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Völkerfeindliche Volkskundler

 
     
 
Wissenschaft und Kabarett können dicht beieinander liegen. Manchmal vermengen sie sich sogar derart, daß das eine vom anderen nicht mehr zu trennen ist.

Eine solche unbeabsichtigte Mixtur wurde vom 8.-10. Oktober in Freiburg serviert, als sich wirkliche und selbsternannte Experten auf Einladung des universitären Instituts für Volkskunde zur Tagung "National
es Selbstverständnis und der Umgang mit den ‚Anderen‘ im multiethnischen Staat – Die Deutschen in der Slowakei gestern und heute" zusammenfanden.

Wäre man der Kernaussage des Referenten Ulrich Behrens gefolgt, hätte man sich das Seminar eigentlich sparen können. Seiner Ansicht nach gibt es auf diesem Planeten in Wirklichkeit keine Völker, sondern nur Individuen. Ethnien und Nationen sind rein mythischer Natur, sprich eingebildet. Wo sich zwischen ihnen Unterschiede zeigen und es zu Konflikten kommt, sind diese "von außen hineingetragen".

In seinem Vortrag "Zur Kritik nationaler Kollektivitäts-Konstruktionen am Beispiel von Reiseliteratur über die Slowaken" verkündete Behrens mit dem Gestus eines Rufers in der Wüste, daß Reiseführer zu einem bestimmten Zielland weltweit gleich auszusehen hätten. Für national voneinander abweichende Blickwinkel und Interessen sieht er keinerlei Notwendigkeit.

Im Gegenteil: Wenn der Vorsitzende des Karpatendeutschen Kulturwerkes, Ernst Hochberger, betont, seinen Slowakei-Führer für deutsche Leser verfaßt zu haben, so wird dies als gefährlicher "nationalistischer" Ansatz dargestellt.

Mitreferent Prof. Olaf Bockhorn (Wien) wollte gar mit der Bezeichnung "Ethnie" auch dessen Inhalt aus der Welt schaffen und regte an, das Wort durch "soziale Gruppe" zu ersetzen oder es wenigstens mit Anführungsstrichen zu markieren.

Einigen Teilnehmern standen angesichts solcher völkerfeindlicher Positionen die Fragezeichen ins Gesicht geschrieben und wohl auch der Wunsch, die Herren Behrens und Bockhorn sollten ihre gesammelten Thesen auch außerhalb Deutschlands zum besten geben – etwa in der Slowakei oder besser noch in Tschetschenien, Ex-Jugoslawien, im Baltikum, in Palästina und Indonesien.

Andererseits gab es Beifall bei einigen Volkskunde-Studenten und vom Tagungschef und Lehrstuhlinhaber Prof. Max Matter höchstpersönlich. Dieser hatte schon bei der Einführung das Terrain ideologisch abgesteckt und auf Hobsbawms Theorem, daß "erst die Nation den Nationalismus gebiert", noch eins draufgesetzt mit der Mutmaßung, es gebe generell größere Unterschiede innerhalb einer Ethnie als zwischen verschiedenen Ethnien.

Immerhin gab es unter den über ein Dutzend Vorträgen in Freiburg nicht nur einprägsame Zeitgeiststudien zu hören, sondern auch einige sehr interessante Informationen über Vergangenheit und Gegenwart der Karpatendeutschen.

Dusan Kovác aus Preßburg beispielsweise hob in seinen Ausführungen über "Die Deutschen in der Slowakei im Spannungsfeld zwischen Berlin, Prag und Budapest (1918-1939)" hervor, daß sehr genau zu unterscheiden sei zwischen den über eine breite Bildungsschicht verfügenden und tendenziell pro-madjarischen Zipsern, den vergleichsweise armen und lange Zeit nur aufs engste Umfeld bedachten Bergleuten des Hauerlandes sowie den eher als Grenzland- denn als Sprachinseldeutsche zu bezeichnenden Preßburgern.

Dann ging Kovác auf das maßgebliche kulturpolitische Wirken von Sudetendeutschen für die Landsleute in der Slowakei ein. Vor der Gründung der Tschechoslowakei hatten beide Gruppen so gut wie nichts miteinander zu tun gehabt, anschließend waren drei Stoßrichtungen auszumachen: Zurückdrängung der mit den ungarischen Irredentisten zusammenarbeitenden "Madjaronen" in der 1920 gegründeten Zipser Deutschen Partei, politische Zusammenfassung aller Landsleute im neuen Staat sowie nicht zuletzt eine enge Kooperation mit dem Deutschen Reich.

Man wollte eine überregionale "karpatendeutsche " Identität verankern und benannte 1928 die als Klammer gedachte Formation folgerichtig "Karpatendeutsche Partei". Doch der Anfang war schwer, wie sich bei den Wahlen desselben Jahres zeigte, als man zusammen mit zwei Kleingruppen nicht mehr Stimmen gewinnen konnte als die Zipser Deutsche Partei alleine.

Schließlich gelang es noch während des Krieges und nicht erst als Folge der Vertreibungserfahrungen, eine solche gemeinsame Identität als Grundgefühl in den Köpfen und Herzen der rund 150 000 Deutschen in der Slowakei zu schaffen.

Das Verhältnis zu den Slowaken brachte Dusan Kovác für die Zeit zwischen den Weltkriegen auf die Formel, daß man "sicher nicht von einem Gegeneinander, ansatzweise vielleicht von einem Miteinander, am ehesten jedoch von einem Nebeneinander" sprechen müsse.

Im Krieg gab es dann laut Tatjana Tönsmeyer (Berlin) auf deutscher Seite ein Geflecht verschiedener Interessen: Die karpatendeutsche Volksgruppenführung mit Franz Karmasin an der Spitze versuchte unter Verletzung slowakischer Empfindlichkeiten das Maximum an Rechten und materiellen Vorteilen (Stichwort Arisierung) herauszuholen und verstand sich als "Aufpasser des Reiches", während das Auswärtige Amt und der 1947 hingerichtete Gesandte Hanns Ludin die zweifellos begrenzte Souveränität des Verbündeten achteten.

Lohnend waren u. a. auch die Vorträge des Zipsers Oskar Marczy "Über das sich wandelnde nationale Selbstbewußtsein eines deutschen Jugendlichen in der Slowakei (1939-1944)", von Katharina Richter-Kovarik (Wien) über "Deutsch-Sein in Metzenseifen zur Zeit des Kommunismus" und von Magdalena Pariková über "Deutsch-Sein in der Slowakei – Identitätskonnotationen in der Gegenwart".

Die aus Preßburg angereiste Frau Pariková betonte als Ergebnis der Auswertung von fast 200 Fragebögen, daß trotz jahrzehntelanger Unterdrückung als "Faschisten" bei vielen Slowakeideutschen das Bewußtsein einer gesamtdeutschen Kulturidentität überlebt habe. Auch nach 1989 sei die "Rückkehr zur vollen deutschen Identität nicht einfach", sondern man müsse von einem "langen Bewußtwerdungsprozeß" ausgehen. Dabei haben nach Ansicht der aus einer karpatendeutschen Familie stammenden Referentin emotionale Einflüsse große Bedeutung – etwa die Entschuldigung Präsident Havels für Vertreibungsverbrechen oder die Anlage deutscher Soldatenfriedhöfe. Auch Firmenniederlassungen in der Slowakei oder die Möglichkeit, in der Bundesrepublik saisonal Geld zu verdienen, seien mehr als nur wirtschaftliche Hilfsleistungen.

Insgesamt erscheint die Zukunft für die Minderheit zwar keineswegs gesichert, aber Anlaß zum Schwarzsehen gibt es auch nicht. Bei der Volkszählung 2001 ist von einer deutlich höheren Zahl bekennender Deutscher im Vergleich zu den 5629 Personen des Jahres 1991 auszugehen. Damals mußte man nicht nur auf den Bögen die Nationalität "Deutsch" eigens hinzuschreiben, da sie zum Ankreuzen nicht vorgesehen war, sondern bei vielen Menschen waren die angestauten Ängste noch so stark, daß sie ehrliche Angaben scheuten.

Heute dagegen ist es in der Slowakei prestigefördernd, Deutscher zu sein, und das zwischenstaatliche deutsch-slowakische Verhältnis gilt als völlig unkompliziert.

 

 
     
     
 
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