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Als es jüngst um die Entscheidung ging, ob deutsche Soldaten in einen dritten bewaffneten Einsatz ziehen sollten, der nicht direkt der Verteidigung des eigenen Landes dient, wie es im Grundgesetz vorgesehen ist, da war die Situation im Bundestag anders als bei den beiden vorangegangenen Malen, als es um Krieg im Kosovo und um den Luftkrieg gegen Serbien ging. Unser Parlament muß jedem bewaffneten Einsatz der Bundeswehr zustimmen. Die Zustimmung zu erreichen war für die rot-grüne Bundesregierung, die für die Einsätze eintrat, in den ersten beiden Fällen kein Problem; die Mehrheit für die Einsätze war im Bundestag sicher.
Diesmal war alles ganz anders.
Sehr früh schon regte sich bei den Sozialdemokraten Widerstand, den auszuschalten dem Bundeskanzler und dem Fraktionsvorsitzenden nur zum Teil gelang. Immer noch war es eine erkleckliche Anzahl von SPD-Abgeordneten, die den Einsatz nicht befürworteten.
Die CDU/CSU gar wollte sich zunächst überhaupt verweigern, änderte aber - jedenfalls in der Fraktionsführung - wenige Tage vor der Abstimmung ihren Kurs, ohne allerdings die geschlossene Fraktion hinter sich zu bringen. Die Zahl der Verweigerer war bemerkenswert. Auch in der FDP gab es keine Einheitlichkeit.
Ohne die Unterstützung durch die CDU/CSU-Führung hätte die rot-grüne Regierungskoalition eine Abstimmungsniederlage erlitten.
Überhaupt waren die Begründungen für den Einsatz seltsam unterschiedlich, um nicht zu sagen diffus. Beim Kosovo und beim Luftkrieg gegen Serbien ließen sich die Abgeordneten noch einfangen mit der Beschwörung, ohne den soldatischen Einsatz gebe es ein „zweites Auschwitz“; für die Humanität sollten unsere Truppen dort zusammen mit den Verbündeten stehen. Als es um den Kosovo ging, wurde behauptet, man müsse die Umsetzung eines großangelegten serbischen Planes zur totalen Vertreibung, wenn nicht sogar Ausrottung der albanischen Volksgruppe verhindern, eine Begründung, deren Berechtigung sehr bald von kompetenter Seite angezweifelt wurde.
Als die Regierung und die CDU/CSU-Fraktionsführung um ein Ja für den Mazedonien-Einsatz warben, da stand im Vordergrund die Behauptung, man müsse dem NATO-Bündnis die Treue halten, damit Deutschland für die NATO-Verbündeten berechenbar bleibe. Dagegen setzte allerdings der Fraktionsvorsitzende Merz zunächst die bemerkenswerte Antwort, Bündnistreue sei kein Selbstzweck, ohne daß diese Meinung Konsequenzen auslöste. Bundesaußenminister Fischer brachte wieder einmal seine Humanitätskeule ins Spiel, indem er behauptete, ohne den Einmarsch der NATO-Truppen würde Mazedonien im Bürgerkrieg versinken. Mit Ach und Krach kam dann die Mehrheit im Bundestag zustande, und nun gehen unsere Bundeswehrsoldaten zusammen mit ihren Kameraden aus den NATO-Ländern einer ungewissen Zukunft in Mazedonien entgegen.
Im Laufe der vorangegangenen Monate waren die Zweifel gestiegen, ob dem Truppeneinsatz weiterreichende politische Konzepte zugrunde liegen. Was soll aus den Gebieten, die jetzt nichts anderes sind als NATO-Protektorate, einmal werden? Schließlich können nicht generationenlang fremde Soldaten den Frieden aufrechterhalten. Jeder weiß aber, daß, wenn sie morgen abzögen, übermorgen die Volksgruppen wieder in heftige Kämpfe miteinander verstrickt wären. Schließlich wird das Gebiet seit dem Zerfall des Osmanischen Reiches im 19. Jahrhundert ständig von Kriegen der Völker gegeneinander erschüttert. Trotzdem aber marschiert die NATO nach Mazedonien.
Der Verdacht breitet sich aus, daß vor allem hinter der Besetzung Mazedoniens - angeblich zum „Einsammeln von UCK-Waffen“ - ganz andere Zwecke verfolgt werden. Auffällig ist es, daß sich diesmal keine Truppen der USA in der Interventionsarmee befinden. Sie haben bislang noch nie gefehlt. Amerikaner würden nur beratend zur Verfügung stehen, heißt es. Sollte die Ursache für die Zurück-haltung darin zu sehen sein, daß die in Mazedonien operierenden, aus Albanern bestehenden Partisanen, überwiegend aus dem Kosovo kommend, dort von amerikanischen Instrukteuren ausgebildet worden sind und auch aus den USA mit Waffen versorgt wurden?
Diese Tatsache ist inzwischen ein offenes Geheimnis, nachdem amerikanische wehrpolitische Fachzeitschriften darüber ausführlich berichtet haben. Dann wären es die USA gewesen, die für die UCK-Unruhen in Mazedonien verantwortlich waren und die dieses Land, das bislang eine nahezu windstille Zone im ehemaligen Jugoslawien war, destabilisierten.
Warum? Sollte ein Grund geschaffen werden, damit die von den USA dominierten NATO-Truppen einziehen und Mazedonien zu einem weiteren NATO-Protektorat machen können? Man beachte: Der Einmarsch der NATO-Truppen stößt nicht auf Gegenliebe bei der albanischen mazedonischen Bevölkerung, wohl aber bei den aus dem Kosovo kommenden UCK-Kämpfern. Deren Waffen sollen nun angeblich „eingesammelt“ werden, was in Zweifel zu ziehen ist, nachdem die offiziell von der UCK genannten Waffenbestände viel kleiner waren als die, die realistische Militärbeobachter schätzten.
Intern, wenn auch nicht in den großen deutschen Massenmedien, findet die von dem CDU-Bundestagsabgeordneten Willy Wimmer nicht nur vertretene, sondern deutlich geäußerte Auffassung Beachtung, der da, zusammengefaßt, behauptet, die Bundesrepublik, und nicht nur sie, sei „im Zusammenhang mit dem Jugoslawien-Krieg gnadenlos über den Tisch gezogen worden.“ Es sei weder um Humanität noch um die Verhinderung eines „zweiten Auschwitz“ gegangen, sondern um die Verfolgung einer langfristigen Strategie der USA mit dem Ziel, den ganzen Balkan unter amerikanische Kontrolle zu bringen. Wimmer, verteidigungspolitischer Fachmann - er war u. a. von 1988 bis 1992 parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung -, berichtet von einer Konferenz im Mai 2000 in Preßburg, an der er teilgenommen hat. Dort haben höchst-rangige amerikanische Repräsentanten die US-Strategie auf dem Balkan erläutert. Man habe in aller Klarheit gesagt: „Der Grund, warum wir auf den Balkan gegangen sind, liegt in den Versäumnissen des Zweiten Weltkrieges, als Eisenhower es unterließ, dort Bo-dentruppen zu stationieren. Das mußten wir unter allen Umständen nachholen.“ Und die Begründung: Die USA wollen die Kontrolle über die Region bekommen. Und das läßt sich weder von Flugzeugen noch von Schiffen aus machen.
Es geht dabei um den Zugang zum Kaspischen Meer. Dort befinden sich die größten Erdöl- und Erdgasvorkommen der Welt. Um diese Energierohstoffe ungefährdet durch Pipelines bis zum Mittelmeer zu bringen, also in den Einflußbereich der USA, benötige man den Balkan. Um dieses Ziel zu erreichen, setze man sich, so der CDU-Politiker, über Völkerrecht hinweg und instrumentiere die NATO, die zu keinem anderen Zweck mehr existiere, als die amerikanischen Interessen durchzusetzen.
Das sind sensationelle Ausführungen, zumal wenn man bedenkt, daß sie aus dem Munde eines CDU-Bundestagsabgeordneten stammen, der an entscheidender Stelle im Bundesverteidigungsministerium tätig war und zweifellos einen tiefen Einblick in die internationale Sicherheitspolitik hat. Die USA betrachten sich als die „einzige Weltmacht“. Man sollte sich das stets vor Augen halten.
Willy Wimmer zählt zu den außen- und sicherheitspolitischen Experten der Berliner Unions-Bundestagsfraktion. Von 1988 bis 1992 war er bereits Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung. Zuvor hatte Wimmer seit 1985 den Vorsitz der Arbeitsgruppe Verteidigungspolitik der CDU/CSU-Fraktion inne. Seit 1976 sitzt der 1943 geborene Politiker für den Wahlkreis Neuss im Bundestag.
Wimmer ist derzeit Ordentliches Mitglied im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages und fungiert überdies als Ordentliches Mitglied der Deutschen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE, ehemals KSZE).
Seit 1994 widmet sich der studierte Jurist Willy Wimmer dem Amt des Vizepräsidenten der Parlamentarischen Versammlung der OSZE und ist gleichzeitig Vorsitzender des Deutschen Helsinki-Komitees.
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