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Die beste Karikatur zum Mohammed-Thema ist in der französischen Zeitung "Le Canard enchaîné" erschienen. Dieses 1916 gegründete linke, besser gesagt anarchistische Wochenblatt, das in Paris eine Institution ist, die niemand vermissen möchte, hat auf der letzten Seite einer seiner Ausgaben unter dem Titel, "In Dänemark zugelassene Karikatur von Mohammed" ein schwarzes Viereck gedruckt. Man sieht dort nur Tintenschwärze, schwarz wie die Nacht, schwarz wie der Islam, der ziemlich zu Unrecht sonst die grüne Farbe beansprucht. Total in Ordnung, der Zeichner, ein Herr Delambre, hat kein Bild des Propheten gezeichnet. Der Prophet soll bekanntlich kein menschliches Gesicht bekommen.
Ein Religionsstifter ohne Gesicht ist etwas Unheimliches. Besonders, wenn er beansprucht, trotzdem ein Mensch gewesen zu sein. Die schwarzen Reiter ohne Gesicht in "Herr der Ringe" verbreiten noch mehr Angst und Schrecken als die Orkhs, die das Gesicht von Toten haben.
Aber wir wollen hier nicht über eine Religion philosophie ren, die das "Menschliche, allzu Menschliche" am Menschen - angefangen bei der Tracht der Frauen - ganz im Gegensatz zum Christentum und anderen Religionen verdeckt und verleugnet. Aber auch Diskussion und Palaver, dieses Ur-menschliche am Menschen, scheint im Islam ziemlich unbeliebt zu sein, wenn man bedenkt, daß ein ägyptischer Zeitungsverleger, Ramy Lakah, den Direktor der eigenen Zeitung "France Soir", Jacques Lefranc, wegen einer unliebsamen Publikation kurzerhand entläßt und damit jeder Kontroverse ein Ende setzt. Um so wichtiger ist es, daß die Medien der freien Staaten sich mit der Sache intensiv befassen und mutig widersprechen.
Der einzige Politiker, der in Frankreich dieser Tage Klartext sprach, war der Innenminister und Religionsminister Nicolas Sarkozy. Der Stifter des "Französischen Moslemischen Rates" Sarkozy äußerte im Fernsehsender "LCI": "Wenn die Karikatur das vernünftige Maß übertrifft, dann fällt das in die Kompetenz der Gerichtsbarkeit und weder in diejenige der Religionsbehörden noch in die der Regierungen der moslemischen Staaten". Sein politischer Berater in der französischen Mehrheitspartei UMP, dessen Vorsitzender er ist, der ehemalige Erziehungsminister François Fillon, erklärte, daß die "besorgniserregende Entscheidung des Eigentümers von ,France Soir (ihn) sehr schockiert hatte, der Aufstieg dieses islamistischen Fundamentalismus, dieses Radikalismus, dieser Intoleranz sehr gefährlich, sehr schlimm ist."
Dabei hatte Lakah selbst den belgischen Banker Lefranc an die Spitze dieser Zeitung gesetzt, als er sie zu Beginn dieses Jahres erwarb. Seine Entscheidung widerspricht dem Gesetz der Verhältnismäßigkeit, weil sie ein Angriff auf die Meinungs- und Redefreiheit ist, die seit dem 18. Jahrhundert zu den kostbarsten Eroberungen der Republik zählt. Ein Schlag ins Gesicht der französischen Identität war der Ukas des Herrn Lakah, und man darf sich nicht wundern, daß sich die Franzosen jetzt auf die Wurzeln ihrer politischen Kultur und auf Voltaire besinnen, der sich nicht von ungefähr bereits vor 200 Jahren in seinem Theaterstück "Mahomet", das Goethe gefördert und ins Deutsche 1802 übersetzt hat, mit dem besonderen Fanatismus des Islams auseinander setzte, von dem der französische Aufklärer meinte, daß er dem "Geist der Intoleranz" entsprungen sei, der "Ungeheuer" kreierte.
Was Voltaire zu "Mahomet" schrieb, könnte kaum ein Journalist, ein Schriftsteller heute ohne Risiko äußern, was zeigt, wie der Fanatismus an Boden gewonnen hat.
Mag sein, daß der Streich des Herrn Lakah gegen seinen eigenen Zeitungskommissar einen heilsamen Schock auslösen wird. Nicht nur in den moslemischen Staaten, wo verbale und terroristische Anschläge gegen europäische Vertretungen und Vertreter verübt werden, sondern auch bei uns in Europa - hier allerdings auf der geistigen Ebene - macht diese Affäre klar, daß der Kulturclash zwischen Europa und dem Islam durchaus eine Realität und keine Erfindung eines amerikanischen Politologen ist. Der katholische Klerus in Frankreich hat die Karikaturen im Namen des Respekts vor der Religion verurteilt (die protestantische Minderheitskirche war jedoch in der Kritik viel zurückhaltender). Diese Stellungnahme wäre schon hinnehmbar, wenn der sogenannte "Dialog der Christen mit dem Islam" keine Einbahnstraße wie bisher wäre und wenn die Moslems bereit wären, ein "aggiornamento", eine notwendige Anpassung ihrer Religion an die Moderne zu vollziehen. Das ist jedoch keineswegs der Fall. Es bleibt also den meisten Journalisten und Politikern nichts anderes übrig, als im Namen der republikanischen Werte die Fanatiker einer Kultur, die unserer entgegengesetzt ist, in ihre Schranken zu verweisen. Paradox ist dabei, daß Ramy Lakah kein Moslem, sondern ein Christ ist. Er gehört der ägyptischen koptischen Kirche an. Das macht seinen Fall noch schlimmer: Für seine Geschäfte und für die koptische Kirche, die in Ägypten eine bedrohte und verfolgte Minderheit ist, wäre es tödlich, wenn er sich nicht mit den islamistischen Extremisten solidarisch erklären würde. Genau das tut auch die ägyptische Regierung, was einen beängstigenden Grad der Abhängigkeit zeigt, der schneller, als man denkt, auch bei uns entstehen könnte.
Wer ist denn Ramy Lakah? 1985 erhielt er mit seinem Bruder Michel von seinem Vater Raymond die von diesem gegründetete Lakah-Industriegruppe. Diese steinreiche Familie hat eine führende Stellung in mehreren Marktsegmenten der Industrie und dem Gesundheitswesen. Sie hat in den letzten Jahren von Kairo und von England aus ihre Position in diesen Bereichen weiter ausgebaut. Die fortschreitende Liberalisierung des ägyptischen Marktes und die Entwicklung von Nationalwirtschaften im mittleren Osten, in Nord- und Westafrika haben ihr Chancen geboten, ihr Tätigkeitsfeld zu erweitern. Die Schlüsselaktivitäten der Lakahs befinden sich in der Gesundheitsindustrie in der Türkei, in Algerien und Nigeria. Sie verkaufen auch pharmazeutische Produkte auf dem ägyptischen Markt, in Nahost und in Nordafrika. Sie investieren auch in medizinische Pflegezentren und in Krankenhäuser in diesen Staaten und widmen sich der medizinischen Versicherung. Darüber hinaus wagt sich die Lakah-Holding namens "Angel Gate" jetzt auch auf den Geschäftsbaumarkt, wo sie ihr beim Bau von Krankenhäusern erworbenes Wissen umsetzen kann.
Die Geschichte der Tageszeitung "France Soir", früher die Starzeitung des berühmten Journalisten Pierre Lazareff, ist abwechslungsreich. 1949, als sie noch über eine Million Exemplare verkaufte, war sie von der mächtigen Hachette-Pressegruppe gekauft worden, wurde aber 1976 von der "Socpresse" ("Le Figaro" und andere) des Pressemagnaten Robert Hersant erworben, der aus ihr eine populäre Boulevardzeitung nach dem Vorbild von "Bild" in Deutschland machen wollte. Es gelang ihm jedoch nicht, und "France Soir" wurde vor der Pleite von der italienischen "Poligrafici Editoriale", der Nummer drei der italienischen Presse, gerettet. Schließlich geriet sie 2004, als sie nur noch eine Auflage von 64000 Exemplaren hatte, für zirka 27 Millionen Euro in die Hände von "Montaigne Press", der Pressegruppe von Ramy Lakah, die ihren Erwerb erst nach ernsthaften juristischen Streitigkeiten in einem gerichtlichen Vergleichsverfahren in den letzten Monaten bestätigt bekommen hat.
Im September 2005 hatte Ramy Lakah selbst seinen Posten als Geschäftsführer der Zeitung dem Krisenmanager Lefranc übergeben.
Vor kurzer Zeit hat die Chefredakteurin Valérie Lecasble die Flinte ins Korn geworfen. Die Auflage ist inzwischen unter 40000 gesunken, und die Zeitung wird aufgrund eines Streites mit einer Druckerei nicht mehr in Südfrankreich vertrieben.
Die immerhin 120 Mitarbeiter der Redaktion sind wegen der Disziplinarmaßnahme des Eigentümers in Streik getreten, und das Schicksal von "France Soir" ist ungewisser denn je. Aber die Zeitung kann von der öffentlichen Entrüstung über die moslemische Intoleranz und von der Solidarisierungswelle in den französischen Medien profitieren. Eine Schnellumfrage übers Internet machte deutlich, daß 85 Prozent die Entscheidung von Ramy Lakah nicht gutheißen. Fragt sich, wie lange der Widerstand gegen eventuelle Pressionen der Regierung halten wird, die ihre "arabische Politik" wie ihren Augapfel hütet. Immerhin wird die arabische Welt jetzt näher unter die Lupe genommen, und der Unterschied zu unserer Kultur wird deutlicher: "In der arabischen Welt steht die Religion im Mittelpunkt, die Gemüter sind äußerst reizbar, und das Unglück kommt immer von draußen. Die Karikaturenaffäre beinhaltet alle diese Ingredienzien", schreibt Pierre Prier in "Le Monde".
Ein Religionsstifter ohne Gesicht ist unheimlich
Umstritten: "Ja, man hat das Recht, Gott zu karikieren", lautet der Tenor der "France Soir". Der Christengott zu Mohammed: "Jammer nicht, wir werden hier gerade alle karikiert." |
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