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Venezuela steht am Rande eines Bürgerkrieges

 
     
 
In Venezuela passiert derzeit etwas, was auf dem Globus sehr selten vorkommt, das Bürgertum rebelliert offen gegen seine (linken) Machthaber und greift dabei zu den klassischen Mitteln des Klassenkampfes: Massendemonstrationen, ziviler Ungehorsam, Streiks und Straßenblockaden. Zwei Monate dauerte der bürgerliche Generalstreik, bis die Streikführer einlenkten, um Unternehmen und Geschäfte
vor dem Bankrott zu bewahren.

Die Opposition gegen den Präsidenten Hugo Chávez konzentriert sich nunmehr auf eine "Super-Unterschriften-Aktion" für Verfassungsänderungen, die der Herrschaft des linksnationalistischen Staatsoberhauptes ein vorzeitiges Ende bereiten sollen.

Nach Angaben der Coordinadora Democratica, der Allianz der Regimegegner, sind bislang vier Millionen Unterschriften gesammelt worden, mehr als genug, um eine Volksabstimmung über eine Verkürzung der Präsidentenamtszeit von sechs auf vier Jahren zu erzwingen. Dieser Weg zur Lösung der Krise in Venezuela, die am 2. Dezember begann, war von Nobelpreisträger Jimmy Carter vorgeschlagen worden. Für ein verfassungsänderndes Referendum sind 1,8 Millionen Unterschriften nötig.

Der Zorn der Bürger richtet sich vor allem gegen ihren pathetischen "Führer", der seit dem 3. Februar 1999 ununterbrochen regiert und sein Volk immer mehr in die Misere führt. Sein Rückhalt in der Bevölkerung nimmt rapide ab: Im Juli 2001 konnte er noch mit 55 Prozent Befürwortern rechnen, zum Ende des Jahres 2002 waren es jedoch nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Datanálisis nur noch 25,5 Prozent. Die Minderheit der Befürworter ist in den nach dem Freiheitskämpfer und Nationalhelden Simon Bolivar benannten "bolivarianischen Zirkeln" organisiert. Sie gelten als äußerst militant. Mit ihren politischen Gegner sind sie nicht gerade zimperlich: Schlägereien, Plünderungen und Schußwaffengebrauch sind bei ihren Kundgebungen an der Tagesordnung. Fast immer kommt es dabei zu schweren Verletzungen und Toten.

Die Gegner von Chávez werfen ihm die Polarisierung der politischen Landschaft vor und daß er, zumindest implizit, hinter der Gewaltzunahme stehe, der sich die oppositionelle Presse und Parteien ausgesetzt sehen. Chávez sieht sich dennoch als Volkstribun und setzt seine poli- tischen Vorstellungen immer rück-sichtsloser mit den ihm zuste- henden Mittel durch. Nach umstrittenen Verfassungsreformen hat Chávez dafür noch bis 2005 Zeit. Danach müßte er eine Legislatur-periode aussetzen, um im Jahre 2011 wieder erneut antreten zu können. Der Umstand, daß er sich zunehmens mit aktiven und im Ruhestand befindlichen Militärs umgibt, läßt darauf schließen, daß er sich immer bedrohter fühlt. Nach einem gescheiterten Versuch, ihn mit einem Staatsstreich abzusetzen, darf dies auch nicht wundern.

Auf die venezolanische Nationalgarde kann er jedoch zählen. Sie ließ sich sogar zuletzt gegen die Zivilbevölkerung als Streikbrecher einsetzen: Nicht nur bestreikte Öltanker wurden gekapert, sondern auch Betriebe mitten in der Hauptstadt Caracas.

Unter Gewaltanwendung und dem Einsatz von Tränengas verschafften sich die Militärs Zugang zum Gelände des Coca-Cola-Konzerns Panamco und transportierten die dort seit dem Beginn des Streiks Anfang Dezember gelagerte Ware einfach ab. Ebenso verfuhren sie mit dem fast einzigen Bierproduzenten des Landes, der Firma Polar. Stolz nahm der zuständige General Luis Acosta Carles nach der geglück-ten Aktion einen kräftigen Schluck aus einer erbeuteten Flasche und rülpste in die laufenden Kameras.

Chávez freute sich ebenfalls über das Engagement seiner militärischen Gefolgsleute: "Heute krönen wir den Sieg und fahren mit einer aggressiven Strategie fort. Attacken, Attacken, Attacken." Die Streikführer dürften nicht unbestraft bleiben: "Sie müssen ins Gefängnis." Er schließe zur Eindämmung der Krise auch nicht mehr aus, das Kriegsrecht auszurufen. Bei seinen endlosen Fernsehreden bedient sich Chávez gern großkotziger Sprüche und der international üblichen Diktion der politischen Linken. Seine politischen Gegner, zu denen unzählige Sozialdemokraten und Gewerkschafter zählen, bezeichnet er kurzum alle als Faschisten.

In internationaler Hinsicht nimmt das Venezuela von Chávez Positionen ein, die hauptsächlich gegen die Vereinigten Staaten und andere weniger mächtige Staaten gerichtet sind. Unabhängig davon, daß der Präsident Chávez die terroristischen Attacken gegen New York und Washington D.C. bedauerte, entschloß er sich dennoch, in derselben Rede gegen die neoliberale Politik der USA zu Felde zu ziehen. Politisch hat er sich zu Fidel Castro gesellt und öffentlich die Mitgliedschaft Venezuelas in vielen Initiativen wie zum Beispiel dem Projekt zur Schaffung einer Freihandelszone für Lateinamerika in Frage gestellt. Selbst in seinem eigenen Vorhof stößt Chávez auf Diskrepanzen.

Mit Kolumbien ist das Verhältnis sehr angespannt, seitdem herauskam, daß Chávez die linke Drogenguerilla unterstützte. Ferner macht Chávez alte Besitzansprüche gegen den Nachbarstaat Guyana geltend und brüskiert damit sein östliches Nachbarland.

Mit seinem derzeitigen Präsidenten gleicht Venezuela einem innenpolitischen wie außenpolitischen Pulverfaß, das beim kleinsten Funken explodieren kann. Man darf darauf gespannt warten, bis es knallt.
 
     
     
 
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