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Selten waren die Deutschen in ihrer Meinung so gespalten. Die einen empfinden Schröders Haltung gegenüber den USA als dreist und zukunftsschädigend. Sie sind davon überzeugt, daß man den Amerikanern für ihre Hilfe nach dem Zweiten Weltkrieg dankbar sein müsse und sich nicht einfach lossagen könne. Die anderen hingegen sind davon überzeugt, daß eben jenes "Sichlossagen" schon längst überfällig geworden ist. Die Deutschen seien keine Vasallen der USA und könnten selbst richtig von falsch unterscheiden.
Von Carl Gustav Ströhm
Das 21. Jahrhundert hat uns in der kurzen Zeit seit seinem Beginn bereits eines beschert: eine Beschleunigung der historischen Prozesse. In der Rückschau scheinen die nun schon weit zurückliegenden Jahre des "kalten Krieges" und der Ost-West-Konfrontation als geradezu gemütliche, jedenfalls aber berechenbare und konstante Zeiten, in denen die Eckpfeiler der Weltordnung festzustehen schienen. Nichts schien sich außerhalb der vorgegebenen "Realitäten" zu entwickeln. Heute erscheint es geradezu gespenstisch, mit welcher Selbstverständlichkeit man damals von "Koexistenz" und von den "beiden deutschen Staaten" sprach. Noch in den achtziger Jahren - zwei Jahre vor dem Fall der Mauer - wurde Erich Honecker in der Bundesrepublik in allen Ehren empfangen. Die deutsche politische Klasse - die Linken sowieso, aber auch bis tief in die Reihen der Unionsparteien hinein - hatte die Teilung Deutschlands verinnerlicht und akzeptiert. Wer damals von Wiedervereinigung zu sprechen wagte, galt als "Umweltverschmutzer" und jedenfalls als Phantast.
Dabei waren die Zeichen an der Wand schon damals erkennbar. Der Ostblock war pleite, die DDR war es erst recht. Nur existierten damals eben zwei Wirklichkeiten - eine offizielle, erwünschte und eine unerwünschte. Als dann das kommunistische System implodierte, waren jene, die es hätten wissen müssen, am meisten überrascht.
Heute, noch keine fünfzehn Jahre danach, scheint sich die damalige Entwicklung zu wiederholen. Diesmal geht es nicht um die Ost-West-Teilung und um das "realsozialistische System", sondern um das Verhältnis zu Amerika, dessen Problematik durch den Irak-Konflikt und die drohende beziehungsweise bevorstehende US-Militärintervention in den Vordergrund rückt.
Was man bei inzwischen unzähligen öffentlichen Debatten und auf den verschiedenen Fernsehkanälen in Deutschland zu hören bekommt, zeigt im Grunde, wie sehr das deutsch-amerikanische Verhältnis immer noch vom Zweiten Weltkrieg und seinen Folgen bestimmt wird. Auch nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und der kommunistisch-sowjetischen Bedrohung wird die Beziehung Deutschlands zu den USA noch immer bewußt oder unbewußt durch den kalten Krieg bestimmt. Erinnern wir uns: Das geschlagene und zerstörte Deutsch- land verwandelte sich bereits kurz nach 1945 - natürlich nur in seinem westlichen Teil - zum zuverlässigsten, man kann ruhig sagen: bedingungslosesten Verbündeten der USA auf dem europäischen Kontinent. Während anderswo - etwa in Italien oder Frankreich - der Anti-Amerikanismus grassierte und starke kommunistische Parteien sogar im Westen vor der Machtergreifung zu stehen schienen, war die junge Bundesrepublik prowestlich und proamerikanisch. Die Amerikaner retteten durch die Luftbrücke West-Berlin vor sowjetischer Eroberung. Amerika war als erste der drei Westmächte bereit, die Deutschen in die NATO aufzunehmen. Knapp sieben Jahre nach dem Zusammenbruch von 1945 begann die Bundesrepublik, als Partner des Westens aufzutreten.
Die Treue der Bundesrepublik zu Amerika setzte sich über den Fall der Mauer hinweg fort. Es besteht kein Zweifel, daß die USA die einzige unter den Westmächten waren, die keinerlei Vorbehalte gegen eine deutsche Wiedervereinigung hatten, während Franzosen (Mitterrand) und Briten (Margret Thatcher) noch in letzter Minute versuchten, die DDR am Leben zu erhalten. Auch das ist heute längst Geschichte - und auf den ersten Blick schien es, als werde das deutsch-amerikanische Verhältnis auch das Ende des kalten Krieges ohne große Veränderungen überdauern. Es ist eine Ironie der Geschichte, daß der unter der Decke schon lange schwelende Konflikt mit den USA ausgerechnet zu einem Zeitpunkt ausbrach, als das (wiedervereinigte) Deutschland von einer Linksregierung, Amerika aber von eher rechten Republikanern regiert wurde.
Plötzlich hörte man in der deutsch-amerikanischen Dis- kussion Töne, wie es sie seit 1945 nicht gegeben hatte. Der sozialdemokratische Bundeskanzler Schröder sprach von amerikanischen Abenteuern (im Nahen Osten), die er nicht mitmachen wolle. Deutschland wurde neben Frankreich zur Speerspitze der Amerika-Kritik. Schon bald wurde - übrigens nicht nur in der deutschen, sondern auch in der amerikanischen Öffentlichkeit - die Frage gestellt: "Ja, dürfen denn die Deutschen das überhaupt? Ist Kritik an den USA überhaupt erlaubt?" Sogar die deutschen Kritiker Amerikas entschuldigten sich gewissermaßen für das von ihnen begangene "Sakrileg". Einer von ihnen, der Medien-Manager und Ex-CDU-Abgeordnete Jürgen Todenhöfer, versicherte, er sei ja eigentlich ein "Bewunderer" Amerikas und der Amerikaner - so als müsse man erst einmal jemanden bewundern, bevor man sich mit ihm kritisch auseinandersetzen dürfe.
Im Verhalten eines Teils der deutschen Öffentlichkeit im Falle des Irak zeigte sich, wie stark Reflexe der Besatzungszeit auch heute noch in Deutschland nachwirken. Bei den diversen deutschen Talk-Shows konnte man erleben, wie weißhaarige alte (deutsche) Herren ins Schwärmen gerieten, weil Amerika sie 1945 befreit habe. Aber selbst wenn es damals eine Befreiung war - was besagt das schon angesichts des guten halben Jahrhunderts, das seither vergangen ist?
Mir kommt immer das weise Wort des ersten Bundespräsidenten Theo- dor Heuss in den Sinn, der über jenes Jahr und die Deutschen gesagt hat: "Wir waren befreit - aber zugleich vernichtet." Das war meilenweit von der simplifizierenden Geschichtsbetrachtung entfernt, die heute überhand genommen hat.
Das Problem ist vielschichtiger. Die alte, "kleine" Bun-desrepublik der fünfziger und sechziger Jahre war ökonomisch und politisch in ungleich stärkerem Maße von den USA abhängig als das heutige wiedervereinigte Deutschland. Adenauer hatte damals instinktiv erkannt, daß das besiegte Deutschland sich keinesfalls zwischen alle Stühle setzen dürfe. Er nutzte die Gunst der Stunde: nämlich den amerikanisch-sowjetischen Konflikt und Machtkampf. So und nur so sicherte er den Deutschen die Rückkehr in die Familie der freien westlichen Völker. Nachträglich ist festzustellen, daß der kalte Krieg und der Ost-West-Konflikt für die (West-)Deutschen ein ungeheurer Glücksfall war. Hätte es den Kampf zwischen Kommunismus und "westlicher Demokratie" nicht gegeben, hätte Westdeutschland vermutlich noch lange auf seinen Wiederaufstieg warten müssen.
Betrachtet man das Irak-Problem aus einer weiteren Perspektive, so zeigt sich, daß Amerika jetzt erst für sich selber die Konsequenzen aus der veränderten Welt- und Interessenlage seit dem Fall der Berliner Mauer gezogen hat. Das Verschwinden des ideologischen Konkurrenten und damit auch des ideologischen Konflikts wirft die USA als einzige Supermacht auf die klassische Macht- und Hegemonialpolitik zurück. Die Amerikaner, verkörpert durch George W. Bush, sind zur Zeit damit beschäftigt, ihr weltweites "Imperium" zu begründen. Bundesgenossen und Partner sind ihnen dabei eher lästig. Nicht ohne Grund können wir seit Beginn der Ära Bush II beobachten, wie Washington immer deutlicher dem "Unilateralismus" frönt - frei nach dem Dichterwort: "Der Starke ist am mächtigsten allein ..."
Subjektiv kann man den amerikanischen Widerwillen gegen die europäischen "Zwerge" sogar verstehen, die überall ihren Senf dazu- geben, nicht aber die Verantwortung (und Kosten) mittragen wollen. Aber der Fall Irak hat zugleich auch die "mittleren" Mächte Europas wieder ins Spiel gebracht - jene Staaten, die, wie im gegebenen Fall Frankreich und Deutschland, zu groß sind, um klein, und zu klein sind, um "groß" (im Sinne der Superweltmacht USA) zu sein.
Die Deutschen, so sagte es dieser Tage ein kundiger Beobachter, sind immer wieder für Überraschungen gut. Nach 1945 sollte eine Weltordnung geschaffen werden, welche die "bösen" Nationen - Deutsche, Italiener, Japaner - auf alle Zeiten daran hindern sollte, jemals wieder Krieg zu führen oder auch nur die Entscheidung über Krieg und Frieden fällen zu können. Jetzt hat der Konflikt um den Irak und das Öl die Deutschen - und dazu noch die ansonsten nicht gerade patriotische Linksregierung - in die Lage versetzt, über Krieg und Frieden mit zu entscheiden. Die Amerikaner aber befinden sich in der Lage eines Vaters, der plötzlich mit der Tatsache konfrontiert wird, daß sein bisher minderjähriger Sohn plötzlich die Volljährlichkeit erreicht.
Was immer jetzt auch geschieht - nach Bagdad wird das deutsch-amerikanische Verhältnis nie wieder so sein, wie es vorher war. Die Amerikaner mögen ungehalten sein, und sogar ziemlich ruppige Gegenmaßnahmen sind nicht auszuschließen, weil die Deutschen so "treulos" waren, Amerika mit Saddam allein zu lassen. Noch ist auch nicht mit letzter Sicherheit ausgemacht, ob die Deutschen diese Belastungen aushalten, ohne einzu-knicken. Dennoch, der Rubikon ist überschritten. Die Deutschen haben bereits begonnen, die Amerikaner mit nüchtern-kritischen Augen zu betrachten. Keineswegs unfreundlich übrigens. Natürlich wird es auch in Zukunft deutsch-amerikanische Beziehungen und Annäherungen geben. Natürlich ist man auch in Zukunft aufeinander angewiesen. Aber ameri- kanische Interessen sind nicht automatisch auch deutsche Interessen - und die Deutschen behalten sich nach allen Enttäuschungen doch vor, über ihre nationalen Interessen selber zu bestimmen. Es läßt sich auch fragen, ob die Deutschen ihre traditionell freundlichen Beziehungen zur arabischen Welt auf dem Altar einer abstrakten Solidarität, sei es mit Amerika, sei es mit sonst jemandem, opfern sollen oder dürfen. Ganz gleich, wie der Fall Irak ausgehen sollte - die Deutschen können lernen, wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Wenn jemand aber von Buße spricht, läßt sich die Gegenfrage stellen: Sind fünfzig Jahre Buße etwa nicht genug? Der Verfasser dieser Zeilen bekennt freimütig, daß ihm die unverkrampfte Art, wie Kanzler Gerhard Schröder mit diesem Thema umgeht, von Tag zu Tag besser gefällt. |
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