel-Bericht.
1972 sagte ich in einem Vortrag vor der Gesellschaft für politisch-strategische Studien: "Unsere Generale werden für gewöhnlich erst nach
ihrer Pensionierung mutig." Die zahlreich anwesenden Generale aus mehreren Ländern waren von dieser Bemerkung nicht gerade angetan. Nach dem Vortrag sagte mir ein General: "Pater, Sie haben ja recht. Aber bitte sagen Sie so etwas nie wieder, sonst werden Sie nicht mehr eingeladen." Meine Äußerung hatte einen schwerwiegenden Hintergrund. Aus fast neunjähriger Tätigkeit an der Führungsakademie der Bundeswehr, der Kaderschmiede für künftige Generale und Admirale, weiß ich, daß sich die meisten Offiziere bei brisanten Fragen vorsichtshalber "bedeckt" halten, um ihre Karriere nicht zu gefährden.
Am 16. Februar 1971 fragte ich auf der 16. Gesamtkonferenz der katholischen Militärpfarrer Bundesverteidigungsminister Schmidt, was er von der häufig geäußerten Ansicht des "Bildungszaren der Bundeswehr", Professor Ellwein, halte, das Fach Ethik habe in der Offiziersausbildung nichts zu suchen. Am 8. Dezember 1970 hatte er in der Führungsakademie der Bundeswehr seine "Vorstellungen über die Offiziersbildung" entwickelt. Auf die Frage, wie in einem Computer-Krieg die ethisch-humanitären Aspekte gewahrt werden könnten, erklärte Ellwein: "Der Soldat muß in erster Linie technokratisch einsetzbar sein. Auf seine moralische Einstellung und Gesinnung kommt es überhaupt nicht an. Wichtig ist, daß er nur das tut, was er tun soll und keinen Deut mehr". Solche Worte hätten sich im Munde eines KZ-Kommandanten trefflich ausgenommen. Auf mehrere meiner Fragen gab Schmidt nur ausweichende Antworten und suchte durch Mätzchen wie "Sie mögen wohl Herrn Ellwein nicht. Ich mag ihn", meine gewiß für ihn unangenehmen Fragen abzuwimmeln. Von den zehn anwesenden Generalen sekundierten mehrere dem Minister. Am übernächsten Tag suchte mich der Militärbischof auf: "Herr Pater, die Generale waren bei mir und sagten: Was haben Sie für einen großartigen Dekan. Er hat all unsere Probleme angesprochen." Ich entgegnete nur: "Wo waren denn die Heroen während der Diskussion?"
1997 veröffentlichte General-major a.D. Schultze-Rhonhof das Buch "Wozu noch tapfer sein?" Es behandelt sachkundig eine Reihe schwieriger Fragen, die für die Gesellschaft, insbesondere aber für die Soldaten eminent wichtig sind. Zahlreiche Kameraden riefen ihn an und beglück-wünschten ihn zu seinem Buch. Zu einem Leserbrief konnte sich aber keiner verstehen. Seitens des Verteidigungsministeriums wurde das Buch zunächst totgeschwiegen. Dann wurden Zeitungen, die von der Bundeswehr Anzeigen erhalten, darauf aufmerksam gemacht, daß sie künftig keine Anzeigenaufträge mehr erhielten, wenn sie auf das Buch hinwiesen oder es gar besprechen würden. Der General, der über die vor allem in der Generalität höchst seltene Tugend der Zivilcourage verfügt, darf nicht in Kasernen und sonstigen Räumen der Bundeswehr sprechen. Man braucht ja nicht all seine Auffassungen zu teilen, sollte sie aber zumindest diskutieren und gegebenenfalls widerlegen, zumal sowohl Minister wie auch der Sprecher des Beirates Innere Führung zur freimütigen Diskussion auffordern.
General Löchel stellt in seiner Studie fest, daß auch das Vertrauen in die Spitzen der Bundeswehr beschädigt ist: "Die Zurückhaltung der ‚Generalität wird zunehmend unverhohlen kritisiert. Die Truppe steht nicht mehr vorbehaltlos hinter der militärischen Führung ... In den Augen der Soldaten haben sich höhere Vorgesetzte bei der Fürsorge vielfach aus ihrer Verantwortung gestohlen, indem sie sich hinter der politischen Argumentation, Geldmangel und dem Hinweis auf bestehende Gesetze ‚verschanzen . Man fühlt sich dem Staat als Arbeitgeber gegenüber ausgeliefert ... In Verbindung mit den gestiegenen Einsatzforderungen ergibt das eine brisante Gefühls- und Stimmungslage."
Bei dieser Lage ist es nicht erstaunlich, daß die Entscheidung einer wachsenden Zahl von gut- und hochqualifizierten Soldaten, nicht Berufssoldaten zu werden, durch solche Bewerber verstärkt wird, die eher dem "Bodensatz der Gesellschaft" angehören. Von der heute verfemten Wehrmacht heißt es dagegen in einer Studie des israelischen (!) Generalstabs, daß die deutschen Soldaten die tapfersten und diszipliniertesten Soldaten aller am Krieg beteiligten Armeen waren. Wenn die Bundeswehr das Steuer nicht herumreißt, werden ihre Soldaten bald den untersten Rang aller halbwegs bedeutenden Armeen einnehmen. Wer auf Quote statt auf Qualität setzt, vermag zwar Arbeitslose zu beschäftigen, aber keine Armee zu schaffen, die den gestiegenen Anforderungen moderner Kriegführung genügt. Die Studie von General Löchel sollte schleunigst aus der Versenkung herausgeholt und gründlich analysiert werden, damit man vielleicht doch noch eine Lösung findet, die desolate Lage der Bundeswehr zu verbesser |
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