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Pfingsten, das "liebliche Fest", wie es Goethe in seinem Reinecke Fuchs nannte, hat seit den späten fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts jenseits der christlichen Tradition längst auch eine deutschlandpolitische Dimension bekommen. Der äußere Anschein, den die Vertriebenentreffen mit ihren Trachten, Festansprachen und den alten Städtenamen erwecken, scheint zunächst eher harmlos. Vermutlich ist dies von den politisch Verantwortlichen auch so angelegt. Doch verfehlen ungeachtet gegenteiliger parteipolitischer Absichten diese Treffen auf Dauer auch eine bestimmte Wirkung nicht. Nachdem Deutsche, lebhaft angetrieben durch politische Schuldgefühle, sich den Problemen der Feuerlandindianer und der Senegalneger mit Fleiß gewidmet haben, kommt nun allmählich die Erkenntnis, daß einfach in die Welt gerichtete Humanität wie Wasser im Wüstensand versickert, wenn sie nicht zielgerichtet auch den Nöten des eigenen Volkes zugute kommt.
Vielleicht war die geradezu üppige TV-Berichterstattung dieses Mal ein erstes Zeichen dafür. Jüngeren Polit-Redakteure gehen unbefangen (in vielerlei Hinsicht) mit der Problematik um. Wo in früheren Zeiten die Sowjets als alleiniges Vehikel des Bösen herhalten mußten, um die westalliiierte Seite von der Verantwortung für die Vertreibung zu entlasten, tritt heute der nüchterne Sinn Jüngerer wohltuend zutage. Für sie läuft die Abtretung deutscher Gebiete schlicht unter der Rubrik wirtschaftlicher Konkurrenz, wie dies ja auch von den Westalliierten beabsichtigt war. Selbst der publizistische Restposten aus unseliger DDR-Zeit, die ehemalige FDJ-Zeitung "Junge Welt", kam nicht umhin, sogar auf Seite eins neben wüsten parteipolitisch inspirierten Attacken auch den verbrecherischen Inhalt der Benesch-Dekrete, deren Abschaffung Bayerns Ministerpräsident Stoiber auf dem Treffen der Sudetendeutschen in Augsburg gefordert hatte, zu erläutern. Und dies, nachdem erst kürzlich die letzten nationalkommunistischen Versprengten des Blattes im Rahmen einer von der PDS im Bunde mit anderen Politkräften angeordneten Verfügung durch das Fegefeuer einer Tschistka gehen mußte.
Solch purgatorische Exzesse werden aber weder die "Junge Welt" noch die alte retten, sofern man darunter das große Beschwichtigungs- und Lügenfeuerwerk früherer Jahrzehnte versteht. Es dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Einführung des Euro zum Jahreswechsel hin ("Der Euro wird kommen, aber er wird nicht bleiben" / Greenspan) zu einem finanziellen Fiasko kommen, an dessen Ende die Renaissance der Nationalstaaten steht. Deutschland muß dann bereit sein, oder es wird vergehen, wie es auch anderen Völker ohne Ansehen ihres Wertes bereits widerfahren ist. Insofern war der Karlspreis, verliehen an den Kanzler des anderen deutschen Staates, ein Signum umbrechenden Geistes. Vielleicht schwingt daher bei den Pfingsttreffen Vertriebener auch jener Hauch von Geist mit, der diesem Fest im christlichen Sinne eigen ist. Müller
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